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# taz.de -- Kliniken zurück in öffentliche Hand: Schluss mit Profitstreben
> In Mecklenburg-Vorpommern soll eine Klinik rekommunalisiert werden. Die
> Menschen dort haben genug von den Machenschaften der privaten Betreiber.
Bild: Form des Protests: Ein Kinderwagen auf der Bushaltestelle vor dem Crivitz…
Hamburg taz | Sie haben demonstriert, Mahnwachen abgehalten, Videos
produziert und eine Kinderwagenparade gestartet: Seit Monaten kämpfen
Menschen im mecklenburg-vorpommerischen Crivitz für den Erhalt der Station
für Geburtshilfe und Gynäkologie im dortigen Krankenhaus. Ihnen läuft die
Zeit davon. Denn wenn es nach dem Betreiber der Klinik, Mediclin, geht,
macht die Station spätestens am 30. Juni dicht.
Hinter der Schließung steckt der Plan zweier Kliniken in privater
Trägerschaft: Mediclin, zu 52 Prozent in Asklepios-Hand, und der
Asklepios-Konzern, der in Parchim ein Krankenhaus betreibt, wollen die
Geburtshilfe und Gynäkologie „an einem Standort bündeln“ – in Parchim, …
„qualitätsmedizinischen Erwägungen“.
So richtig glauben will das den Klinikbetreibern aber niemand. Bürger*innen
und Politiker*innen werfen Asklepios und Mediclin vor, ihren
Versorgungsauftrag nicht einzuhalten und einfach Fakten zu schaffen – aus
reinem Profitinteresse ([1][taz berichtete]). Deshalb könnte es jetzt ganz
anders kommen: Der Landkreis Ludwigslust-Parchim will das Krankenhaus in
Crivitz rekommunalisieren.
Die Option steht schon seit Dezember vergangenen Jahres im Raum, nimmt
jedoch immer konkretere Formen an. „Ich möchte dieses Krankenhaus gerne
zurück in die kommunale Familie holen“, sagte Stefan Sternberg, Landrat des
Landkreises, nach einer Sitzung des Kreisausschusses Anfang April in einer
Videomitteilung. Noch sei keine Entscheidung gefallen, man sei in
Verhandlungen. „Da müssen wahnsinnig viele Hausaufgaben gemacht werden.“
Der Verkaufspreis dürfte nicht der einzige schwierige Verhandlungspunkt mit
Mediclin sein. Das Krankenhaus in Crivitz ist laut Jahresabschluss 2018
„bilanziell überschuldet“. Der Landkreis will das Krankenhaus aber nur ohne
Schulden übernehmen.
Ziel des Landrates sei es, am 4. Juni ein belastbares und
zustimmungsfähiges Konzept für die Übernahme vorzulegen, wie sein Sprecher
Andreas Bonin auf taz-Anfrage mitteilt. Dann soll der Kreistag auch über
einen möglichen Kauf abstimmen. Klar sei, dass das Krankenhaus zu 100
Prozent wieder in öffentliche Hand gelangen soll, es also keine Kooperation
mit einem anderen Träger gibt. „Alle sind der Überzeugung, dass der
Standort nur so erhalten werden kann“, sagt Bonin.
Sternberg hat die Idee, die Crivitzer Klinik mit den Krankenhäusern in
Hagenow und Ludwigslust zusammenzuschließen. Beide sind bereits ein Verbund
mit dem Namen „Westmecklenburg Klinikum Helene von Bülow“. Träger sind das
Stift Bethlehem und der Landkreis Ludwigslust-Parchim zu gleichen Teilen.
Durch neue Strukturen und Synergien könne man das Arbeiten der Kliniken
wirtschaftlich machen und sei breiter aufgestellt als Mediclin jetzt, sagt
Bonin.
Rückendeckung für seine Rekommunalisierungspläne bekommt Landrat Sternberg
aus dem mecklenburg-vorpommerischen Landtag. Schon [2][im Dezember
beschloss dieser den Erhal]t der Gynäkologie und Geburtshilfe in Crivitz,
wie auch Julian Barlen, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion,
betont. „Mit Mediclin geht das offenbar nicht. Insofern bin ich sehr offen
dafür, andere Lösungen zu finden.“
## Es galt ein Moratorium
Dass Mediclin schon beschlossen hat, die Geburtshilfe zu schließen,
kritisiert Barlen scharf. Denn bis zum 30. Juni sollte eigentlich ein
Moratorium gelten, während dessen Mediclin mit dem Landrat und dem Land
verhandeln sollte, wie es weitergeht. „Dementsprechend waren alle völlig
entsetzt, als die Nachricht kam, dass Mediclin die Geburtshilfe zum 30.
Juni so oder so abwickelt und Fakten schafft“, sagt Barlen.
Auch die Betriebsvereinbarung, die Mediclin mittlerweile mit dem
Betriebsrat der Crivitzer Klinik geschlossen hat, nennt Barlen einen
Affront. Laut dieser sollen Pflegekräfte klinikintern versetzt werden und
eine Treueprämie erhalten, wenn sie dem zustimmen. Stimmen sie nicht zu,
drohe der Jobverlust. Ärzt*innen und Hebammen hingegen sollen nach Parchim
wechseln. Stimmen sie nicht zu, drohe ihnen die Kündigung. „Solche
Praktiken sind nicht willkommen bei uns“, sagt Barlen.
„Mediclin hat Vereinbarungen getroffen, die im Widerspruch zu dem stehen,
was man im Dezember vereinbart hat“, sagt auch Torsten Koplin,
gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag. Auch er ist
für die Rekommunalisierung der Klinik, wünscht sich aber ein härteres
Vorgehen gegen die privaten Konzerne.
Man könne einen Versorgungsauftrag einer Klinik auch entziehen, wenn diese
den nicht einhält, so wie jetzt in Crivitz. Solch ein Schritt habe aber für
beide Seiten entscheidende Konsequenzen. „Der Träger bekommt dann keine
öffentliche Förderung mehr, ist aus dem Landeskrankenhausplan raus“, sagt
Koplin. Das Land, das dann den Versorgungsauftrag habe, habe dann aber kein
Krankenhaus, mit dem es diesen Auftrag erfüllen könnte.
Über diesen Punkt habe er mit Harry Glawe (CDU), dem Minister für
Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit, gestritten. „Er sagt, es müsse jemanden
geben, der den Auftrag zurückgeben will. Und ich persönlich bin der
Meinung, es ist auch möglich, den Versorgungsauftrag zurückzunehmen, wenn
er nicht erfüllt wird“, sagt Koplin. „In dem Moment wäre das Haus für den
Träger unlukrativ und er würde es von alleine abgeben.“
Glawe sitzt gemeinsam mit Landrat Sternberg und Mediclin nun am
Verhandlungstisch. Dabei war seine Rolle in der Geschichte nicht immer
glücklich. Nachdem in Parchim die Kinderstation schon länger geschlossen
war – angeblich wegen Personalmangels, auch hier gab es [3][begründete
Zweifel an der Argumentation von Asklepios] –, sollte Glawe helfen, die
Situation zu retten.
Sein Verhandlungsergebnis, das er [4][in einer gemeinsamen Pressemitteilung
mit den Konzernen] bekannt gab: Die Kinderstation macht dicht, stattdessen
spendiert das Land einen Kinderarzt für ein „Modellprojekt“. Und die
Geburtshilfe und Gynäkologie in Crivitz schließt. Stattdessen soll eine
Abteilung für Geriatrie, also Altersmedizin, eröffnen. Die Crivitzer
Mitarbeiter*innen erfuhren das alles aus der Presse.
## Keine Garantie für die Geburtshilfe
Für Glawe hagelte es massive Kritik. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig
(SPD) sagte zu Demonstrant*innen vor der Staatskanzlei in Schwerin, sie
verstehe den Frust und finde den Protest richtig. „Ich bin von der
Entscheidung überrascht worden und ich halte sie für falsch.“ Glawe musste
nachverhandeln. Am Ende blieb der Plan für das „Modellprojekt“ für Kinder
in Parchim, die Station in Crivitz erhielt eine Gnadenfrist bis Ende Juni.
Bis dahin sollte ein Konzept erarbeitet werden, wie die Station erhalten
bleiben kann.
Doch so lange wartete Mediclin eben nicht und gab schon Anfang April die
Schließung bekannt. Und die mögliche Rekommunalisierung bietet der
Geburtshilfe auch keine Garantie. Eine Übernahme durch den Landkreis könne
frühestens zum neuen Jahr zustande kommen, sagt Landrat Sternberg.
Bis dahin ist die Station dicht und vermutlich auch das Personal weg. Die
Chefärztin arbeitet mittlerweile schon in Parchim. Nach taz-Informationen
haben zwei Oberärzt*innen die Kündigung erhalten und Hebammen sich
ebenfalls andere Stellen gesucht, aus Angst vor der schlechten beruflichen
Zukunft. Am ersten Wochenende im Mai hätte sich die Abteilung schon von der
Versorgung abmelden müssen. Weil auch die Abteilung in Parchim über das
Wochenende schließen sollte, organisierten sich die Crivitzer
Mitarbeiter*innen so, dass ihre Station doch offen bleiben konnte und
Frauen dort entbinden konnten.
## Zweifel an der Personalsuche
Laut Mediclin ist der Personalmangel einer der Gründe für die Schließung
der Geburtshilfe und Gynäkologie. Seit Jahren begleite die Klinik ein
eklatanter Mangel an Fachkräften, sagt Mediclin-Sprecherin Gabriele
Eberle. Doch daran, dass Mediclin wirklich nach Personal gesucht hat,
bestehen Zweifel. Laut einem [5][Bericht der Schweriner Volkszeitung] aus
dem Januar waren auf den einschlägigen Portalen keine Stellenanzeigen für
Hebammen zu finden.
Das Vorgehen ähnelt dem von Asklepios in Parchim, wo sich über einen
Ärzt*innenmangel beklagt wurde, aber gleichzeitig Ärzt*innen entlassen
wurden, und erst nachdem sich die Politik eingeschaltet hatte,
Stellenanzeigen geschaltet wurden.
Aber warum hängen die Menschen so an der Entbindungsstation des kleinen
Krankenhauses mit gerade einmal 74 Betten? Zum einen gibt es die politische
Entscheidung zum Erhalt, die der Landtag getroffen hat. Die Geburtshilfe in
Crivitz habe einen besonderen Stand, sei so beliebt, dass Frauen auch von
weit her zur Entbindung kämen, sagt Anna Schade. Sie ist eine von vielen,
die sich für den Erhalt der Abteilung einsetzt und den Protest gegen die
Schließung mit organisiert.
Dass Frauen, die eigentlich in Crivitz entbinden wollen, künftig nach
Parchim fahren würden, glaubt sie nicht, denn in Notfällen sei wegen der
geschlossenen Kinderklinik in Parchim nun das Krankenhaus in Schwerin das
nächste für die Versorgung von kranken Kindern. Crivitzer*innen müssten
also erst etwa 20 Kilometer Richtung Parchim fahren, und im Notfall dann
wieder über Crivitz nach Schwerin. Sicher scheint die Zukunft der
Geburtshilfe in Parchim außerdem auch nicht. Auch dort fehlt es an
Personal, und nach Informationen der taz wollen die Crivitzer*innen
größtenteils nicht nach Parchim wechseln.
## Landtag setzt Enquetekommission ein
„In Parchim und Crivitz haben wir es mit Rosinenpickerei zu tun“, sagt
SPDler Barlen. Es werde in lukrative Abteilungen investiert, andere
Bereiche dagegen vernachlässigt. „Was da jetzt passiert, hat schon eine
neue Qualität“, sagt er. „Als Staat muss man da selbstbewusst auftreten und
sagen: So geht es nicht.“ Es müsse nun stärker geschaut werden, welche
rechtlichen Möglichkeiten bestünden und welche Optionen der
Landeskrankenhausplan biete, damit „die Struktur nicht dem Markt überlassen
wird“.
Der Landtag beschloss in der vergangenen Woche, eine [6][Enquetekommission
zur „Zukunft der medizinischen Versorgung“] einzusetzen. Darin sollen
Fachleute gemeinsam mit Abgeordneten beraten, wie die Gesundheitsversorgung
im Land sichergestellt werden kann.
Anlässlich einer weiteren Debatte über das Krankenhaus in Crivitz äußerte
Barlen erneut Kritik an Mediclin. Das Zustandekommen der
Betriebsvereinbarung werfe Fragen auf, da in der Präambel stehe, dass die
Schließung der Geburtshilfe zwingend und ein Ergebnis der gemeinsamen
Lösungssuche zwischen Mediclin und Ministerium sei. Das sei schlicht
falsch, sagt Barlen. „Da diese falsche Behauptung die Grundlage für die
Unterschrift auch des Betriebsrates ist, sollte der Betriebsrat den Vertrag
unverzüglich anfechten. Eine vorsätzliche Täuschung bietet hierfür alle
Möglichkeiten.“ Laut Barlen könne so Zeit gewonnen werden, in der der
Betrieb der Klinik in die Hand der Kommune übergehen könnte.
16 May 2020
## LINKS
[1] /Asklepios-schliesst-Kinderstation/!5649082
[2] http://www.dokumentation.landtag-mv.de/parldok/dokument/45103/paediatrische…
[3] /Asklepios-schliesst-Kinderstation/!5625777
[4] https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/wm/Aktuell/?id=155837&&…
[5] https://www.svz.de/lokales/schwerin-umland/Geplantes-Aus-der-Geburtenstatio…
[6] https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Parlamentsdokumente/Dru…
## AUTOREN
Marthe Ruddat
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