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# taz.de -- Jobs in den neuen 20er Jahren: Wie werden wir arbeiten?
> Die Arbeit der Zukunft wird von der Digitalisierung geprägt. Müssen
> deshalb gleich Millionen Jobs und ganze Berufe verschwinden?
Bild: Wie die Arbeit aussehen könnte…
Selbstfahrende Linienbusse. Pflegeroboter, die Menschen waschen.
Algorithmen, die Gerichtsurteile fällen. Die Arbeit der Zukunft wird von
der Digitalisierung geprägt. In Deutschland gehen zwar viele Menschen von
großen Veränderungen aus, doch nur wenige denken, dass sie selbst betroffen
sein werden. Nur drei Prozent stimmen der Aussage zu, dass sie ihren Job an
Computer oder Maschinen verlieren könnten. Das [1][ergab eine Studie], die
das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und die Zeit im Mai veröffentlichten.
Auch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur
für Arbeit (IAB) gibt zu dem Stichwort „Digitalisierung“ vorerst
Entwarnung. „Digitalisierung wird nur sehr wenige Berufe verschwinden
lassen“, [2][heißt es da]. Gleichzeitig zeichnet der [3][„Job-Futuromat“]
des IAB ein anderes Bild.
Auf Basis von Daten der Agentur für Arbeit kann man dort über eine
Suchzeile 4.000 verschiedene Berufe anwählen. Der Futuromat zeigt das
Substitutionspotenzial des jeweiligen Berufs an – also die Ersetzbarkeit in
Prozent. Für kaum einen Beruf liegt diese Zahl bei null, für einen Großteil
sogar über 50 Prozent. Was genau passiert denn nun mit dem Arbeitsmarkt?
„Das können wir ohne Kristallkugel schwer beantworten“, sagt Martin Ehlert.
Er forscht am WZB zur Arbeitswelt. Momentan ginge es dabei noch darum,
„eine Idee davon zu bekommen, wo wir gucken müssen“. Dafür sei der
Job-Futuromat ein gutes Instrument. Er schlüsselt die Tätigkeiten eines
jeden Berufes auf. Einzelne Tätigkeiten seien in allen Berufen ersetzbar,
sagt Ehlert.
## Heißt Umwälzung Jobverlust?
Der Futuromat liefert zu jedem Beruf aber auch die Entwicklung der
Beschäftigungszahlen und der Bezahlung. Bei manchen Berufen werden in
diesen Zahlen bereits die „große Umwälzungen vom Arbeitsmarkt“ sichtbar,
die das IAB für die nähere Zukunft prognostiziert. Doch heißt nicht
Umwälzung automatisch immer auch Jobverlust?
Jein. „Der Job-Futuromat ist eine interessante Sache, aber natürlich sehr
theoretisch: Selbst bei Jobs, wo die Ersetzbarkeit bei 100 Prozent liegt,
arbeiten noch immer Leute“, sagt Arbeitsforscher Ehlert. In einigen Berufen
lohnen sich die Kosten der Digitalisierung nicht, bei anderen gibt es
rechtliche Hürden. Tatsächlich werden laut IAB bis zum Jahr 2035 rund 1,5
Millionen Arbeitsplätze abgebaut sein. Zeitgleich sollen aber fast genau so
viele neu geschaffen werden.
Ein Blick in die aktuellen Zahlen zeigt, dass die Arbeitslosigkeit zurzeit
trotz zunehmender Technisierung sinkt. Im November 2019 lag die
Arbeitslosenquote bei knapp 5 Prozent. Das sind 7 Prozentpunkte weniger als
vor 15 Jahren. Wie passt das mit der zunehmenden Digitalisierung zusammen?
Die Gesellschaft verändert sich. Zwar ist die Erwerbstätigkeit der Frauen
in Deutschland massiv gestiegen, gleichzeitig steigt jedoch auch der Anteil
an Teilzeitstellen. Zudem wird die Gesellschaft älter. Auch die Babyboomer
gehen bald in Rente, dann werden mehr Jobs frei, als besetzt werden können.
Migrantische Arbeiter:innen, aber auch Digitalisierung werden notwendig
sein, um den Status quo zu erhalten.
„Ersetzung ist nur ein Aspekt und vielleicht nicht der wichtigste“, sagt
Ehlert. Er beschreibt es am eigenen Beruf: „Früher gab es ein Sekretariat,
jetzt beantworte ich meine Post selbst und führe meinen Kalender. Es wird
mir technisch viel abgenommen, aber ich muss es auch steuern und
kontrollieren.“
Das Wissen nimmt zu, das Lernen wird lebenslang. Schwierig wird es vor
allem für Ungelernte – oder jene, die es nicht mehr gewohnt sind, Neues zu
lernen.
Ein Problembeispiel ist die Logistik. Durch den Onlineversand ist die
Branche in den vergangenen Jahren stark angewachsen. Menschen ohne
spezifische Qualifikation gehen nach Anweisung eines Gerätes zu Regalen,
greifen Gegenstände und bringen sie zu einer Packstation. Roboter können
bisher noch nicht gut nach unterschiedlichen Formaten greifen.
Doch irgendwann werden sie dazu in der Lage sein. Dann stellt sich die
Frage, wo sich im Arbeitsmarkt die ungelernten Arbeiter:innen einfinden.
„Wie können wir Lernangebote schaffen, die mit der Diversität der Lerntypen
klarkommen?“, fragt Arbeitsforscher Ehlert.
Fachkräfte werden es weniger schwer haben. Die Industrie wird zwar durch
die Digitalisierung umstrukturiert. Daten des WZB zeigen aber, dass
Industriearbeiter:innen in Deutschland dank ihrer breiten Ausbildung ein
hohes Maß an situativer Problemlösungsfähigkeit haben. Sie können demnach
sowohl mit Jobveränderungen umgehen, als auch komplexe Systeme bedienen.
In vielen Branchen gibt es schon heute einen Fachkräftemangel. Das weiß
jede Person, die kürzlich versuchte, einen [4][Handwerker] oder einen
Kitaplatz zu finden, oder Angehörige im Krankenhaus besuchte. In näherer
Zukunft wird weder ein Roboter die Häuserwand mauern, noch eine Maschine
die Infusion setzen können und Kindererziehung wird nicht über VR-Brillen
vermittelt.
Der Bedarf im Dienstleistungssektor steigt, das schlägt sich auch auf die
Löhne in Festanstellung nieder. Bleiben Dienstleistungsberufe von der
Digitalisierung also vorerst unangetastet?
Nein. Ein zentraler Aspekt des „Digitalen Kapitalismus“ ist die
Herausbildung von Plattformen. Wer etwas recherchieren möchte, googelt. Wer
am journalistischen Diskurs teilnehmen möchte, twittert. Hotel: Booking.
Ferienwohnung: Airbnb. Serie: Netflix.
Menschen in Kreativberufen, Journalist:innen und Filmemacher:innen tragen
schon heute oft ein „frei“ vor ihrer Berufsbezeichnung und kennen die Vor-
und Nachteile der atypischen Beschäftigungen. Dank Laptop frei in der
Ortswahl, langer Urlaub dank freier Arbeitseinteilung oder auch nur die
Möglichkeit, die Kinder von der Kita abzuholen, klingen nach Luxus. Doch
selbst wenn Aufträge gut vergütet sind, birgt diese Freiheit auch Risiken
wie fehlende soziale Absicherung, unbezahlte Akquisearbeit, selbst bezahlte
Arbeitsmittel, eine unsichere Zukunft.
„Soloselbstständigkeit steigt, aber es ist immer noch ein recht kleiner
Bereich und oft noch Nebenerwerb“, sagt Martin Ehlert vom WZB. Sie werde
zunehmen in den nächsten 20 Jahren, aber wohl nicht die dominante Form der
Beschäftigung werden.
Solch atypische Beschäftigungsverhältnisse gehen, egal ob gewünscht oder
gezwungenermaßen, noch immer zumeist Höherqualifizierten ein. Ist die
Prekarität zu hoch, sind diese häufig in der Lage, sich anzupassen, sich
weiterzubilden.
„Unser bisheriges Bildungssystem ist auf den vorderen Teil des Lebens
fokussiert. Es gibt für das Erwachsenenleben zwar inzwischen viele
Angebote, aber diese erreichen oft ohnehin Höherqualifizierte“, sagt
Ehlert. Unwahrscheinlich also, dass Höhergebildete die Verlierer:innen der
Umstrukturierung des Arbeitsmarktes werden.
Die meisten lernen Bildung jedoch nicht als positives Erlebnis kennen,
sondern als notwendige Voraussetzung zum Arbeiten und Überleben. Einige
erleben sie sogar als Schikane. Im Bildungssystem reproduziert sich seit
jeher die soziale Ungleichheit. Bei all der Unsicherheiten über die Zukunft
der Arbeit, stellt Martin Ehlert vom WZB fest: „Die wirklichen
Spaltungslinien werden in der Weiterbildung verlaufen.“
1 Jan 2020
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2019/23/aufgeschlossenheit-digitalisierung-lernen-verma…
[2] https://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb2415…
[3] https://job-futuromat.iab.de/
[4] /Meisterpflicht-im-Handwerk/!5646040
## AUTOREN
Pia Stendera
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