# taz.de -- Protest gegen Intensivpflegegesetz: Angst und Widerstand | |
> Am 2. Juli soll das Intensivpflegegesetz im Bundestag verabschiedet | |
> werden. Aktivist:innen haben dagegen am Dienstag in Berlin protestiert. | |
Bild: Oliver Jünke, Erster Vorsitzender der ALS-mobil e.V, protestiert vor dem… | |
Berlin taz | Fotos von Menschen mit Decken und Tüchern über dem Kopf hängen | |
auf einer Leine vor dem Brandenburger Tor. Manche Personen stehen, andere | |
liegen, viele sitzen in Rollstühlen. Die Aktion „Verhüllt!“, am Dienstag … | |
Brandenburger Tor in Berlin, soll auf den Protest gegen das | |
[1][Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz] (IPReG) aufmerksam | |
machen. Menschen mit Beeinträchtigungen fürchten, zwangsweise ins Heim | |
eingewiesen zu werden, wenn das Gesetz an diesem Donnerstag vom Bundestag | |
beschlossen wird. | |
Die Aktion entstand aus einem Post bei Facebook und Instagram, die | |
Initiatorin, Laura Mench zeigt sich überwältigt von der Resonanz. Das | |
zeige, dass die „drohende Unsichtbarkeit“ vielen Menschen Angst mache. | |
Mench hofft, dass die Verabschiedung des Gesetzes von der Tagesordnung des | |
Bundestages gestrichen wird. | |
Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat neben | |
Angst auch viel Widerstand erzeugt. Seit einem Jahr kämpfen Menschen mit | |
Behinderung und Beatmungsbedarf um ihre Selbstbestimmung und darum, ihren | |
Wohnort weiterhin selbst wählen zu können. Die [2][Petition „Kein Heimzwang | |
für Pflegebedürftige!“] haben am Dienstagmittag über 207.000 potenziell | |
Betroffene und Unterstützer:innen unterschrieben. | |
Kisten mit diesen Unterschriften werden auf der Kundgebung an | |
Politiker:innen der Grünen, der FDP und der Linkspartei übergeben, auch die | |
stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Bärbel Bas, nimmt einen | |
Karton entgegen. In einer kurzen Rede entschuldigt sie sich dafür, dass das | |
Gesetz in der Behindertenbewegung „Misstrauen und Angst“ erzeugt habe. Sie | |
sagt, dass der Druck gewirkt habe und der jetzige, noch inoffizielle, | |
Entwurf besser sei. Er stelle nun keine Gefahr für die Betroffenen mehr | |
dar. Wenn die Einigung mit der CDU/CSU gelinge, würde das Gesetz | |
festschreiben, dass den „berechtigten Wünschen der Betroffenen zu | |
entsprechen sei“. | |
## Die Skepsis überwiegt | |
Applaus erhält sie dafür nicht, bei den Teilnehmer:innen der Kundgebung | |
überwiegt Skepsis. Laura Mench fragt sich, was denn „berechtigte Wünsche“ | |
seien. Solange die jährliche Überprüfung der Wohn- und Pflegeverhältnisse | |
durch den medizinischen Dienst festgeschrieben bleibe, sei das Gesetz ein | |
Problem für Menschen, die ihre Pflege durch Assistenz selbst zu Hause | |
organisierten. | |
Nach dem aktuell bekannten Entwurf soll der medizinische Dienst | |
entscheiden, ob „die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort | |
tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann“. Sei dies nicht der | |
Fall, könne eine Heimeinweisung erfolgen. Der medizinische Dienst agiere | |
aber ausdrücklich im Auftrag der Krankenkassen und sei vor allem an | |
Kostenersparnis interessiert, sagt Mench. Die Erfahrung, dass die | |
Interessen von Menschen mit Beeinträchtigungen und chronischen Krankheiten | |
dabei nicht wirklich interessierten, hätte jeder und jede von ihnen bereits | |
gemacht. | |
Auch die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen, Corinna Rüffer, | |
glaubt nicht, dass die nun versprochene Regelung menschenrechts- und | |
grundgesetzkonform sein wird: „Der Kollegin von der SPD ist selbst klar, | |
dass das nicht reicht. Solange die Überprüfung durch den medizinischen | |
Dienst nicht gestrichen wird, bleibt das Problem. Die Unionsseite blockiert | |
und in der SPD-Fraktion geht das Thema den meisten doch am Arsch vorbei“, | |
schildert sie ihren Eindruck. Grüne, Linkspartei und FDP haben einen | |
gemeinsamen Änderungsantrag zum Gesetz eingebracht. Falls dieser keine | |
Mehrheit finde, habe man schon eine Verfassungsklage vorbereitet. | |
Durch die Erkrankung mit Covid-19 werden mehr Menschen Bedarf an Beatmung | |
und damit auch Beatmungsentwöhnung haben. Das Gesetz soll die Versorgung | |
von Versicherten mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer | |
Behandlungspflege regeln und finanziellen Fehlanreizen in der | |
Intensivpflege entgegenwirken. Krankenhäuser und Pflegedienste sparen an | |
der aufwendigen Entwöhnung und verdienen an den höheren Entgelten für | |
weiterhin beatmungspflichtige Patient:innen. | |
Minister Spahn hatte immer wieder betont, dass es im Intensivpflegegesetz | |
um diese und gar nicht um Menschen mit dauerhaften Beeinträchtigungen gehe, | |
die auch Hilfe beim Atmen bräuchten. Der Inklusionsaktivist Raúl | |
Krauthausen kritisierte am Rande der Kundgebung, der Gesetzentwurf richte | |
sich mehr gegen die potenziellen Opfer dieser Abrechnungsbetrügereien als | |
gegen die Betrüger:innen selber. | |
Transparenzhinweis: Die Initiatorin [3][Laura Mench] ist freie Autorin der | |
taz. | |
30 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Intensivpflegegesetz-im-Bundestag/!5692859 | |
[2] https://www.change.org/p/lasst-pflegebed%C3%BCrftigen-ihr-zuhause-stoppt-da… | |
[3] /Laura-Mench/!a54410/ | |
## AUTOREN | |
Kirsten Achtelik | |
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