# taz.de -- Anwerbung von Fachkräften: Gekommen, um zu bleiben | |
> Mounir Ben Abdallah wurde als Krankenpfleger nach Deutschland geholt. | |
> Seine Geschichte zeigt, wie Einwanderung funktionieren kann. | |
Bild: Der Pfleger und seine Patientin: Mounir Ben Abdallah in der Rehaklinik | |
Wiesbaden taz | Nach dem Abendessen im türkischen Restaurant gibt es einen | |
Disput. Wer zahlt? Mounir Ben Abdallah, der hier in Wiesbaden wohnt? Oder | |
der Journalist, der zum Interview angereist ist? Es geht hin und her. Die | |
Teller werden abgeräumt. Der Tee in den kleinen Gläsern kommt, die Rechnung | |
auch. Ben Abdallah setzt sich durch. „Das ist mein Zuhause“, sagt er, „hi… | |
bezahle ich.“ Gegen dieses Argument lässt sich schwer etwas ausrichten. | |
Mounir Ben Abdallah, 30, zwei Sorgenfalten auf der Stirn, hat in seinem | |
Heimatland Tunesien Krankenpflege und Gesundheitsmanagement studiert. 2018 | |
holte ihn die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die | |
Entwicklungsorganisation der Bundesregierung, nach Deutschland. Schon in | |
Tunis wurde ihm ein Deutschkurs finanziert. Dann offizielle Einladung, | |
Arbeitsvertrag in Wiesbaden, Aufenthaltserlaubnis bis zu fünf Jahren mit | |
der Perspektive, für immer hier zu bleiben. | |
Die Bundesregierung kann also auch anders. Nicht nur stöhnen über zu viele | |
Flüchtlinge, Diktatoren in Afrika dafür bezahlen, dass sie die Routen durch | |
die Sahara sperren, Lager auf den griechischen Inseln finanzieren und Leute | |
im Mittelmeer ertrinken lassen. Dies ist eine Geschichte, die zeigt, | |
[1][wie Einwanderung laufen kann] – zivilisiert, im Einvernehmen und | |
dennoch nicht konfliktfrei. | |
Er hat Freunde gefunden | |
Das trubelige Restaurant in der Wiesbadener Innenstadt besuchen vor allem | |
deutsch-türkische und deutsch-arabische Gäste. Kichernde Teenies mit | |
Kopftuch sitzen neben Predigertypen mit Gewand und Bart, Dicke-Hosen-Jungs | |
neben Geschäftsleuten, die ihre Verhandlung abwechselnd auf Deutsch, | |
Englisch und Türkisch führen. Ben Abdallah bestellt Joghurt mit Kräutern | |
und Fladenbrot, dann Lammspieße mit Gemüse. Er kommt öfters her, die | |
Atmosphäre erinnert ihn an Nabeul in Tunesien, wo seine Eltern wohnen. Zu | |
seinem Arbeitsplatz kann man ihn nicht begleiten, aber hier im Restaurant | |
erzählt er gerne seine Geschichte. | |
„Am Anfang wollte ich zurück“, sagt Ben Abdallah. Es kam vor, dass er sich | |
in Wiesbaden verlief, weil er noch keinen Handyvertrag hatte und den | |
Onlineplan nicht nutzen konnte. Jetzt ist die Stadt nicht mehr so fremd. Er | |
hat ein paar Freunde gefunden – Landsleute, aber auch Deutsche. | |
Der Tunesier ist ein Luxus-Einwanderer: Deutschland will Leute wie ihn | |
haben. „Triple Win“ – dreifacher Gewinn – heißt das Programm der GIZ u… | |
der Zentralen Auslandsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV). Es | |
basiert auf der Analyse, dass die Philippinen, Serbien, | |
Bosnien-Herzegowina und Tunesien mehr Pflegekräfte ausbilden, als dort | |
gebraucht werden, während in Deutschland Krankenhäuser und Altenheime zu | |
wenig Personal finden. | |
Also wirbt die GIZ Pflegerinnen und Pfleger in diesen Ländern an, bietet | |
ihnen Vorbereitungskurse, stellt Verbindung zu Arbeitgebern her und betreut | |
die importierten Arbeitskräfte hier für eine Übergangszeit. Rund 2.200 | |
Leute haben so bisher ihren Weg in den Norden gefunden, darunter 30 aus | |
Tunesien. Insgesamt erhielten 2018 etwa 100.000 Arbeitskräfte aus | |
Nicht-EU-Ländern ein Visum für Deutschland. | |
Ben Abdallah arbeitet in einem privaten Reha-Krankenhaus in Wiesbaden. | |
Früh-, Spät- und Nachtschicht im Wechsel. Viele Schlaganfall-Patienten und | |
alte Menschen mit partiellen Lähmungen, denen der Pfleger helfen muss, sich | |
im Bett umzudrehen, damit sie keine Druckgeschwüre bekommen. Waschen, | |
Unterstützung beim Essen, Medizin zuteilen gehören ebenfalls zu seinen | |
Aufgaben. Für acht bis zehn Personen sei er pro Schicht zuständig, sagt er, | |
harte Arbeit. | |
Soll man noch einen Tee bestellen im Restaurant? Oder lieber nicht? Ben | |
Abdallah guckt sich um nach freien Plätzen, ein bisschen ängstlich. Sitzt | |
man schon zu lange hier und blockiert den Tisch? Zehn Minuten noch, dann | |
ist es besser zu gehen. | |
Sein Plan spielt in Deutschland | |
Gut findet er an Deutschland „die Sicherheit auf der Straße“ und die | |
Sauberkeit. Dass es Busse und Bahnen gibt, die zuverlässig fahren, schätzt | |
er ebenfalls. Allerdings seien „die Leute ein bisschen kalt. Sie wollen | |
nicht viel Kontakt mit Ausländern.“ Ein paarmal hat er richtig Probleme | |
bekommen, erzählt er. Über die genauen Umstände – wo, mit wem – bittet er | |
nicht zu schreiben. Er fürchtet Schwierigkeiten. Schließlich ist er von der | |
Gunst der deutschen Behörden, Arbeitgeber, Vermieter abhängig. Bleiben darf | |
er nur, wenn alles seinen geregelten Gang geht. | |
Es kam also vor, dass er angeschrien wurde – ohne nachvollziehbaren Grund, | |
meint er. Außer einem: dass er aus Nordafrika stamme und nicht von hier. | |
Während einer Meinungsverschiedenheit mit einer anderen Person habe diese | |
ihm den Rücken zugewandt und ausgestoßen: „Die Araber sollte man | |
erschießen.“ – „Es ist ein bisschen schwer hier“, sagt Ben Abdallah, f… | |
aber hinzu: „Die meisten Menschen sind freundlich.“ | |
Bedrückend war für ihn auch, dass er ein Jahr nach seiner Ankunft in | |
Wiesbaden noch immer keine richtige Wohnung gefunden hatte. Er lebte in | |
einem möblierten Appartement in der Innenstadt, zehn Quadratmeter, teuer, | |
keine Küche, nur zwei Elektroplatten im Flur, auf denen er allenfalls | |
Kaffee kochte. Aber er will nicht resignieren. Er beißt sich durch. „So ist | |
das Leben manchmal, man darf nicht aufgeben.“ Und tatsächlich: Ende | |
November hat es geklappt. Eine eigene Bleibe für 600 Euro im Monat. | |
Auf jeden Fall würde Ben Abdallah das alles nochmal so machen. In Tunesien | |
verdiente er einfach zu wenig Geld – das ist der Hauptgrund, warum er sich | |
bei der GIZ bewarb. Er will eine Zukunft in Deutschland haben, hier eine | |
Familie gründen. Obwohl ihn das Heimweh immer begleitet. | |
Hat er Zeit, setzt er sich in die Stadtbibliothek und liest Fachbücher über | |
Medizin. Irgendwann möchte er als Pfleger auf der Intensivstation arbeiten. | |
Sein nächstes Ziel ist das Zertifikat für Deutschkenntnisse der Stufe C1. | |
Damit könnte er hier studieren. Mounir Ben Abdallah hat einen Plan, und der | |
spielt in Deutschland. | |
4 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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