| # taz.de -- Gesetzentwurf zu Intensivpflege: Worte, die Angst machen | |
| > Der neue Gesetzentwurf zur Intensivpflege trifft auf Kritik. | |
| > Gesundheitsminister Spahn versucht abzuwiegeln, Betroffene bleiben aber | |
| > misstrauisch. | |
| Bild: Schon länger in der Kritik. Der Protest gegen Spahns Pläne im Sommer 20… | |
| Berlin taz | „Patienten in der Intensivpflege können weiter zu Hause | |
| betreut werden“, versprach [1][Bundesgesundheitsminister Jens Spahn] (CDU) | |
| kürzlich. Aber auch der überarbeitete Gesetzentwurf zur außerklinischen | |
| Intensivpflege, IPReG genannt, schürt Misstrauen und Angst. | |
| Es ist ein Wort, das die Betroffenenverbände auf die Barrikaden treibt: | |
| „angemessen“. Wünschen der Schwerstkranken, zu Hause versorgt zu werden, | |
| ist zu entsprechen, „soweit sie angemessen sind und die | |
| medizinisch-pflegerische Versorgung an diesem Ort sichergestellt ist“. | |
| So steht es im Referentenentwurf zum Gesetz, mit dem Spahn die | |
| [2][außerklinische Versorgung von schwerstkranken BeatmungspatientInnen] | |
| neu regeln will. | |
| Misstrauisch stimmt, dass die Prüfungen vor Ort, welche Versorgung | |
| angemessen ist, laut Gesetz künftig die Medizinischen Dienste der | |
| Krankenkassen (MDK) vornehmen sollen – also genau jene Institutionen, die | |
| an Kostendämpfung interessiert sind. | |
| ## Bisher haben sich Betroffene erfolgreich gewehrt | |
| „Das Problem liegt im Wort ‚angemessen‘“, sagt die behindertenpolitische | |
| Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Corinna Rüffer, „angemessene | |
| Wünsche sind Wünsche, die keine unverhältnismäßigen Mehrkosten | |
| verursachen“. Diese Prüfung „widerspricht dem Recht, selbst zu entscheiden, | |
| wo man leben will“, erklärte Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der | |
| Bundesregierung, am Donnerstag. Die UN-Behindertenrechtskonvention gesteht | |
| jedem Menschen ein Wahlrecht bei der Wohnform zu. | |
| Im neuen IPReG-Gesetz wird bei der Prüfung der Angemessenheit auf eine | |
| Passage im Bundesteilhabegesetz verwiesen, den Paragrafen 104. Dort geht es | |
| nicht um Intensivpflege-PatientInnen, sondern um schwerstbeeinträchtigte | |
| Menschen, die im Rollstuhl sitzen und zu Hause auf eine | |
| 24-Stunden-Betreuung durch mehrere AssistentInnen angewiesen sind. Bei | |
| diesen Betroffenen sollen die „persönlichen, familiären und örtlichen | |
| Umstände“ berücksichtigt werden und es soll auch die Möglichkeit eines | |
| Kostenvergleichs geben. | |
| Verbände haben bei diesen Leuten bereits Erfahrungen, wie sich dies | |
| auswirken könnte. „Bei uns melden sich Leute, denen der Sozialhilfeträger | |
| mitgeteilt hat, dass ihnen das persönliche Budget gekürzt werden soll. | |
| Diese Leute könnten dann die Assistenz zu Hause nicht mehr finanzieren und | |
| müssten in eine stationäre Einrichtung wechseln“, berichtet Constantin | |
| Grosch, Vorsitzender von AbilityWatch, einer Plattform für Menschen mit | |
| Behinderungen. | |
| Auch Sigrid Arnade, Geschäftsführerin der Interessenvertretung | |
| Selbstbestimmt Leben (ISL), kennt ähnliche Fälle. Meist aber hätten sich | |
| die Betroffenen erfolgreich, auch juristisch, dagegen gewehrt, zwangsweise | |
| in stationäre Einrichtungen geschickt zu werden. | |
| ## Kosten: Bis zu 25.000 Euro pro Monat und PatientIn | |
| Eine außerklinische Eins-zu-eins-Betreuung von IntensivpatientInnen kann | |
| die Krankenkasse 25.000 Euro pro Monat kosten, bei der Unterbringung in | |
| einer Pflege-WG kommt hingegen nur eine PflegerIn auf drei PatientInnen und | |
| der Kostenaufwand ist deutlich niedriger. | |
| Um den Protest bei den IntensivpflegepatientInnen gegen das neue Gesetz | |
| gering zu halten, hat Spahn einen unbefristeten Bestandsschutz eingebaut | |
| für jene, die bereits zu Hause versorgt werden. Der Bestandsschutz wäre | |
| nicht nötig gewesen, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass künftig | |
| Versicherte aus ihren ambulanten Versorgungssituationen gerissen werden | |
| könnten, so Grosch. | |
| Werden IntensivpatientInnen in ein Pflegeheim verlegt, sollen künftig die | |
| Eigenanteile der Versicherten an der Heimunterbringung entfallen, so steht | |
| es im Gesetzentwurf. Damit will Spahn die Versorgung im Heim für die | |
| Familien attraktiver machen. Laut Gesetz gab es im Jahre 2018 rund 19.000 | |
| außerklinisch versorgte IntensivpatientInnen. | |
| 12 Dec 2019 | |
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| [1] /Entwurf-fuer-Intensivpflegegesetz/!5648032 | |
| [2] /Spahns-Intensivpflege-Staerkungsgesetz/!5621043 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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