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# taz.de -- Pflege-Forschung aus Bremen: Der Personalmix macht's
> Bremer Wissenschaftler haben den Personalbedarf in Pflegeheimen
> ermittelt. Zahlen verraten sie noch nicht, der Mehrbedarf sei aber
> „erheblich“.
Bild: Nicht immer muss in der Altenpflege eine Fachkraft ran. Hier der Beweis
BREMEN taz | Heinz Rothgang darf noch keine konkreten Zahlen nennen: Der
Bericht zur Entwicklung eines Personalbemessungsverfahrens in
Altenpflege-Einrichtungen werde erst im Januar abgenommen, sagte er am
Mittwochabend in der Arbeitnehmerkammer – vorher dürfe er nichts verraten.
Was er allerdings sagen konnte bei der Präsentation des bisherigen Standes
seiner Studie: Deutschlandweit haben Altenpflegeheime einen „erheblichen
Personalmehrbedarf.“
Rothgang ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Bremen und Leiter
der dortigen Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung am
Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM). Das hatte in
einer europaweiten Ausschreibung 2017 den Zuschlag bekommen, unter
Rothgangs Leitung das Verfahren für eine bundesweite Personalbemessung in
Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Dieser Auftrag ist Teil des zweiten
Pflegestärkungsgesetzes (PSG II), in dem es heißt, dass bis Ende Juni 2020
die Entwicklung und Erprobung eines solchen Verfahrens abgeschlossen sein
muss.
Die Ausgangslage in Deutschland sei von zwei Dingen geprägt, berichtete
Rothgang. Zum einen gebe es in allen Bundesländern „ohne nachvollziehbaren
Grund“ unterschiedliche Personalziffern in Pflegeeinrichtungen. Zum anderen
werde von Pflegenden die Personalausstattung durchgängig als zu niedrig
beschrieben – selbst in Bayern, wo bundesweit die meisten Pflegekräfte auf
einhundert BewohnerInnen kommen. Das sei aus diversen Vergleichsstudien
hervorgegangen.
## Fachkraft-Anteil soll sinken
Die Personalbedarfe für 1.380 Menschen hat das Forschungsteam anhand einer
Beobachtungsstudie ermittelt. Daraus ist dann ein Soll-Wert errechnet und
eine Planung erstellt worden. [1][Zahlen, die diesbezüglich bereits
öffentlich grassierten], seien falsch, sagte Rothgang, aber: „Was ich sagen
kann, ist, dass erheblicher Personalmehrbedarf dabei herausgekommen ist –
auch in Bayern.“
Das ist so weit erwartbar. Überraschender hingegen ist die Schlussfolgerung
Rothgangs, wonanach der Bedarf an Assistenz- und Hilfskräften in der
Altenpflege tendenziell höher ist, während der Bedarf an Fachkräften im
Verhältnis sinkt. „Das betrifft aber nur den Anteil der Fachkräfte, nicht
deren Anzahl – benötigt werden auch hiervon mehr“, sagte Rothgang.
Die aktuell geltende Fachkraftquote gibt es beim „Rothgang-Verfahren“ nicht
mehr. Sie wird abgelöst durch „Heimindividuelle Qualifikationsstrukturen“.
Hier dient nicht mehr die Anzahl der zu Pflegenden in einer Einrichtung als
Berechnungsgrundlage für den Personalbedarf, sondern der einzelne
Pflegebedürftige. Seine Bedarfe, messbar beispielsweise an seinem
Pflegegrad, sind die Grundlage. Wenn es viele BewohnerInnen mit niedrigem
Pflegegrad in einer Einrichtung gibt, kann das bedeuten, dass der
Fachkraftanteil im Personalmix sinkt. Umgekehrt gelte, so Rothgang: „Höhere
Pflegegrade in der Bewohnerschaft bedeuten einen höheren Fachkraftanteil.“
## Neue Rollen für alle
Das allein reiche aber nicht aus, betonte er. Benötigt würden zusätzlich
sowohl eine Organisations- als auch eine Personalentwicklung. „Statt ‚alle
machen alles‘ muss es eine kompetenzorientierte Pflege geben, Fachkräfte
müssen in Richtung Hilfskräfte entlastet werden, Pflegende wieder lernen,
ohne Hetze zu arbeiten – und alle müssen ihre neuen Rollen annehmen“, sagte
Rothgang.
Ob und wie das Verfahren eingeführt wird, steht längst nicht fest: Der
Gesetzesauftrag bezieht sich lediglich auf die Entwicklung und Erprobung
eines Verfahrens. Rothgang zeigte sich allerdings optimistisch, dass da
„zumindest etwas eingeführt wird“ und empfahl ein stufenweises Verfahren
hin zu mehr Personal, wobei der „erste Schluck aus der Pulle sofort, gleich
im Juli 2020“ genommen werden müsse.
Gefahren wie ein Sperren von Betten aufgrund dann fehlender Pflegekräfte
müssten dann erst einmal hingenommen werden, damit die Situation
mittelfristig besser werde. Der errechnete Personal-Mehrbedarf werde zu
„massiven Ausgabensteigerungen“ führen, sagte Rothgang. Deswegen sei auch
eine Pflege-Finanzierungsreform unumgänglich: „Das muss politisch unbedingt
zusammengedacht werden“, sagte er.
## Gefahr der Hierarchisierung
In dieser Hinsicht herrschte Einigkeit zwischen Rothgang und Barbara Susec,
Referentin für Pflegepolitik in der verdi-Bundesverwaltung. Sie nahm am
Mittwochabend Rothgangs Ergebnisse kritisch unter die Lupe: So fehle ihr
bei der Studie eine Auswertung der ambulanten Pflege, sagte sie.
Außerdem, so Susec, sei die Attraktivität und Qualität des Pflegeberufes
gefährdet, wenn die Personalbedarfe danach bemessen würden, welche und wie
viele Verrichtungen ein alter Mensch benötige: „Wir wollen ganzheitliche
Pflege, Beziehungsarbeit und Lebensbegleitung.“ Dahin müsse ein
Pflegeplanungsprozess hinsteuern, nicht in eine weitere Hierarchisierung
der Pflegenden.
Die konkreten Personaleinsatzplanungen, entgegnete Rothgang, müssten
letztlich die Einrichtungen selbst organisieren, aber: „Fachkräfte sind die
knappste Ressource, die wir haben – es ist Verschwendung, wenn sie in der
Pflege Aufgaben übernehmen müssen, die auch Hilfskräfte tun können.“
Egal, ob Hilfs- oder Fachkräfte: Einig sind Susec und Rothgang, dass der
Pflegeberuf attraktiver werden muss, um überhaupt das erforderliche
Personal für die Zukunft zu gewinnen: „Das geht nur über bessere Bezahlung
und Arbeitsbedingungen“, sagte Rothgang.
6 Dec 2019
## LINKS
[1] https://www.aerztezeitung.de/Politik/Sozialverbaende-fordern-die-Buergerver…
## AUTOREN
Simone Schnase
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