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# taz.de -- Strafanzeige gegen Heimleiterin: Heim außer Kontrolle
> Ehemalige Mitarbeiterinnen erheben schwere Vorwürfe gegen die Betreiberin
> einer privaten Pflege-WG in Lutter. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Bild: Bewohnerinnen einer WG: Private Pflege-WGs rutschen durchs Raster
Göttingen taz | „Idyllisch liegt unsere Senioren-WG auf dem Bauernhof
direkt am Dorfrand von Lutter und damit in der Nähe von Neustadt am
Rübenberge in Niedersachsen“, rühmt sich Haus Carolina auf seiner Homepage.
„In dieser ruhigen, beschaulichen Atmosphäre lässt es sich angenehm leben.
Die Dorfgemeinschaft hat unsere WG mit offenen Armen freundlich
aufgenommen, weswegen jeder sie schnell zu seinem neuen Zuhause macht.“
Bilder von Heuballen auf Sommerwiesen und blühenden Apfelbäumen
illustrieren die blumige Eigenwerbung. Auf dem Hof leben auch Pferde,
Hunde, Katzen und Hühner.
Doch womöglich ist es mit der Idylle in der seit drei Jahren bestehenden
privaten Wohngemeinschaft mit insgesamt sieben Zimmern für Pflegebedürftige
nicht so weit her wie oben beschrieben. Denn wegen möglicher Missstände
haben vier Frauen – drei von ihnen sind ehemalige Mitarbeiterinnen der
Einrichtung – Strafanzeige gegen die Heimbetreiberin Carolina S. erstattet.
Die Staatsanwaltschaft in Hannover leitete ein Ermittlungsverfahren ein,
wie Behördensprecher Thomas Klinge bestätigte. [1][Zuerst hatte der NDR
über den Fall berichtet.]
Und der Fall geht so: Die ehemaligen Mitarbeiterinnen erheben schwere
Vorwürfe. Die Chefin der Einrichtung soll Senioren mit kalten Duschen
bestraft und sie durch einen rüden Umgangston eingeschüchtert und mit
Fäkalausdrücken beschimpft haben. Sie soll außerdem demente Bewohner nachts
ohne die Möglichkeit eines Notrufs eingeschlossen und wiederholt zugelassen
haben, dass Hunde in Zimmer der Wohngemeinschaft kacken.
Ihre Vorwürfe sollen die ehemaligen Mitarbeiterinnen mit Fotos und
eidesstattlichen Versicherungen belegt haben. Nach ersten Medienberichten
über den Fall haben noch weitere Personen Anzeigen eingereicht. „Es gibt
eine Reihe von Anzeige-Erstattern“, sagt Oberstaatsanwalt Klinge. Die
Vorwürfe reichten von Körperverletzung über Nötigung bis zu Beleidigung.
## Vorwürfe zurückgewiesen
Carolina S. hat die meisten Vorwürfe zurückgewiesen. Sie habe nur eine der
dementen Bewohnerinnen nachts hin und wieder eingeschlossen. Eine der
früheren Helferinnen, die nun Anzeige erstatteten, habe zuletzt vor
anderthalb Jahren in der Einrichtung gearbeitet, sagt S. Später habe die
Familie der Helferin ihre pflegebedürftigen Großeltern in die Senioren-WG
gegeben. „Wenn es hier wirklich so schlimm wäre, hätten sie das ja nicht
tun müssen.“
Auch stünden ihre Türen jederzeit für Kontrollbesuche offen. Dem NDR
zufolge erhält die Leiterin der Einrichtung Rückendeckung von anderen
Angehörigen, die ihre Eltern in der WG gut aufgehoben wissen.
„Meine Senioren fühlen sich hier sehr wohl und sind familiär eingebunden“,
schreibt Carolina S. im Internet. „Da ich als examinierte Altenpflegerin in
dieser kleinen Wohngemeinschaft mit den Senioren rund um die Uhr
zusammenlebe, haben sie mich als ihre feste Bezugsperson, auf die sie sich
verlassen und vertrauen können.“ Das sei vor allem für Demenzerkrankte und
Behinderte wichtig. „Ich koche, pflege, beschäftige und betreue meine
Senioren sehr gerne“, so S. Zurzeit leben vier alte Menschen in der
Wohngemeinschaft.
Das niedersächsische Sozialministerium in Hannover erklärte, wenn die
Vorwürfe zuträfen, handele es sich um „unhaltbare Zustände“. Das
Ministerium habe die Heimaufsicht und die Region Hannover um einen Bericht
gebeten. Es stelle sich allerdings die Frage, ob es sich bei der
Einrichtung in Lutter tatsächlich um eine Pflege-WG im Sinne des
Gesetzgebers handele oder um ein kleines Pflegeheim. Eine Pflege-WG setze
Mietverträge und die freie Wahl eines Pflegedienstes voraus. Tatsächlich
gilt die Wohngemeinschaft rechtlich nicht als Seniorenheim, sondern als
eine rein private, aber besondere Wohnform. Für die Pflegeleistungen zahlen
die Krankenkassen, genauso viel wie bei pflegenden Angehörigen auch.
Die Heimaufsicht der Region Hannover fühlt sich für die Einrichtung denn
auch nicht zuständig. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung, der
sowohl ambulante Pflegedienste als auch Heime kontrolliert, prüfe hier
ebenfalls nicht, sagte dessen Sprecher Martin Dutschek der Hannoverschen
Allgemeinen Zeitung. Offenbar falle diese Versorgungsform durch das Raster.
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft in Hannover ihre Ermittlungen auch
auf die Mitarbeiter einer Polizeiwache ausgeweitet, wie der [2][NDR weiter
berichtet]. So habe ein Zeuge die Einrichtungsleiterin Carolina S. bereits
vor drei Jahren anzeigen wollen. Er hatte damals den Verdacht, sein Onkel
werde mit Morphium ruhiggestellt, obwohl dieser nach einem längst
verheilten Beinbruch gar keine Schmerzmittel mehr gebraucht habe. Die
Polizei in Schwarmstedt habe seine Anzeige angeblich nicht aufnehmen
wollen, weil sie sich für nicht zuständig hielt.
13 Feb 2020
## LINKS
[1] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Sen…
[2] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Sen…
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Alten- und Pflegeheime
Pflege
Altenpflege
Schwerpunkt Coronavirus
Bundesministerium für Gesundheit
Bremen
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