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# taz.de -- Personalbemessung in der Langzeitpflege: Protokoll des Pflegenotsta…
> Täglich 99 Minuten Pflegezeit je Bewohner* in Pflegeheimen ist der
> Schnitt. Nötig wären laut einem neuen Erhebungsverfahren 141 Minuten.
Bild: Deutschland im Pflegenotstand
Berlin taz | Um eine angemessene Pflege für die Bewohner*innen deutscher
Pflegeheime zu ermöglichen, fehlen mehr als hunderttausend Pflegekräfte.
Das ergibt ein Bericht der Universität Bremen zur Personalbemessung in der
stationären Langzeitpflege, der am Dienstag bei einer Fachkonferenz in
Berlin vorgestellt wurde. Im Auftrag der Heimträger wurde zum ersten Mal
ein umfassendes Verfahren zur Erhebung des Personalbedarfs in Pflegeheimen
entwickelt.
Mit diesem neuen Instrument kann jedes Pflegeheim entsprechend der Größe
und der Bedürfnisse der Bewohner*innen den Bedarf an Pflegekräften
errechnen. Um es zu entwickeln, wurden Beschäftigte in 62 vollstationären
und mehreren teilstationären Einrichtungen durch ihren Arbeitstag
begleitet. Aufgezeichnet wurde etwa, wie viel Zeit für welche
Pflegehandlung nötig ist oder welche Aufgaben nicht erfüllt werden konnten.
Das Ergebnis ist ein minutiöses Protokoll des deutschen Pflegenotstands. Im
Schnitt werden täglich 99 Minuten Pflegezeit je Bewohner*in vollstationärer
Einrichtungen aufgewendet. Den Berechnungen des neuen Instrumentariums
zufolge wären jedoch 141 Minuten nötig.
Die Diskrepanz zwischen Realität und wünschenswertem Zustand steigt mit
jeder höheren Pflegestufe. Menschen in Pflegestufe 1 mit einem
vergleichsweise niedrigen Pflegebedarf bekommen täglich ungefähr 10 Minuten
weniger Pflegezeit als notwendig. Bei Pflegebedürftigen in Stufe 5, die in
ihrer Selbstständigkeit stark beeinträchtigt sind, fehlt täglich mehr als
eine Stunde Pflegezeit. Übersetzt heißt das: Für 100
Pflegeheim-Bewohner*innen müssten 55 Vollzeitstellen eingesetzt werden.
Derzeit sind es nur 40.
Massiver Zeitdruck
„Die Einrichtungen arbeiten [1][wahnsinnig gehetzt]“, sagte Heinz Rothgang,
der das neue Verfahren zur Personalbemessung in der Langzeitpflege
vorstellte. Ein weiteres Ergebnis sei, dass viele Teilschritte nicht
erbracht würden. 11.000 Mal verzichteten die Pflegekräfte während der
Datenerhebung etwa darauf, sich die Hände zu desinfizieren. Zudem sehen die
Beschäftigten häufig davon ab, rückenschonend zu arbeiten, die Pflege
aktivierend zu gestalten und mit den Pflegebedürftigen zu kommunizieren.
Vor allem [2][Assistent*innen fehlten], so Rothgang. Während laut Studie
nur 3,5 Prozent mehr ausgebildete Pflegefachkräfte nötig wären, sollte sich
der Anteil der Pflegeassistenzen gleich um 69 Prozent erhöhen. Das liege
daran, dass ausgebildete Alten- und Krankenpfleger*innen derzeit oft die
gleichen Tätigkeiten ausüben wie niedriger qualifizierte Arbeitskräfte.
Auch sie machen Betten und übernehmen einfache Körperpflege.
Eine deutliche Entschärfung der angespannten Situation in den Pflegeheimen
könnte bereits durch die Einstellung von Pflegeassistenzen erreicht werden,
hieß es – zumal hier deutlich mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen als
bei Pflegefachkräften: Auf 100 offene Stellen kommen 322 arbeitssuchende
Pflegeassistent*innen, aber nur 38 Pflegefachkräfte.
Derzeit müssen 50 Prozent aller Pflegekräfte in einer Einrichtung
Pflegefachkräfte sein. Diesen Anteil zu reduzieren, sehen Expert*innen
kritisch. „Wir haben lange dagegen gekämpft, dass die Fachkräftequote
abgesenkt wird“, sagte Ulrike Döring aus dem deutschen Pflegerat. Gerade in
kleinen Einrichtungen führe eine Absenkung des Fachkräfteanteils dazu, dass
in manchen Schichten gar keine ausgebildete Kraft mehr im Dienst sei.
Nun liegt der Spielball bei den Ländern: Sie sind für die Bemessung des
Personalschlüssels in der Pflege zuständig.
25 Feb 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Franziska Schindler
## TAGS
Care-Arbeit
Pflege
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Gesundheitswesen
Schwerpunkt Coronavirus
Pflege
Dilek Kalayci
Pflegekräftemangel
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