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# taz.de -- Minijobs und der Mindestlohn: Zwei Gesichter
> 450-Euro-Jobs müssen abgeschafft werden, fordern sogar Arbeitgeber. Denn
> der steigende Mindestlohn schafft Probleme beim Gehalt.
Bild: Unter Reinigungskräften finden sich besonders viele Minijobber
Berlin taz | Der Ruf der Minijobs ist schlecht. Ihnen hängt das Klischee
an, den Niedriglohnsektor zu stärken. Doch jetzt fordern ausgerechnet
Arbeitgeber, dass die geringfügige Beschäftigungsform gestrichen wird. Die
450-Euro-Verdienstgrenze für MinijobberInnen sei eine „Diskriminierung“,
sagt Christopher Lück, Sprecher des Bundesinnungsverbands des
Gebäudereiniger-Handwerks. „Uns wäre es am liebsten, die geringfügige
Beschäftigung würde abgeschafft.“
Hintergrund der Forderung ist die Erhöhung der Tariflöhne im
Gebäudereiniger-Handwerk zum 1. Januar 2020. Der allgemeinverbindliche
Branchenmindestlohn steigt dadurch von 10,56 auf 10,80 Euro brutto die
Stunde. Das Problem: Den Reinigungskräften, die als MinijobberInnen bisher
genau zu einem Verdienst von 450-Euro im Monat arbeiten, können die
Arbeitgeber nicht einfach einen etwas höheren Monatslohn auszahlen.
Denn damit überstiege der Verdienst die 450-Euro-Grenze für die sogenannte
geringfügige Beschäftigung. Die Arbeit würde damit zu einem ganz normalen
sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjob, für die ArbeitnehmerInnen
würden Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung fällig. Am Ende hätten
sie netto dadurch weniger in der Tasche.
Um die 450-Euro-Grenze einzuhalten, wird die Lohnerhöhung daher in Freizeit
umgerechnet. „Die ArbeitnehmerInnen bekommen ab 2020 nicht mehr netto,
sondern 15 Minuten Freizeit mehr in der Woche“, sagt Lück, „sie werden
diskriminiert, weil sie nicht an der Lohnerhöhung teilhaben können.“
## Die Gastronomie will die Minijobs behalten
Das Problem ließe sich dadurch lösen, dass die Verdienstgrenze für die
sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung angehoben würde, was
die Politik machen müsste. Eine Erhöhung der 450-Euro-Grenze haben
Bundestagsabgeordnete der Union unlängst gefordert. Für die Arbeitgeber in
der Gebäudereinigung wäre dies nach einer möglichen Abschaffung der
Minijobs aber nur „die zweitbeste Lösung“, sagt Lück.
Anders sieht das der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. „Wir brauchen
die Minijobs, um die Spitzenzeiten am Wochenende durch Aushilfskräfte
abdecken zu können“, sagt Verbandshauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. In
der Gastronomie werden viele Beschäftigte nach dem gesetzlichen
Mindestlohn bezahlt. Da auch dieser zum 1. Januar steigt, hat die
Gastronomie ein ähnliches Problem wie die Gebäudereinigung: Die
Lohnerhöhung kann für die 450-Euro-Jobber nur in Arbeitszeitverkürzung
umgerechnet werden.
Die 450-Euro-Grenze für Minijobs wurde seit dem Jahre 2013 nicht mehr
erhöht, der gesetzliche Mindestlohn hingegen ist von 2015 bis 2019 stetig
angestiegen. Heute müsste die Grenze für Minijobs rein rechnerisch bei fast
500 Euro liegen, um den Lohnerhöhungen bei gleicher Arbeitszeit gerecht zu
werden, sagt Hartges.
Die Gewerkschaften würden die Minijobs in der bisherigen Form am liebsten
abschaffen, auch weil die Beschäftigten keine Rentenbeiträge einzahlen und
Minijobs daher für sie als eine Ursache der Altersarmut gelten.
## Zu Lasten der sozialversichungspflichtigen Jobs?
Im Unterschied zur gängigen Meinung sind Minijobs aber keine
Beschäftigungsform, die für die Unternehmen besonders billig ist, betont
Lück. Auf den Verdienst der Minijobberin muss der Arbeitgeber nämlich noch
30 Prozent an Pauschalsteuer und arbeitgeberseitigen Beiträgen für die
Sozialversicherungen draufzahlen. Auf den Bruttolohn eines
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten müssen die Arbeitgeber
hingegen nur etwa 20 Prozent Sozialabgaben entrichten. Dies ist auch der
Grund, warum die Gebäudereinigung gern auf die geringfügige
Beschäftigungsform verzichten würde.
„Aber viele Arbeitnehmer wollen die Minijobs“, sagt Lück. Dazu gehören
nicht nur die oft zitierten hinzuverdienenden Ehefrauen, sondern auch die
Nebenjobber. Wer einen sozialversicherungspflichtigen Job hat und
nebenbei noch als Minijobberin arbeitet, kann diesen Hinzuverdienst ohne
Abzüge behalten. Nur erwirbt sie oder er dann eben auch keine
Rentenansprüche aus dem Hinzuverdienst.
60 Prozent der MinijobberInnen sind ausschließlich geringfügig beschäftigt
– darunter fallen Ehefrauen, aber auch RentnerInnen und StudentInnen. Deren
Zahl sinkt. 40 Prozent der MinijobberInnen sind Leute mit einem anderen
Hauptjob, dieser Anteil steigt.
Im Wirtschaftsboom der vergangenen zehn Jahre ist die Anzahl der Minijobs
um 6 Prozent gestiegen, während die sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung im gleichen Zeitraum aber um 20 Prozent zulegte, zeigen die
Statistiken der Bundesagentur für Arbeit. Von einer Verdrängung der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch die Minijobs ist daher
derzeit nicht mehr die Rede.
6 Jan 2020
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Minijob
Gehälter
Arbeitsmarkt
Gebäudereinigungsbranche
Die Linke
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Fachkräftezuwanderungsgesetz
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