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# taz.de -- Intensivpflegegesetz im Bundestag: Bloß nicht ins Heim!
> Am Mittwoch wird das Intensivpflegegesetz im Bundestag verhandelt. Trotz
> Nachbesserung stößt der Entwurf bei den Betroffenen weiter auf
> Widerstand.
Bild: Es herrscht Fachkräftemangel, besonders in der häuslichen Pflege
Berlin taz | Thomas Knoth, 50, hat eine Muskelerkrankung, wird über eine
Maske beatmet, sitzt im Rollstuhl, hat für einen Online-Shop gearbeitet,
spielt Boccia im Behindertensport und beschäftigt acht Mitarbeiter rund um
die Uhr, die sich um seine Pflege kümmern.
Mit seiner Spezial-Computertastatur hat Knoth einen Brief an den
Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags geschrieben. Denn im
Ausschuss wird am Mittwoch in einer Anhörung von Experten das
nachgebesserte [1][Intensivpflegestärkungsgesetz] verhandelt. Und das sorgt
nach wie vor für große Ängste bei Tausenden von Schwerstbehinderten in
Deutschland. Für viele Betroffene bestehe „die reale Gefahr, ihr mühsam
aufgebautes Umfeld und ihr bisheriges soziales Leben zu verlieren“,
schreibt Knoth, „bitte helfen Sie mit, damit es nicht dazu kommt!“
Das [2][nachgebesserte Gesetz] zur außerklinischen Intensivpflege (IPReG)
sieht zwar vor, dass BeatmungspatientInnen weiterhin das Recht haben
sollen, auch in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie rund um die Uhr durch
professionelle Kräfte versorgt zu werden. Dies gilt auch nicht mehr als
nachrangig gegenüber der stationären Pflege wie in einem früheren
Gesetzentwurf. Ein Knackpunkt aber liegt in der Voraussetzung, dass durch
die ambulanten Pflegekräfte „die medizinische und pflegerische Versorgung“
zu Hause „tatsächlich und dauerhaft sichergestellt“ werden könne, wie es …
Gesetzentwurf heißt.
Dieser „Sicherstellungsvorbehalt“ könnte zum Einfallstor werden für die
Zwangsverlegung in Heime, fürchten Behindertenverbände. Denn es herrscht
Fachkräftemangel, erst recht in der häuslichen Pflege. Prüfer der
Krankenkassen könnten dies zum Anlass nehmen, auf die angeblich fachlich
qualifiziertere Betreuung in Heimen zu verweisen. In den Heimen ist aber
eine Pflegekraft für viele PatientInnen zuständig und nicht nur für einen
Menschen wie in der häuslichen 24-Stunden-Pflege.
## Krankenkassen loben den Entwurf
„Das Gesetz darf die Beweislast, dass eine qualitätsgesicherte Pflege
erbracht wird, nicht auf die Betroffenen verschieben. Denn sonst kann es
ein Problem geben, wenn Pflegebedürftige zu Hause leben wollen und kein
qualifiziertes Personal für die häusliche Intensivpflege finden. Hier muss
es beim Sicherstellungsauftrag der Krankenkasse bleiben“, sagt Adolf Bauer,
Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD) der taz.
Oft arbeiten Schwerstbehinderte und ihre Familien aber auch mit angelernten
Hilfskräften, die gut auf die persönlichen Bedürfnisse der Betreuten
eingestellt sind. Knoth beschäftigt als Arbeitgeber auch angelernte
Assistenten, die mit ihm und seinen Hilfsmitteln umgehen können. „Es wäre
fatal, wenn diese Modelle in Zukunft durch das neue Gesetz nicht mehr
möglich wären“, warnt die Gesellschaft für außerklinische Beatmung
[3][DIGAB]. Behinderte Menschen müssten selbst bestimmen können „wer ihnen
wann und wie assistiert“, sagt Sigrid Arnade von der Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben in Deutschland [4][(ISL)] der taz.
Den Krankenkassen geht es auch um viel Geld. Eine häusliche
1:1-Rund-um-die-Uhr-Betreuung einer BeatmungspatientIn kann 25.000 Euro
oder mehr im Monat kosten. In Pflegeheimen kommt die DIGAB auf Kosten von
7.000 Euro für solche Schwerstbehinderten. Auf der Website des Verbandes
der Ersatzkassen [5][VDEK] wird das geplante Gesetz als ein Gesetz für
„hochspezialisierte Pflegeeinrichtungen“ gelobt und es heißt: „Nur noch …
Ausnahmefällen soll die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt des
Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden können.“ Es
sind genau solche Sätze, die bei Betroffenen wie Knoth für Angst sorgen.
16 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/06-05-2020-gkv-ipreg-6…
[2] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/193/1919368.pdf
[3] https://www.bundestag.de/resource/blob/700610/84214a364e9a57d0dba4a7c81b671…
[4] https://www.isl-ev.de/index.php?option=com_content&view=category&la…
[5] https://www.vdek.com/politik/gesetze/wahlperiode_19.html
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
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Pflege
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Bundesministerium für Gesundheit
Jens Spahn
Pflege
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