# taz.de -- Streit im Fall Matiullah Jabarkhil: Tödliche Schüsse | |
> Vor zwei Jahren erschoss ein Polizist den Afghanen Matiullah Jabarkhil – | |
> aus Notwehr, heißt es. Noch immer kämpfen Unterstützer:innen um | |
> Aufklärung. | |
Bild: Vor dieser Bäckerei hatte Matiullah Jabarkhil angeblich mit Steinen gewo… | |
BERLIN taz | 12 Schüsse feuerte der Polizeibeamte auf Matiullah Jabarkhil | |
ab, zwei davon waren tödlich. Der 19-Jährige Afghane, der unweit des | |
Tatorts in einer Unterkunft für Geflüchtete lebte, starb noch vor Ort. | |
Genau zwei Jahre ist dieser Vorfall im hessischen Fulda nun her. Die | |
offenen Fragen aber sind noch lange nicht beantwortet. | |
Das gegen den [1][Polizisten] eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im | |
Januar 2019 eingestellt, im März wieder aufgenommen und im August zum | |
zweiten Mal eingestellt. Die tödlichen Schüsse seien „durch Notwehr | |
gerechtfertigt“, hieß es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft | |
Fulda. | |
Jabarkhil habe den Auslieferungsfahrer einer Bäckerei sowie einen | |
Streifenbeamten mit einem faustgroßen Stein verletzt und sei anschließend | |
mit dem Teleskopschlagstock des Polizisten geflohen. Bei der Verfolgung | |
durch den Beamten seien Schüsse abgegeben worden, die den Afghanen | |
verfehlten. Als der junge Mann den Beamten mit dem Schlagstock angegriffen | |
habe, habe dieser erneut geschossen und Jabarkhil tödlich verwundet. | |
## Beschwerde gegen Einstellung | |
Die Gruppe [2][Afghan Refugees Movement] zweifelt an der Darstellung der | |
Staatsanwaltschaft. „Wir fordern eine unabhängige Aufklärung“, sagt | |
Sprecherin Sarmina Stuman. „Matiullah hatte weder Schusswaffe noch Messer. | |
Er war nur 1,70m groß. In den frühen Morgenstunden war niemand anderes | |
gefährdet. Warum hat man nicht Verstärkung gerufen?“ | |
Stuman ist in Kontakt mit Jabarkhils Angehörigen in Afghanistan, deren | |
Anwältin Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung eingereicht hat. Dass | |
der beschuldigte Polizeibeamte nach acht Tagen, also noch vor Abschluss der | |
Ermittlungen, wieder im Dienst war, zeugt für Stuman von | |
[3][institutionellem Rassismus]. | |
Warum konnten die vier bis fünf anwesenden Polizeibeamten den jungen Mann | |
nicht lebend festnehmen? Diese Frage lässt auch Abdulkerim Demir, den | |
Vorsitzenden des Ausländerbeirats in Fulda, nicht los. Der Polizeieinsatz | |
sei unangemessen eskaliert, hatte er bereits kurz nach dem Vorfall | |
kritisiert und dafür massiven Gegenwind erfahren. Und das nicht nur von AfD | |
und den Identitären, sondern auch von der CDU: Fuldas Oberbürgermeister | |
Heiko Wingenfeld und Landrat Bernd Woide (beide CDU) wandten sich an das | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), um Demirs Tätigkeit als | |
Leiter von Integrationskursen überprüfen zu lassen. | |
Die beiden Politiker zweifelten öffentlich an Demirs Bekenntnis zu | |
Rechtsstaat und Grundgesetz. Man erwarte, dass dieser „Vertrauen in unsere | |
Institutionen fördert – im Besonderen auch in die Polizei und die Justiz“, | |
heißt es in einer Stellungnahme. Der Vorsitzende des Ausländerbeirats hält | |
dennoch an seiner Kritik fest: „Hätte ich kein Vertrauen in das | |
Grundgesetz, dann hätte ich den Mund gehalten“, sagt er auf taz-Anfrage. | |
„Aber zum Glück herrscht in Deutschland Demokratie. Und das Grundgesetz | |
gibt mir das Recht, den Staat zu kritisieren.“ | |
## „Es wird uns schwer gemacht“ | |
Über 250 Hassnachrichten habe er seit seiner öffentlichen Kritik am | |
Polizeieinsatz erhalten, sagt Demir, darunter zahlreiche Morddrohungen. Die | |
Staatsanwaltschaft habe die Ermittlungen jedoch immer wieder eingestellt. | |
Nach der Gedenkveranstaltung für Matiullah Jabarkhil vor einem Jahr hat die | |
Polizei Fulda vier Teilnehmer:innen wegen Beleidigung, Verleumdung und | |
übler Nachrede angezeigt, darunter auch Stuman als Anmelderin der | |
Demonstration. „Es wird uns auf jeden Fall so schwer wie möglich gemacht“, | |
sagt Stuman. „Ich habe das Gefühl, dass der Rechtsstaat gegen uns verwendet | |
wird, um alles zu unterdrücken.“ | |
Auch die Autor*innen eines [4][Gastbeitrags auf Belltower News] haben | |
Anzeigen bekommen, „unter anderem wegen übler Nachrede“, wie sie sagen. Die | |
Redaktion von Belltower News erklärt in einem Vermerkt unter dem Text, dass | |
dort ursprünglich gestanden habe, Jabarkhilsei sei durch zwölf Schüsse | |
gestorben. | |
In diesem Jahr wurde ein angemeldeter Trauermarsch, bestehend aus zwei | |
Personen, von der Stadt Fulda mit Verweis auf die Corona-Verordnung | |
[5][verboten]. Das diesjährige Gedenken an Matiullah Jabarkhil findet | |
deshalb online statt. Für die Anwaltskosten und die Finanzierung eines | |
unabhängigen, rechtsmedizinischen Gutachtens bittet das Afghan Refugees | |
Movement um Spenden. | |
13 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Berater-ueber-rassistische-Polizeigewalt/!5671660 | |
[2] https://www.facebook.com/afghanrefugeesmovement/ | |
[3] /Berater-ueber-rassistische-Polizeigewalt/!5671660 | |
[4] https://www.belltower.news/polizeigewalt-in-fulda-nach-12-toedlichen-schues… | |
[5] /Politische-Bewegungen-in-Corona-Zeiten/!5674569 | |
## AUTOREN | |
Henrike Koch | |
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