# taz.de -- Prozess gegen Altenpfleger in Bremen: Einzige Fachkraft: Ein Leihar… | |
> Im Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung durch einen Pflegehelfer | |
> berichtete ein Zeuge von Chaos in der Bremer Pflegeeinrichtung. | |
Bild: Für DiabetikerInnen lebensrettend, für Gesunde lebensbedrohlich: Insulin | |
Bremen taz | Am zweiten Verhandlungstag gegen einen Pflegehelfer [1][wegen | |
gefährlicher Körperverletzung] sagte am Mittwoch vor dem Landgericht ein | |
Krankenpfleger aus: Er hatte gemeinsam mit dem Beschuldigten im | |
Pflegezentrum Am Doventor Dienst, als eines der Opfer wegen | |
lebensbedrohlicher Unterzuckerung ins Krankenhaus musste. | |
Der Pflegehelfer soll im März zwei Bewohnerinnen der Einrichtung ohne | |
ärztliche Verordnung Insulin gespritzt haben. Eine der beiden sei daraufhin | |
in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus gekommen. Der Mann | |
hatte bereits vor Prozessbeginn gestanden, absichtlich falsch Insulin | |
verabreicht zu haben. | |
Der Zeuge sagte nun aus, er sei am Tag der Tat als einzige examinierte | |
Pflegekraft vor Ort für zwei Etagen der Einrichtung zuständig gewesen – und | |
das, obwohl er das Pflegeheim überhaupt nicht kannte: Über eine | |
Zeitarbeitsfirma sei er für das letzte März-Wochenende dort eingesetzt | |
worden. Am Samstagmorgen habe er von der Nachtschicht Schlüssel für die | |
Medikamentenschränke erhalten, „aber ansonsten bekam ich keine Einweisung, | |
keinen Ablaufplan, gar nichts – ich musste mich komplett selbst | |
orientieren.“ | |
Als einzige Fachkraft sei er für die Medikamentenvergabe auf beiden Etagen | |
zuständig gewesen. Auffällig sei gewesen, dass das Insulin nicht | |
eingeschlossen gewesen sei: Die für die DiabetikerInnen vorbereiteten | |
Tabletts mit den Blutzuckermessgeräten und den Insulin-Pens hätten auf dem | |
Tisch im Medikamentenraum gestanden, der – anders als die abgeschlossenen | |
Medikamentenschränke – auch für Hilfskräfte zugänglich ist. | |
Für die Pflege des Opfers, der bettlägerigen dementen 75-Jährigen sei am | |
Samstag der Angeklagte zuständig gewesen. Gegen zehn Uhr habe er Bescheid | |
gesagt, dass es der Frau nicht gut gehe und sie einen extrem niedrigen | |
Blutzuckerwert habe. Gemeinsam seien sie in ihr Zimmer gegangen und hätten | |
festgestellt, dass sie „schon fast somnolent“ gewesen sei, ihre Vitalwerte | |
überprüft und nochmals Blutzucker gemessen: „Da war klar, dass ein | |
Rettungswagen kommen muss.“ Erneut sei dann durch das Notarzt-Team der | |
Blutzucker gemessen worden, der unterdessen noch weiter abgefallen war: | |
„Wir wurden vom Notarzt gefragt, ob die Frau Insulin bekommen hätte, und | |
wir haben das beide verneint“, sagte der Zeuge. | |
Erst später sei ihm aufgefallen, dass der Angeklagte als erstes den | |
Blutzucker der Frau gemessen hätte: „Das ist eigentlich nicht das erste, | |
was man tut. Sie war ja keine Diabetikerin.“ Auch, dass an ihrem Bett ein | |
Messgerät gelegen habe, sei ungewöhnlich: „Normalerweise sind diese Geräte | |
im Dienstzimmer oder Medikamentenraum.“ | |
Am nächsten Morgen habe er dem Nachtpfleger von dem Notfall erzählt: „Und | |
der hat dann berichtet, dass Insulin fehlt.“ Konkret habe sich die Menge | |
eines bestimmten Langzeit-Insulins innerhalb von nur drei Tagen so | |
drastisch reduziert, dass dies nicht in Einklang mit dem Bedarf der | |
BewohnerInnen zu bringen gewesen sei. „Ich habe gesagt, er müsse darüber | |
unbedingt die Pflegedienstleitung informieren und ich habe auch meinen | |
Arbeitgeber darüber informiert.“ | |
Mittags habe er den KollegInnen dann im Beisein des Beschuldigten von | |
seinem Gespräch mit dem Nachtpfleger erzählt, aber der Beschuldigte habe | |
„gar nicht beziehungsweise unauffällig darauf reagiert“. Insgesamt sei der | |
Pfleger ruhig gewesen „und im Gegensatz zu anderen Hilfskräften, die ich | |
kennengelernt habe, recht cool“. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, | |
ob sich der Angeklagte in den Vordergrund habe spielen wollen, sagte der | |
Zeuge: „Ja, vielleicht ein bisschen, so nach dem Motto: ich kenne mich hier | |
aus und Du nicht.“ | |
Allerdings, sagte er, habe das ja auch gestimmt: Er habe die alte Frau an | |
diesem Tag zum ersten Mal gesehen, während der Beschuldigte viel über ihre | |
Vorgeschichte erzählen konnte. „Er war derjenige, der fast die ganze Zeit | |
mit dem Notarzt geredet hat.“ Das habe er ganz ruhig und aufgeräumt getan. | |
Darüber hinaus habe er schlecht über seine KollegInnen geredet, „dass die | |
alle keine Ahnung haben und wie Scheiße die Einrichtung ist“. Er hätte aber | |
insgesamt den Eindruck gehabt, dass die Atmosphäre untereinander schlecht | |
gewesen sei: „Als er Feierabend gemacht hat, hat irgendwer gesagt: Gut, | |
dass der weg ist.“ | |
Insgesamt seien die Zustände im Pflegezentrum Am Doventor „ein | |
Durcheinander, das kann man nicht anders sagen: Schlechte Organisation, zu | |
wenig Personal, überforderte Mitarbeiter“. Nach seinem Dienstwochenende | |
habe er seinem Arbeitgeber gesagt: „Ich kann das da nicht weiterempfehlen.“ | |
Auch der Angeklagte hat lange als „Leih-Pfleger“ gearbeitet: Vor seiner | |
Anstellung Am Doventor war er als Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma in bis | |
zu 35 Einrichtungen tätig. Neben den Vorfällen im März wird mittlerweile in | |
noch zwei weiteren Fällen gegen ihn ermittelt. Das Verfahren wird am | |
kommenden Montag fortgesetzt. | |
14 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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