| # taz.de -- Linken-Politiker über Corona: „Kliniken in die öffentliche Hand… | |
| > Unser Gesundheitssystem ist nicht gut auf Notfälle vorbereitet, sagt | |
| > Achim Kessler. Ein Gespräch über Privatisierungen, Pflege und Pandemie. | |
| Bild: Sauerstoffflaschen auf einer Intensivstation | |
| taz: Herr Kessler, aufgrund schnell steigender Corona-Fallzahlen droht eine | |
| Überbelastung von Krankenhauskapazitäten und Pflegepersonal. Ist das | |
| deutsche Gesundheitswesen gut auf Krisen wie die Corona-Pandemie | |
| vorbereitet? | |
| Achim Kessler: Insgesamt haben wir in Deutschland natürlich eine | |
| hochwertige Gesundheitsversorgung, aber durch die Privatisierung und | |
| Kommerzialisierung des Gesundheitssystems sind in den letzten Jahren immer | |
| weiter Kapazitäten und Behandlungsmöglichkeiten abgebaut worden. Um die | |
| Gewinne zu steigern, wurden in den Krankenhäusern die Löhne gedrückt, | |
| Stellen gestrichen und Arbeit verdichtet. | |
| Das Ergebnis ist der Pflegenotstand, der schon den Alltagsbetrieb zu einer | |
| Herausforderung macht. Vor diesem Hintergrund muss man dann leider sagen, | |
| dass unser Gesundheitssystem für die Pandemie nicht gut aufgestellt ist. | |
| Wenn in sehr kurzer Zeit viele Menschen infiziert werden, dann kommen wir | |
| schnell an die Grenzen des Gesundheitssystems, weil das Personal sowieso | |
| schon nicht ausreicht. | |
| Wie kann ein Personalnotstand verhindert werden? | |
| Ich bin der Meinung, dass die Bezahlung in der Pflege jetzt pauschal um 500 | |
| Euro erhöht werden muss. Diese Menschen leisten unschätzbare Arbeit für | |
| unsere Gesellschaft. Wir müssen versuchen Menschen, die Teilzeit in der | |
| Pflege arbeiten, dazu zu gewinnen, ihre Stunden zu erhöhen. Das wird nur | |
| gelingen, wenn es mit entsprechenden Anreizen verbunden ist. Die | |
| Bundesregierung sollte auch dazu aufrufen, dass sich Menschen melden, die | |
| früher in der Pflege gearbeitet haben und jetzt in anderen Bereichen tätig | |
| sind. | |
| Wie soll diese Lohnerhöhung finanziert werden? | |
| Wir brauchen für solche Aufgaben einen Notfallfonds. Wir haben ja für den | |
| Bereich der Wirtschaft einen Schutzschirm. So einen Fonds brauchen wir auch | |
| für das Gesundheitssystem, um kurzfristige Maßnahmen finanzieren zu können. | |
| Dazu zählt die Einrichtung von Intensivbetten sowie die Einstellung von | |
| zusätzlichem Pflegepersonal in den Krankenhäusern und in den | |
| Pflegeeinrichtungen. | |
| Deutschland verfügt über 28.000 Intensivbetten, davon 25.000 mit | |
| Beatmungsgeräten. Eine im europäischen Vergleich hohe Bettendichte. Klagen | |
| wir auf hohem Niveau? | |
| Das ist ja immer relativ. Im Jahr 2017 hatten wir 500.000 | |
| Krankenhausbetten, im Vergleich zu 1991 ist das ein Viertel weniger. Das | |
| sind die Betten, die uns jetzt fehlen und die nach den Plänen der Regierung | |
| in den Sporthallen und Hotels notdürftig eingerichtet werden sollen. | |
| Natürlich sind 25.000 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten im Vergleich zu | |
| unseren europäischen Nachbarn eine relativ hohe Zahl. Aber Sie müssen | |
| bedenken, dass diese Betten zu 80 Prozent schon mit anderen Patientinnen | |
| und Patienten belegt sind. Deshalb hat die Bundesregierung auch | |
| angekündigt, 10.000 neue Beatmungsgeräte zu beschaffen, | |
| In den letzten Jahren drehte sich die öffentliche Debatte oft um | |
| Überkapazitäten von Krankenhäusern. Wieso kommt es jetzt zu Knappheit? | |
| Ich musste mir in den letzten Jahren ständig anhören, dass unser | |
| Gesundheitssystem kosteneffizienter werden muss, dass wir zu viele Betten | |
| haben, dass Krankenhäuser, vor allem auf dem Land, geschlossen werden | |
| müssen. Davon höre ich jetzt nichts mehr. Im Gegenteil: Nun argumentiert | |
| sogar Gesundheitsminister Spahn damit, dass unser Gesundheitssystem genau | |
| deshalb gut aufgestellt ist. Ich kann nur hoffen, dass sich diese | |
| Erkenntnis festsetzt und dass sie auch nach der Krise noch im Bewusstsein | |
| bleibt. | |
| Die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland ist erlösorientiert. Die | |
| Bezahlung erfolgt pro Patientenfall nach den sogenannten Fallpauschalen. | |
| Daher zögern manche Krankenhäuser, lukrative Operationen zu verschieben, um | |
| Betten für Corona-Patient*innen frei zu machen. Stehen ökonomische | |
| Effizienz und bedarfsgerechte Versorgung in einem Widerspruch? | |
| Diese Finanzierung mit Fallpauschalen ist völlig widersinnig. Stellen Sie | |
| sich mal vor, die Polizei oder die Feuerwehr würden nach der Anzahl ihrer | |
| Einsätze, die sie fahren, bezahlt. Kein Mensch käme auf so eine Idee und es | |
| ist völlig unverständlich, dass so etwas im Gesundheitssystem funktionieren | |
| soll. Wegen der Finanzierung durch Fallpauschalen ist jedes Bett, das nicht | |
| belegt ist, für die Krankenhausbetreiber eine „Überkapazität“, die abgeb… | |
| werden muss. Das bedeutet letztendlich auch, dass keine Kapazitäten | |
| aufrechterhalten werden für Notsituationen. Es gibt keinen Puffer für | |
| Notfälle. | |
| Und vor dem Hintergrund besteht jetzt auch die Gefahr, dass private | |
| Krankenhäuser ihre Betten nicht für Corona-Patienten frei machen, wie sie | |
| von der Bundesregierung aufgefordert sind. Wie ich höre, sieht das | |
| Gesundheitsministerium diese Gefahr auch und plant, nächste Woche eine | |
| Weisungsbefugnis gegenüber privaten Krankenhäusern einzuführen. | |
| Wie kann eine am Gemeinwohl orientierte Versorgung gewährleistet werden? | |
| Wir fordern, dass die Krankenhäuser wieder in die öffentliche Hand | |
| überführt werden. Das bedeutet auch, dass sie wieder selbstkostendeckend | |
| finanziert werden müssen. Die Fallpauschalen müssen abgeschafft werden und | |
| die Krankenhäuser so finanziert werden, dass die Versorgung im Mittelpunkt | |
| steht. Das bedeutet auch, dass zum Beispiel die Gesundheitsämter, die | |
| personell sehr stark unterbesetzt sind, wieder vernünftig finanziert werden | |
| müssen, damit sie ihre Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung übernehmen | |
| können – und zwar nicht nur in der Krise, sondern auch im Normalbetrieb. | |
| In der Pflege müssen wir uns darum kümmern, dass es genug Pflegepersonal | |
| gibt, nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch in den Pflegeheimen. | |
| Das bedeutet, dass die Löhne ordentlich erhöht werden müssen, dass | |
| überhaupt die gesamten Gesundheitsfachberufe, die nach wie vor überwiegend | |
| weiblich sind, anständig bezahlt werden. | |
| Wieso kommt es in diesen Tagen zu vergleichsweise wenig Kritik am Handeln | |
| der Bundesregierung? | |
| Ich teile die Maßnahmen, die die Bundesregierung bis jetzt zur Abflachung | |
| der Epidemie ergriffen hat. Ich finde es richtig, die Bevölkerung | |
| aufzufordern, zu Hause zu bleiben, und bestimmte Geschäfte zu schließen. | |
| Aber darüber hinaus ist es wichtig, sich schon jetzt in der Krise | |
| klarzumachen, dass bestimmte Schwierigkeiten, die wir jetzt haben, | |
| hausgemacht sind und jetzt dringend angegangen werden müssen. | |
| Ich bin der Meinung, dass man Krankenhäuser, wenn sich die Situation weiter | |
| zuspitzt, auch jetzt schon verstaatlichen muss, um das Problem zu lösen. | |
| Damit kann man nicht warten, bis die Pandemie vorbei ist. Wir brauchen | |
| jetzt zudem eine gesellschaftliche Diskussion über weitere Einschränkung | |
| von Bürgerrechten, das kann nicht einfach so verordnet werden. | |
| Stehen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung wie Ausgangssperren in einem | |
| Konflikt mit Bürgerrechten? | |
| Wenn es dazu kommt, dass Ausgangssperren verhängt werden, dann muss das | |
| transparent sein und gesellschaftlich diskutiert werden. Solche Maßnahmen | |
| dürfen nicht ohne Beteiligung von Parlamenten beschlossen werden. Die | |
| bisherigen Maßnahmen, um soziale Kontakte einzuschränken, teile ich wie | |
| gesagt. Wenn es aber jetzt zu generellen Ausgangssperren kommt, dann sehe | |
| ich das sehr kritisch. | |
| 24 Mar 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Sturm | |
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