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# taz.de -- Pflege nach dem „Buurtzorg“-Modell: Von den Niederlanden lernen
> Das Pflegemodell Buurtzorg soll mehr Zeit und Selbstbestimmung für
> Patienten und Pflegende bringen. Die Bremer Arbeitnehmerkammer ließ es
> vorstellen.
Bild: Früher oder später für alle ein Thema: Pflege und wie sie ausgestaltet…
Bremen taz | Es gibt Zweifel, und es gibt auch Kritik am Vortrag. Trotzdem
nicken die Zuhörer einträchtig, auch der Vertreter der AOK, als Udo Janning
am Ende resümiert, dass „Pflege uns alle gleichermaßen beschäftigt und
betrifft“. Die Arbeitnehmerkammer hatte Janning eingeladen, um übers
niederländische Pflegemodell Buurtzorg zu referieren.
Buurtzorg bedeutet auf Deutsch „Nachbarschaftshilfe.“ Das Modell soll die
Eigenständigkeit sowohl von Pflegekräften als auch von Patient*innen
erhöhen. Es kommt dabei ohne Hierarchien und mit weniger Bürokratie aus.
Die Pflegenden operieren in kleinen Teams und Bezirken weitestgehend
selbstbestimmt, wobei der Großteil der Verwaltung von einer zentralen
Stelle bewältigt wird.
Bloß wann es losgeht, steht noch nicht fest. In den Niederlanden arbeiteten
schon 2016 rund 10.000 Pflegekräfte nach den Buurtzorg-Prinzipien. In
Deutschland konnte der erste Modellversuch in Emsdetten mittlerweile
starten. Er ist auf drei Jahre angelegt.
Janning war früher Pflegedienstleiter. Er hatte eine wichtige Position, was
zu sagen. Heute begleitet er mehrere Teams im Buurtzorg-Modellprojekt, auf
Augenhöhe, ohne Hierarchie. „Ich zeige den Mitarbeiter*innen zum Beispiel,
wie sie Abrechnungen machen.“
Zentraler Bestandteil von Buurtzorg sei es, dass man mit der Pflegekasse
pro Stunde abrechnet. In der herkömmlichen Praxis hingegen habe jede
Leistung ein Modul, einen Preis, eine Zeit. Dies würde die Pflegekräfte
entmündigen, da sie einfach nur einen Fahrplan abzuarbeiten hätten, sagt
Janning. Durch Buurtzorg könnten sie selbstständig und flexibel arbeiten.
Die Pflegekassen tun sich noch schwer: „Wir können zwar schon pro Stunde
abrechnen, aber manche medizinischen Leistungen müssen wir noch per Modul
kalkulieren. Daher konnte auch unser Modellversuch noch nicht starten“,
sagt Janning. Es sei aber nur noch eine Frage der Zeit bis es losgehe.
Außerdem arbeite man schon jetzt nach den Buurtzorg-Prinzipien, soweit es
eben ginge.
„Wir versuchen uns sozial einzufühlen. Dadurch können wir den Patienten
besser aktivieren“, sagt er. Er meint damit Dinge, wie jemanden zu finden,
der für einen Patienten den Rasen mäht, ihm in die Wohnung hilft oder auch
eine Tablette am Abend gibt. Das Umfeld einzubeziehen, um Selbstständigkeit
zu fördern und Zeit zu sparen, ist eine der wichtigsten Strategien des
Modells.
Während Marco Nordhusen, Leiter der Pflegeabteilung der AOK in
Bremen/Bremerhaven, davon ausgeht, dass das Buurtzorg-Modell jeden
Patienten etwa 500 Euro mehr kosten würde, ist Janning optimistisch: Er
erwartet sogar, die Kosten auf lange Sicht zu senken. Nelson Janßen,
gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bürgerschaft,
findet das Modell interessant. „Ich habe aber noch viele Fragen“, sagt er
nach dem Vortrag. Etwa wie genau abgerechnet werden soll und ob das Modell
nicht dazu führen könnte, dass Leistungen einfach auf das Umfeld der
Patienten abgeschoben werden.
In Sachen Pflege sieht der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und Linke
eine Verdopplung der „Ausbildungskapazitäten“ für Pflegekräfte in Bremen
vor. Außerdem „sollen neue Versorgungsformen und -modelle im Land Bremen
initiiert, finanziell gefördert und begleitet werden“. Das ist zwar noch
ziemlich vage, lässt aber eine Umsetzung von Buurtzorg in Bremen zumindest
möglich erscheinen.
Die Wahlprogramme der Parteien weisen teilweise in diese Richtung: So
fordert die SPD stadtteilbezogene, unbürokratische Pflege, die auch die
„Beratung und Unterstützung von betreuenden und pflegenden Angehörigen“
beinhaltet. Die Linke sieht aktuell eine starke „Arbeitsverdichtung, Stress
und fehlende Zeit für Zuwendung“ und will Pflegenden mehr Raum für ihre
Patient*innen verschaffen. Auch die Grünen fordern mehr Pflege, allerdings
auch eine finanzielle Unterstützung pflegender Angehöriger: Das könnte der
Buurtzorg-Idee widersprechen, die ja die Kosten dämpft, indem sie das
Umfeld einspannt – ohne Entgelt.
12 Sep 2019
## AUTOREN
Lukas Scharfenberger
## TAGS
Pflegekräftemangel
Pflege
Bremen
Schwerpunkt Landtagswahlen
Lesestück Recherche und Reportage
Pflegekräftemangel
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