# taz.de -- „Real“ und die Arbeitsplätze von Frauen: Subventionen nur für… | |
> Mit der „Real“-Pleite verlieren vor allem Frauen ihren Job, bei | |
> Männerindustrien wie der Kohle war Geld zur Abfederung da. Das ist | |
> ungerecht. | |
Bild: Real-MitarbeiterInnen demonstrieren vor der Hauptversammlung der Metro AG | |
Ist das jetzt ein Skandal? [1][Die Supermarktkette Real wird verkauft], was | |
10.000 Arbeitsplätze gefährden könnte, wie die Gewerkschaften warnen. Doch | |
niemand regt sich auf. Ganz anders ist es bei der Braunkohle: In den | |
Tagebauen und Kraftwerken arbeiten noch 20.000 Menschen – und ein Ausstieg | |
aus dieser dreckigen Energie ließ sich politisch erst durchsetzen, nachdem | |
Subventionen in Höhe von 40 Milliarden Euro versprochen wurden. | |
In der Braunkohle ist also jeder gestrichene Arbeitsplatz zwei Millionen | |
Euro wert, während bei Real kein Cent fließt. Da liegt der Verdacht nahe, | |
dass das Geschlecht der Angestellten entscheidet. In der Braunkohle | |
arbeiten vor allem Männer, die sich zudem bestens in der Gewerkschaft IG | |
BCE vernetzt haben. In den Supermärkten hingegen schuften fast nur Frauen, | |
die meist nicht organisiert sind. | |
Trotzdem wäre es falsch, den Arbeitsplätzen bei Real hinterherzutrauern. | |
Niemand profitiert, wenn verlustreiche Firmen künstlich weiter existieren. | |
Einige Real-Filialen werden zwar für immer schließen – aber viele auch | |
fortbestehen. [2][Sie gehören dann zu Edeka, Rewe oder Kaufland.] Schon | |
Karl Marx hat erkannt, dass der Kapitalismus zur Konzentration neigt. | |
Für Angestellte ist es natürlich bitter, wenn sie ihre Stelle verlieren. | |
Der richtige Weg ist jedoch nicht, Pleitefirmen zu erhalten – sondern | |
Arbeitslose gut abzusichern. Strukturwandel muss möglich sein, darf aber | |
nicht mit Hartz IV bestraft werden. Der deutsche Sozialstaat ist eine | |
Katastrophe, aber zum Glück bahnt sich ein neuer Trend an: Arbeitskräfte | |
werden allerorten knapp – der „Vergreisung“ sei Dank. Auch Supermärkte | |
suchen dringend nach Personal, sodass viele Real-Mitarbeiter bald neue | |
Stellen finden dürften. | |
## Kohle für Subventionen | |
Die Frage ist also nicht, warum Real keine Subventionen erhält. Stattdessen | |
ist der eigentliche Skandal, dass sich der Ausstieg aus der Braunkohle bis | |
2038 hinzieht, 40 Milliarden Euro verschlingen soll und noch immer | |
Landschaft zerstört. Das weckt ungute Erinnerungen an einen ähnlichen | |
Fehler: die endlose Subventionierung der deutschen Steinkohle. | |
Die deutsche Steinkohle befand sich ab 1958 in einer Dauerkrise, weil die | |
Flöze bis zu 1.700 Meter tief lagen und auf dem Weltmarkt nicht | |
konkurrenzfähig waren. Australien, die USA, Südafrika oder Kolumbien | |
konnten weitaus billiger liefern. Dennoch wurden die letzten deutschen | |
Zechen erst 2018 geschlossen – nachdem man 200 bis 300 Milliarden Euro | |
Staatsgelder in den Bergbau gepumpt hatte. | |
Dieses Geld war extrem schlecht angelegt. Neue Industrien sind im | |
Ruhrgebiet kaum entstanden, und gleichzeitig hat der Bergbau immense | |
Umweltschäden hinterlassen. Der Ruhrpott erinnert an einen Schweizer Käse, | |
so löchrig ist der Untergrund, weil überall Schächte und Stollen betrieben | |
wurden. In einigen Gegenden ist die Oberfläche schon um bis zu 30 Meter | |
abgesackt, und die Flüsse würden längst rückwärts fließen, wenn nicht | |
ununterbrochen Pumpen laufen würden, um das Grundwasser abzutransportieren. | |
Während sich ab 1958 alle Augen auf die Steinkohle richteten, verschwand | |
unbemerkt eine weitere Branche: die Textilindustrie, die sogar noch mehr | |
Menschen beschäftigt hatte als die Zechen. Trotzdem interessierte es fast | |
niemanden, dass die meisten Kleiderfirmen aufgeben mussten, weil sie gegen | |
die Konkurrenz aus den Schwellenländern nicht bestehen konnten. | |
## Wie bei Real | |
Es war wie bei Real: Der Niedergang der Textilindustrie fiel kaum auf, weil | |
die meisten Angestellten weiblich waren und nur die Männer als | |
prädestinierte Hauptverdiener galten. | |
Diese Rollenklischees sind ungerecht, und dennoch war es richtig, die | |
deutsche Textilindustrie nicht zu unterstützen. So konnten neue Branchen | |
entstehen. | |
Es ist dringend Zeit, Gleichstellung einmal anders zu denken: Auch für | |
Männerdomänen sollte es keine Subventionen geben. | |
19 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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