# taz.de -- Gedenken an Oury Jalloh in Dessau: „Wie lange sollen wir noch war… | |
> Vor 15 Jahren verbrannte Oury Jalloh unter zweifelhaften Umständen in | |
> Polizeigewahrsam. Am Dienstag erinnerten AktivistInnen an den Sierra | |
> Leoner. | |
Bild: Dessau, 7. Januar: Demonstrant:innen legen vor der Staatsanwaltschaft Feu… | |
DESSAU taz | Über 500 Menschen haben am Dienstag in Dessau an den [1][Tod | |
des Sierra Leoners Oury Jalloh] erinnert. Sie folgten einem Aufruf der | |
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. „Die 15 Jahre lange | |
Ermittlungsarbeit im Fall Oury Jalloh ist geprägt von verschwundenen oder | |
manipulierten Beweismitteln, von zahlreichen Widersprüchen in den | |
Zeugenaussagen sowie der Verschleppung und anhaltenden Vertuschung durch | |
die Ermittlungsbehörden von Polizei und Justiz,“ heißt es in dem Aufruf. | |
Mit Bussen waren die DemonstrantInnen am Morgen aus Köln und Berlin | |
angereist, auch aus Hamburg und Nürnberg waren Menschen gekommen. Sie | |
versammelten sich am Mittag vor dem Bahnhof in Dessau. | |
Saliiou Diaollo, Jalloh Bruder, war am Vortag aus Guinea nach Deutschland | |
gereist. „Ihr habt nach Beweisen gefragt und wir haben alle Beweise | |
geliefert“, sagte er an die deutsche Justiz gerichtet. „Wir kommen seit | |
2005 jedes Jahr hier her. Wie viele Jahre sollen wir noch warten, bis | |
Gerechtigkeit da ist?“ | |
Moctar Bah, ein Freund des Toten und Gründer der Initiative Gedenken an | |
Oury Jalloh, erinnerte an seine letzte Begegnung mit Jalloh. „Er war am | |
Donnerstag Abend im meinem Internetcafe. Dann hat er sich verabschiedet und | |
wir haben ihn nie wieder gesehen.“ Doch ebenso wenig wie er für möglich | |
gehalten habe, was mit Jalloh geschehen ist, habe er sich vorstellen | |
können, dass 15 Jahre später immer noch so viele Menschen mit ihm auf die | |
Straße gehen, um Aufklärung in dem Fall zu fordern, sagte Bah. | |
## Aufklärungschancen wurden vertan | |
Polizisten beobachteten die Eröffnungskundgebung, hielten sich aber im | |
Hintergrund. Am frühen Nachmittag zogen die Menschen durch die Innenstadt | |
von Dessau zum Polizeirevier in der Wolfgangstraße. Dort war Jalloh am | |
Mittag des 7. Januar 2005 verbrannt. | |
An der Demo nahm auch Henriette Quade teil,die innenpolitische Sprecherin | |
der Linken-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Das vergangene Jahr habe | |
[2][erschreckend vor Augen geführt], dass der Wille zur politischen | |
Aufarbeitung in Sachsen-Anhalt nicht mehrheitsfähig sei, sagte sie. Der | |
Landtag habe die Chance zur Aufklärung durch die Ablehnung eines | |
Untersuchungsausschusses vertan. | |
Die Arbeit der von der Koalition angekündigten Sachverständigen sei immer | |
wieder verzögert worden. Sie halte nach wie vor neue Ermittlungen für | |
notwendig, der Generalbundesanwalt wäre die richtige Instanz, so Quade. Die | |
jährlichen Demonstrationen in Dessau am Todestag Jallohs seien enorm | |
wichtig. „Ohne sie wäre dieser Justiz- und Politikskandal wahrscheinlich | |
schon in Vergessenheit geraten.“ | |
Lange Zeit war die Justiz offiziell davon ausgegangen, dass der an Händen | |
und Füßen gefesselte Jalloh sich in der [3][Gewahrsamszelle] Nummer fünf | |
selbst angezündet hatte. Erst 2017 hatte der ermittelnde Oberstaatsanwalt | |
Folker Bittmann dies revidiert – und ging seither davon aus, dass Jalloh | |
angezündet wurde. Allerdings wurde Bittmann der Fall kurz nach entzogen, | |
das Verfahren wurde eingestellt. | |
## (Zu) viele Ungereimtheiten | |
Auch nachdem immer weitere Indizien bekannt geworden waren, die für einen | |
Mord sprechen, hatte das Oberlandesgericht Naumburg im Oktober 2019 eine | |
sogenannte Klageerzwingung abgelehnt. Der Antrag der Familie Jallohs hatte | |
sich gegen die Entscheidung des Generalstaatsanwaltes in Naumburg | |
gerichtet. Dieser hatte akzeptiert, dass die Staatsanwaltschaft in Halle | |
den Fall im Oktober 2017 zu den Akten gelegt hatte. | |
Im November 2019 legte die Familie Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht | |
ein. Die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen seien | |
nicht unvoreingenommen gewesen sowie lückenhaft und zögerlich durchgeführt | |
worden, sagte die Rechtsanwältin Beate Böhler damals. Die Ermittlungen | |
hätten „ausschließlich der Bestätigung der Selbstentzündungsthese“ gedi… | |
In ihrer Weihnachtsausgabe [4][hatte die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) | |
berichtet], wie sich der 85-jährige Rentner Willi Retzlaff aus Straßberg im | |
Harz an die Redaktion gewandt hatte. Er wollte 5.000 Euro an die Familie | |
des Toten spenden und bat die Zeitung um Hilfe, die Summe weiter zu leiten. | |
„Der deutsche Staat hat das Gewaltmonopol. Damit bin ich als Deutscher auch | |
zum Teil am gewaltsamen Tod Jalloh schuld,“ sagte Retzlaff der MZ. Die | |
Redaktion half dem Mann und sorgte über die Berliner Anwältin der Familie | |
dafür, dass seine Spende die Familie und ein SOS-Kinderdorf in Guinea | |
erreichte. | |
7 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-15-Jahren-starb-Oury-Jalloh/!5650368 | |
[2] /Mutmasslicher-Mord-an-Oury-Jalloh/!5633806 | |
[3] /Tod-im-Gewahrsam/!5630024 | |
[4] https://www.mz-web.de/landkreis-harz/todesfall-oury-jalloh-warum-rentner-au… | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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