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# taz.de -- Trotz Corona die Nerven behalten: Wer kriegt hier die Krise?
> Der Kampf gegen das Corona-Virus legt das öffentliche Leben lahm und
> beeinträchtigt jeden persönlich. Manchmal sorgt das für erstaunliche
> Entdeckungen.
Bild: Viel Platz zum Joggen gerade in Berlin – hier auf der Straße des 17. J…
Berlin taz | Es ist ruhiger, weil leerer geworden in Berlin mit den
Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus. Darf ich das auch schön finden? Ich
finde, ich darf. Ich gehe weiterhin täglich zur Arbeit, mein Job wird durch
die Epidemie eher noch stressiger als sonst. Ich genieße es jetzt, morgens
zu Fuß zur Arbeit, abends zu Fuß nach Hause zu gehen. Mein Weg führt mich
am Landwehrkanal entlang durch Kreuzberg nach Neukölln, und es ist ruhiger
geworden am Urbanhafen, an der Admiralbrücke, auf dem Kottbusser Damm, auf
dem Hermannplatz.
Nicht nur ruhiger, finde ich, sondern auch freundlicher: Die Menschen, die
da unterwegs sind, scheinen leiser zu sprechen, sich langsamer zu bewegen.
Und wo sonst zu Stoßzeiten Menschen hetzen und drängeln, ist jetzt nicht
nur Platz zum höflichen (und gesundheitsfördernden) Abstandhalten, sondern
oft auch Zeit für ein
Der Autoverkehr in der Stadt hat abgenommen und damit auch der Lärm und die
schlechte Luft. Erstaunlich, wie das auffällt und den jetzt beginnenden
Frühling noch schöner macht – vor allem nach einem reinigenden Regen, den
ich ebenfalls mehr als sonst genießen kann.
Es steckt in alldem – bei allem Schrecken, der dahintersteht, wenn man die
weltweite Coronakrise sieht – in meinen Augen auch so etwas wie eine
Aufforderung zur Erholung: Entspannt euch, kommt mal zur Besinnung und
denkt darüber nach, was für euch, für uns alle wirklich wichtig ist. Alke
Wierth
##
## Licht und Schatten im Home Office
Corona macht nicht nur krank, es teilt die Arbeitswelt auch in Gewinner und
Verlierer. Erstere sind die, die feste Stellen haben und ins Homeoffice
gehen können. Aber [1][auch beim Homeoffice gibt es Gewinner und
Verlierer]. Weil ich bisher zu den Gewinnern gehöre, habe ich lange
überlegt, ob ich diese Zeilen schreiben soll. Neid ist so ziemlich das
Letzte, was wir gerade brauchen können.
Ich mache es trotzdem, weil es auch da Licht und Schatten gibt. Zuerst das
Licht: Schon morgens um sechs scheint es ins Schlafzimmer. Wenn ich dann
ans Fenster gehe, sehe ich den Garten in der Sonne, die Ulme, die
Frühblüher, die ans Licht schießen, meinen Leseplatz auf dem kleinen Hügel,
wo die Sonne am längsten steht.
Mein Homeoffice befindet sich in Brandenburg, 125 Kilometer von Berlin
entfernt. Ich habe keine Kinder, ich kann mir die Zeit, abgesehen von den
Telefonkonferenzen und Redaktionsschlüssen, frei einteilen. Wenn ich will,
setze ich mich zwei Stunden aufs Fahrrad und arbeite dann halt länger.
Bewegung tut gut in diesen Tagen – und stärkt das Immunsystem.
Wenn da nicht der Schatten wäre. Weil sich die sozialen Kontakte in dieser
ländlichen Idylle auf einige wenige beschränken, ist der Schreibtisch die
einzige Schnittstelle nach draußen. Kein Hallo beim Bäcker, kein Tschüss im
Park. Auch kein Klatschen auf dem Balkon.
Stattdessen Schreibtisch, mal raus, wieder Schreibtisch, bis spät in den
Abend. Ich glaube, die Arbeit wird hier draußen nicht weniger, sondern eher
mehr. Gut möglich, dass ich mir bald wünsche, mich von dieser Art
Heimarbeit erholen zu dürfen. Uwe Rada
## Weniger Rrröööööhhhhhmm
Wer von Prenzlauer Berg Richtung Norden nach Pankow fährt oder radelt, wird
von tieffliegenden Flugzeugen im Minutentakt begrüßt und mit viel Krach
daran erinnert, dass es ja immer noch den innerstädtischen Flughafen Tegel
gibt. Rrröööööhhhhhmm. Und gleich noch mal: rrrrrööööhhhhmmm.
Doch seit einigen Wochen ist wegen der – weltweiten – Verbreitung des
Coronavirus Besserung zu vermelden: Es gibt stetig weniger Krach, weil
weniger Flieger. „Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum beträgt das
Flugaufkommen derzeit lediglich noch 20 Prozent“, sagt Daniel Tolksdorf,
Sprecher der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB). Pssssttttt. Das gelte
auch für Schönefeld.
Die FBB rechne mit einem weiteren Rückgang, sagt Tolksdorf. Derzeit seien
vor allem Rückkehrer unterwegs, für die es entweder nach Berlin oder von
Berlin zurück an ihre Wohnorte ginge. Und sehr viel Fracht werde geflogen,
darunter Medizin und Medizintechnik.
Das könnte für Pankow – und natürlich auch die noch stärker von Fluglärm
betroffenen ReinickendorferInnen – bedeuten, dass sie ganz sanft von viel
Krach über wenig bei gar keinem landen. Denn bei der FBB sind sie
optimistisch, dass der Eröffnungstermin des BER trotz allen
Corona-Einschränkungen gehalten werden kann.
Vielleicht [2][erleichtert weniger Flugverkehr den Start des BER sogar]:
Dann wäre der Druck, dass alles 100-prozentig funktionieren muss, geringer.
Bert Schulz
## Fahrradfahren ohne Ziel
Die Spielplätze in Pankow sind am Wochenende zwar, anders als in vielen
anderen Bezirken, noch nicht gesperrt. Aber der ungeschriebene
Corona-Knigge [3][verbietet dennoch die Nutzung], jedenfalls werden die
wenigen Eltern, die noch mit dem Nachwuchs im nassen Sand sitzen, ziemlich
strafend angeschaut. Was jetzt? Der Fünfjährige muss jedenfalls an die
frische Luft, der große Bruder übt schon Handstand auf dem Wohnzimmersofa,
so etwas geht nicht lange gut.
Wir sind dann in den Hof gegangen. Wir haben Jägerball gespielt, ich hatte
schon ganz vergessen, wie das geht. Total anstrengend, sehr lustig.
Seilspringen übrigens auch, schon ewig nicht mehr gemacht – der Kreuzsprung
geht sogar noch. Auf dem Gehweg vor unserem Haus hatte ein Vater mit Kreide
Kästchen gemalt, damit die Tochter Hinkekästchen springen kann. Alle gehen
auf Abstand, und dennoch: Irgendwie ist fast mehr Leben um einen herum als
sonst.
Am Samstagnachmittag schnappe ich mir den Kleinen und kündige eine Radtour
an. Wohin es denn gehe, will er mäßig begeistert wissen. Tja, wohin?
Eigentlich gibt es kein Ziel mehr, es hat ja alles zu. „Wir fahren einmal
um den Pudding“, sage ich.
Als Kind auf dem spärlich besiedelten Land musste ich früher ständig „um
den Pudding“ fahren, also quasi eine große Runde ums Haus drehen, weil es
außer der Eisdiele auch kein Ziel gab, wohin man hätte fahren können.
Selten so viel draußen gewesen wie an diesem Wochenende. Und die
Pudding-Runde behalten wir bei, auch nach Corona.
Anna Klöpper
##
## Endlich mal Lehrerin spielen
Es gibt für mich zumindest eine positive Seite an der ganzen Coronasache:
Ich bekomme endlich mal was von der Schule mit. Mein Sohn geht in die
zweite Klasse einer Ganztagsgrundschule. Er hat also keine Hausaufgaben,
die ich mir ansehen könnte – und erzählt ansonsten herzlich wenig, was in
den acht Stunden passiert, die er in der Schule ist. Jetzt darf ich
Heimarbeit mit ihm machen, seine Arbeit kontrollieren und „Häkchen“ drunter
setzen, die Mathe-Aufgaben nachrechnen. Teils bin ich beeindruckt – wie
schnell er schon bis 100 addieren kann –, teils geschockt, etwa über seine
ungelenke Handschrift. Auf jeden Fall schön zu sehen, was und wie er lernt.
Gleichzeitig ist es anstrengend. Im Homeoffice Artikel recherchieren und
schreiben, während alle fünf Minuten ein Achtjähriger reinkommt und „Das
versteh ich nicht“ ruft, ist kein Zuckerschlecken. Umso mehr bin ich mir im
Klaren, wie privilegiert meine Position mal wieder ist. Andere haben jetzt
drei Kinder zu Hause, manche plötzlich kein Einkommen mehr und massive
Sorgen, wie sie Essen und Miete bezahlen sollen. Dazu sollen sie sich noch
[4][um die Hausaufgaben ihrer Kinder kümmern], was sie zum Teil schon
sprachlich gar nicht können. Auch die Kinder, die jetzt in zu engen
Wohnungen aufeinanderhocken und lernen sollen, haben es schlechter als mein
Sohn.
Keine Frage: Auch Corona muss vom Klassenstandpunkt betrachtet werden.
Dennoch freue ich mich jetzt jeden Morgen über unser neues „Schulespiel“.
Susanne Memarnia
24 Mar 2020
## LINKS
[1] /Corona-und-Arbeiten-im-Homeoffice/!5669171
[2] /Eroeffnung-des-Flughafens-BER/!5672874
[3] /Neue-Corona-Einschraenkungen-in-Berlin/!5673641
[4] /Folgen-der-Schulschliessungen/!5670367
## AUTOREN
Alke Wierth
Bert Schulz
Susanne Memarnia
Uwe Rada
Anna Klöpper
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