# taz.de -- Nach dem Tod eines Flüchtlings: Radikale Rechtsmittel | |
> 2018 starb in Fulda ein afghanischer Flüchtling – durch Polizeischüsse. | |
> Der juristische Streit um einen polizeikritischen Artikel geht nun | |
> weiter. | |
Bild: Fulda im April 2018: Einschlagstellen von Steinwürfen in der Fenstersche… | |
Es war nur ein kurzes Aufatmen [1][für die Journalist*innen Leila Robe | |
und Darius Reinhardt und den Fuldaer Sozialwissenschaftler Philipp | |
Weidemann]. Am 22. August 2022 hatte sie das Fuldaer Landgericht vom | |
Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen. Doch wenige Tage später | |
erhielten ihre Anwälte*innen die Mitteilung, dass die Fuldaer | |
Staatsanwaltschaft ein bislang unbegründetes Rechtsmittel gegen das Urteil | |
eingelegt hat. Damit könnten die juristischen Auseinandersetzungen um einen | |
polizeikritischen Artikel in die nächste Runde gehen. | |
Zum Hintergrund: Am 13. April 2018 gab ein Polizist in Fulda tödliche | |
Schüsse auf den afghanischen Flüchtling Matiullah Jabarkhel ab. | |
Vorausgegangen war ein Streit zwischen dem Jugendlichen und einem | |
Lieferanten eines Bäckereigeschäfts sowie im Anschluss mit den | |
hinzugerufenen Polizist*innen. Im Zuge der Auseinandersetzung hatte der | |
Angreifer den Polizist*innen einen Schlagstock entwendet und damit | |
einen Beamten verletzt. | |
Ein Jahr später veröffentlichten die Journalist*innen Leila Robel und | |
Darius Reinhard bei Belltower-News, der Onlineplattform der Amadeu Antonio | |
Stiftung, [2][einen Artikel], in dem sie sich kritisch mit den Reaktionen | |
der Fuldaer Stadtgesellschaft auf den Tod des jungen Afghanen | |
auseinandersetzten. Während die afghanische Community und einige | |
Unterstützer*innen eine lückenlose Aufarbeitung forderten, sahen | |
konservative Politiker*innen und Medien in der Kritik an der Polizei | |
einen Angriff auf den Rechtsstaat, so der Tenor ihrer Kritik. Tatsächlich | |
stellten sich sowohl die Fuldaer CDU als auch die AfD mit ihrer | |
Galionsfigur Martin Hohmann sofort hinter die Polizei. | |
Vorgeworfen wurde Reinhardt und Robel von der Anklage, sie hätten das | |
Tatgeschehen als Hinrichtung erscheinen lassen, weil sie im Artikel | |
geschrieben hatten, Matiullah sei mit zwölf Schüssen getötet worden. | |
Tatsächlich hatte der Polizist zwölf Schüsse abgefeuert. Allerdings trafen | |
nur vier Matiullah, zwei waren tödlich. | |
## Rassistische Stereotype | |
„Es ging uns nie darum, dem Polizisten vorzuwerfen, er hätte aus | |
rassistischen Motiven zwölf Schüsse auf Matiullah abgegeben“, erklärte | |
Leila Robel gegenüber der taz. Sie hätten in dem Artikel der Frage | |
nachgehen wollen, welche Rolle rassistische Stereotype, die in der | |
Mehrheitsgesellschaft tief verankert sind, bei dem Tod von Matiullah auch | |
unbewusst gespielt hätten. | |
Auch der Staatsanwalt sah den Artikel von der Meinungsfreiheit gedeckt und | |
beantragte am 22. August Freispruch für die Angeklagten. Deshalb ist es für | |
Rechtsanwalt Sven Adam, einen der Verteidiger in dem Prozess, besonders | |
unverständlich, dass die Staatswaltschaft nun Rechtsmittel gegen den | |
Freispruch einlegt hat. „Der Verfolgungswille von bestimmten | |
Oberstaatsanwälten in der Staatsanwaltschaft Fulda in Fällen kritischer | |
Berichterstattung über die Umstände des Todes von Matiullah Jabarkhel ist | |
mit dem Handeln einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde nicht mehr | |
erklärbar“, erklärte Adam gegenüber der taz. | |
Er hält den Freispruch weiterhin nicht nur juristisch geboten sondern auch | |
für alternativlos. „Die Anklage hätte nie erhoben werden dürfen“, sagt | |
Rechtsanwalt Nils Spörkel, der ebenfalls an dem Verfahren beteiligt war. | |
Jannik Rienhoff, der dritte in dem Prozess involvierte Rechtsanwalt, | |
fordert von der Staatsanwalt die Rücknahme der Rechtsmittel. | |
Um die Person zu ermitteln, die den polizeikritischen Artikel von Robel und | |
Reinhardt über Facebook geteilt hat, durchsuchte die Polizei am 17. Oktober | |
2019 im osthessischen Haunetal die Wohn- und Redaktionsräume des | |
Journalisten Timo Schadt, der als Verantwortlicher einer lokalen | |
[3][Facebook-Gruppe eingetragen war]. Das wiederum führte zur Anklage gegen | |
den Fuldaer Wissenschaftler Philipp Weidemann. Auch sein Freispruch wird | |
von der Staatsanwaltschaft nun angefochten. | |
Darius Reinhardt betont gegenüber der taz, dass der Anlass des Artikels | |
nicht in Vergessenheit geraten dürfe. „Es waren die Schüsse auf Matiullah | |
Jabarkhel, wegen denen niemand angeklagt und verurteilt wurde.“ | |
5 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Fragwuerdige-Polizeiaktion-in-Hessen/!5679277 | |
[2] https://www.belltower.news/polizeigewalt-in-fulda-nach-12-toedlichen-schues… | |
[3] /Fragwuerdige-Polizeiaktion-in-Hessen/!5679277 | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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