# taz.de -- Berater über rassistische Polizeigewalt: „Man kann der Polizei n… | |
> Immer wieder sterben Schwarze Menschen und Menschen of Color in Gewahrsam | |
> oder durch Polizeischüsse, sagt Biplab Basu. Aufgeklärt werde das selten. | |
Bild: „Die meisten glauben immer noch an die Erzählung der Polizei als ‚Fr… | |
taz: Herr Basu, die Recherchegruppe von „Death in Custody“ hat 138 Fälle | |
seit 1993 dokumentiert, in denen von Rassismus betroffene Menschen in | |
Gewahrsam gestorben sind. Wie kam sie an diese Informationen? | |
Biplab Basu: Zum Thema Tod in Gewahrsam gibt es keine offiziellen | |
Statistiken und die Beschäftigung mit dieser Art von institutioneller | |
Gewalt ist neu. Bei den 138 Getöteten handelt es sich um Fälle, über die in | |
verschiedenen Zeitungen, dem Bürgerrechtsmagazin Cilip sowie von der | |
Dokumentationsstelle Antirassistische Initiative berichtet wurde. | |
Glauben Sie, das sind wirklich alle Fälle? | |
Wir gehen davon aus, dass es eigentlich noch viel mehr Fälle sind. Aber da | |
wir keinen Zugang zu den Archiven von Tageszeitungen haben, können wir die | |
Recherchen nicht selbst in die Hand nehmen. Ein weiterer Anhaltspunkt für | |
uns war das [1][taz-Dossier] zu tödlichen Polizeischüssen aus dem Jahr | |
2017. Ausgehend von dieser Veröffentlichung haben wir uns spezifisch mit | |
den Getöteten beschäftigt, die von Rassismus betroffenen waren. | |
Die Recherchegruppe dokumentiert nicht nur Fälle von tödlichen | |
Polizeischüssen, sondern alle „Fälle von Tod in Gewahrsam“. Was genau ist | |
damit gemeint? | |
Es geht um Situationen und Orte, in und an denen Menschen staatlichen | |
Akteuren potenziell ausgeliefert sind, zum Beispiel in Polizeistationen, | |
Polizeifahrzeugen und Gefängnissen, aber auch in Psychiatrien, | |
Krankenhäusern, Pflege-, Geflüchteten- und Kinderheimen. Was hier passiert, | |
bleibt meist hinter verschlossenen Türen und ist dementsprechend schwer zu | |
kontrollieren. Die von uns dokumentierten Todesgeschichten sind die Spitze | |
des institutionellen Rassismus. Dieser fängt aber viel früher an: Damit, | |
wer auf der Straße kontrolliert wird, wer von der Polizei verprügelt wird, | |
wem man vor Gericht glaubt. | |
Erkennt Sie irgendeine Entwicklung, eine Zu- oder Abnahme der Todesfälle? | |
Die Zahl der Fälle bleibt mehr oder weniger konstant, und sie verteilen | |
sich auf die gesamte Bundesrepublik. Was zugenommen hat, ist die | |
Dämonisierung der Opfer. Die meisten Menschen glauben immer noch an die | |
Erzählung der Polizei als „Freund und Helfer“: Wenn die Polizei zur | |
Schusswaffe greift und abdrückt, dann muss es einen Grund gegeben haben; | |
dann hat es sich sicher um einen Verbrecher gehandelt. Solange wir nicht | |
von diesem Bild von Schuld und Unschuld abrücken, wird es keine gründlichen | |
Untersuchungen zum Thema Polizeigewalt geben. | |
Wenn sich nicht-weiße Menschen an staatliche Behörden wenden, erleben sie | |
auch gerade dort Rassismus. Wie können sich BIPOC (Black Indigenous People | |
of Color) in Deutschland noch sicher fühlen? | |
Meine Antwort klingt vielleicht zynisch. Aber als nicht „normdeutsche | |
Person“ muss man mit dieser Gewalt leben und leben lernen. Das versuche ich | |
den Menschen, die ich berate, beizubringen. In den letzten Jahren wurde | |
viel über die Verstrickung der Polizei mit rechtsradikalen Netzwerken | |
berichtet. Aber ein Polizist braucht keine direkten Verbindungen zur AfD | |
oder zu Neonazis, um rassistisch zu handeln. Die Auseinandersetzung mit | |
Alltagsrassismus muss eine gesellschaftliche Priorität werden. Wir als | |
Kampagne wollen zeigen, dass staatliche Institutionen nicht neutral sind. | |
2005 verbrannte [2][Oury Jalloh] in einer Polizeizelle in Dessau. Obwohl | |
alle Fakten dagegen sprechen, beharrt die Polizei auf der Erzählung von | |
Selbstanzündung und Suizid. Wie können effektive Schutzmechanismen für | |
Menschen in Gewahrsam aussehen? | |
Da gibt es in linken Gruppen und auch bei Death in Custody ganz | |
verschiedene Ansichten. Meine persönliche Meinung ist, dass jeder | |
Polizeieinsatz und jedes Polizeiauto gefilmt werden sollte. Ständig kommen | |
Menschen zu mir in die Beratungsstelle, die davon berichten, dass sie in | |
den Einsatzwägen der Polizei geschlagen wurden. Auch Polizeizellen und | |
Polizeiflure müssten 24 Stunden beobachtet werden. Jetzt kann man mir | |
vorwerfen, dass ich die Polizei unter einen Generalverdacht stelle – und | |
ich muss sagen: Ja, unsere Erfahrung zeigt, dass man der Polizei nicht | |
trauen kann. | |
Gibt es Beispiele von erfolgreicher Aufklärung? | |
Es gibt Fälle, in denen Polizisten verurteilt wurden. 2008 wurde der | |
26-jährige Dennis J. im brandenburgischen Schönfließ mit acht Polizeikugeln | |
erschossen. Die verantwortlichen Beamten kamen aber nicht ins Gefängnis, | |
sondern erhielten Bewährungsstrafen. Von der Polizeigewerkschaft werden sie | |
seitdem finanziell unterstützt. Sowas macht mich unglaublich wütend. | |
Wurde Rassismus als Grund für die Tötung benannt? | |
Nein, über Rassismus spricht man im Gerichtssaal nie. | |
Was sind die nächsten Schritte und Forderungen der Kampagne? | |
Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Fälle. Rassismus ist nicht nur | |
der Grund für die Tötung von Menschen, sondern auch der Grund für das | |
Ignorieren und Vergessen ihrer Geschichten. Niemand kennt mehr den Namen | |
von Ahmed Amad, der in Kleve, ähnlich wie Oury Jalloh, in einer | |
Gefängniszelle verbrannt wurde. Wir müssen diese Geschichten immer wieder | |
erzählen. Außerdem müssen wir uns bundesweit vernetzen, damit Angehörige | |
sich an uns wenden können. Die Aufgabe des Staates wiederum ist es, | |
Statistiken zu erheben und transparent zu machen, welche Menschen wo bei | |
Polizeieinsätzen und in Gewahrsam sterben. | |
Haben Sie das Gefühl, dass die Debatte um Rassismus jetzt nach Hanau | |
überall in der Gesellschaft angekommen ist? | |
Nein. „Nach Hanau“ – das ist schon jetzt zu einer Floskel geworden. Nach | |
dem NSU hat sich nichts verändert und auch jetzt wird es weitere | |
rassistische Morde geben. Es gibt immer noch Verleugnungsstrategien, die | |
Theorie vom Einzeltäter. Die Forderung nach solchen Anschlägen lautet | |
immer: Sicherheitsbehörden stärken und Grenzen dicht machen. Wir brauchen | |
das Gegenteil:Wir müssen die staatlichen Institutionen in Verruf bringen. | |
Am 15. März, dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt, sollte eine von | |
Death in Custody organisierte bundesweite Demonstration gegen rassistische | |
Polizeigewalt in Berlin-Moabit stattfinden. Sie ist wegen der Ausbreitung | |
des Coronavirus abgesagt worden. | |
14 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Julia Wasenmüller | |
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