# taz.de -- Pläne aus 2012 gegen Pandemie: Plötzlich real | |
> Zu wenig Klinikbetten, ein Engpass an Ausrüstung – 2012 haben Behörden | |
> das Szenario einer Viruspandemie durchgespielt. Es passierte – wenig. | |
Bild: Luftwaffe fliegt Corona-Infizierte von Straßburg nach Stuttgart | |
BERLIN taz | Das Szenario ist düster: Ein neuartiges Virus breitet sich | |
über den gesamten Erdball aus. Auch in Deutschland infizieren sich | |
Millionen Menschen. „Die Symptome sind Fieber und trockener Husten, die | |
Mehrzahl der Patienten hat Atemnot.“ Einen Impfstoff gibt es nicht. Die | |
Zahl der Erkrankten übersteigt die Bettenanzahl in den Kliniken „um ein | |
Vielfaches“. Die Folge: „Die medizinische Versorgung bricht bundesweit | |
zusammen.“ | |
So steht es in der Risikoanalyse für eine Viruspandemie, die Behörden unter | |
Federführung des Robert Koch-Instituts (RKI) bereits im Jahr 2012 im | |
Auftrag der Bundesregierung erstellt haben. Bis vor Kurzem hätte wohl jeder | |
Leser des Berichts ein solches Szenario als eher unrealistisch abgetan. | |
Doch heute, in Zeiten der Covid-19 Pandemie, erscheint die [1][Anfang 2013 | |
erschienene Bundestagsdrucksache 17/12051] fast wie ein Blick in die | |
Kristallkugel. Wobei die seinerzeit durchgespielte fiktive SARS-Pandemie in | |
ihren Auswirkungen deutlich extremer ausfällt als die tatsächlich | |
grassierende Corona-Pandemie. | |
Gleichwohl machte die Risikoanalyse zwei Schwachstellen im | |
Gesundheitssystem aus, die einem in Zeiten von Corona sofort bekannt | |
vorkommen. Einmal der befürchtete Mangel an Klinikbetten: „Der aktuellen | |
Kapazität von 500.000 Krankenhausbetten stehen im betrachteten Zeitraum | |
mehr als vier Millionen Erkrankte gegenüber, die im Krankenhaus behandelt | |
werden müssten“, heißt es im Bericht. Außerdem wird vor einem [2][Engpass | |
an Medikamenten, Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung] gewarnt. | |
Ein „Maximalszenario“, keine bindende Wirkung | |
Gefolgt ist aus der Feststellung von 2012, dass Betten und Ausrüstung | |
fehlen, offenkundig wenig. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft haben | |
[3][die knapp 2.000 Kliniken hierzulande heute rund 500.000 Betten] –ebenso | |
viele wie 2012 also. Auch an Schutzausrüstung wie Atemmasken fehlt es. | |
Stellt sich die Frage: Wurden etwa gar keine Konsequenzen aus dem Bericht | |
gezogen? Zumindest vom Bund scheint damals keine große Reaktion ausgegangen | |
zu sein. | |
Ein erster Grund dafür, liegt in der nicht-verbindlichen Natur des | |
Berichts. Das RKI spricht von einem „Maximalszenario (…) um das theoretisch | |
denkbare Schadensausmaß einer Mensch-zu-Mensch übertragbaren Erkrankung mit | |
einem hochvirulenten Erreger zu illustrieren.“ Eine eins-zu-eins-Umsetzung | |
des Berichts war also schlicht nicht vorgesehen. | |
Der andere – und vermutlich gewichtigere Grund dafür, dass der Bericht | |
keine praktischen Folgen nach sich zog, findet sich im föderalen System des | |
deutschen Staates. Es war zwar der Bund, der die Risikoanalyse erstellt hat | |
– über mögliche Reaktionen auf den Bericht bestimmen aber die Länder, etwa | |
was den Katastrophenschutz betrifft. | |
Für die Vorbereitung auf mögliche Katastrophen sind in Friedenszeiten | |
allein die Bundesländer zuständig, der Bund kann dagegen laut Grundgesetz | |
hier nur im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ eingreifen. Bemühungen, dem | |
Bund mehr Kompetenzen beim Bevölkerungsschutz zu übertragen, scheiterten | |
bislang am Veto der Länder. | |
„Definitiv zu wenig passiert“ | |
Aber ist damals wirklich nichts geschehen? Im Idealfall wäre es wohl so | |
gelaufen: Nach Vorliegen des Berichts hätten die Länder ihre eigenen | |
Pandemiepläne so angepasst, dass Schwachstellen beseitigt werden. Eine | |
Nachfrage der taz bei mehreren Ländern, ob damals Konsequenzen aus dem | |
Bericht gezogen wurden, bringt wenig Aufschluss. | |
Doch der Blick in die ländereigenen Pandemiepläne lässt tief blicken. | |
Niedersachsens Influenza-Pandemieplan ist beispielsweise auf dem Stand von | |
Oktober 2006. Auch in anderen Ländern fehlen – ebenso wie im Nationalen | |
Pandemieplan (immerhin zuletzt 2017 aktualisiert) – klare Vorgaben nach dem | |
Motto: So und so viele Schutzmasken sind in jeder Arztpraxis zu bevorraten. | |
Konstantin von Notz, Innenpolitiker der der Grünen im Bundestag, fordert | |
daher Konsequenzen für den Bevölkerungsschutz. Seit der Analyse sei | |
„definitiv zu wenig“ passiert, sagt er der taz. „Sicherlich hat das | |
föderale System seine Berechtigung, beim Katastrophenschutz stoßen wir aber | |
immer wieder an Grenzen“, beklagt er. Er fordert eine klarere | |
Zuständigkeiten, um „Dinge einheitlich umzusetzen“. | |
Den schwarzen Peter allein den Ländern zuzuschieben, greift wohl dennoch zu | |
kurz. So gibt es einen Passus im Infektionsschutzgesetz des Bundes, wonach | |
dieser dann doch durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, die Vorsorge der | |
Gesundheitsversorgung im Fall einer Pandemie zu regeln. | |
RKI-Chef unterschätzte Corona-Gefahr | |
So oder so wurde die Sache unterschätzt. „Pandemie- und Notfallpläne dürfen | |
mittelfristig nicht in der Schublade verstauben“, beklagt | |
Linken-Gesundheitspolitiker Achim Kessler. Sie müssten anhand | |
wissenschaftlicher Kriterien erprobt und angepasst werden, worunter auch | |
die beständige Aktualisierung der Lagerbestände von Schutzausrüstung falle. | |
„All dies haben die Bundesregierung und die Länder versäumt“, beklagt er. | |
Tatsächlich hätte sich wohl kaum ein Politiker, ob in Bund oder Land, eine | |
Pandemie wie Corona wirklich vorstellen können. Anfang 2013 waren die | |
Eurokrise oder Pferdefleisch in Tiefkühllasagne bestimmende Themen. Für | |
Pandemievorsorge war da wenig Platz. | |
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat zuletzt selbst Fehler | |
eingeräumt: „Wir haben auch gute Pandemie-Pläne. Aber wir haben sie nicht | |
genug geübt.“ Und sogar RKI-Chef Lothar Wieler lag falsch, als er noch im | |
Januar prognostizierte, dass sich das Virus „nicht sehr“ stark auf der Welt | |
ausbreiten würde. Ein großer Irrtum. | |
Immerhin: Die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich von einem | |
„erstaunlich selbstkritischen Blick“ im Krisenstab der Bundesregierung – | |
inklusive der Einsicht, dass der Gegenwert „auch nur eines Panzers“ besser | |
in genügend Schutzkleidung investiert worden wäre. | |
7 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/120/1712051.pdf | |
[2] /Gesundheitssystem-in-der-Corona-Krise/!5672466 | |
[3] /Corona-Notstand-in-Krankenhaeusern/!5667615 | |
## AUTOREN | |
Daniel Godeck | |
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