# taz.de -- Protest von ÄrztInnen und PflegerInnen: „Hört auf uns. Nicht au… | |
> Die Krankenpflegerin Silvia Habekost kämpft gegen die Ökonomisierung im | |
> Gesundheitswesen, nicht nur als Lehre aus Corona. Protestiert wird | |
> bundesweit. | |
Bild: Charité-Mitarbeiter auf dem Krankenbett: Protestaktion 2011 | |
taz: Frau Habekost, spüren Sie eigentlich die gestiegene Anerkennung für | |
KrankenpflegerInnen? | |
Silvia Habekost: Nein. Klatschen nutzt uns nichts. Wir wollen, dass man uns | |
zuhört. | |
Haben sich Ihre Arbeitsbedingungen in Zeiten von Corona verändert? | |
Es ist die Unsicherheit dazugekommen, sich anzustecken. Die Gefahr ist ja | |
groß, denn wir können nicht mit Mindestabstand pflegen. Vor allem zu Beginn | |
der Krise hat es zudem massiv an Schutzkleidung gefehlt. Da wurden wir | |
geschult, wie wir sparsam mit der Ausrüstung umgehen können. Das ist | |
inzwischen besser geworden, aber dennoch bekommen wir weiterhin nur eine | |
FFP2/3-Maske pro Schicht und nicht genügend Desinfektionsmittel. Positiv | |
ist, dass wir zumindest auf unserer Station zurzeit noch weniger Patienten | |
haben. Das würde ich mir immer wünschen. Generell sieht es auch deutlich | |
schlechter aus: Gesundheitsminister Jens Spahn hatte ja sogar die | |
Pflegepersonaluntergrenzen, etwa auf Intensivstationen, ausgesetzt. | |
Die für den heutigen Mittwoch geplante GesundheitsministerInnenkonferenz | |
ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Sie demonstrieren dennoch und sagen: | |
„Die Politik hat nichts zu besprechen? Wir haben aber eine Menge zu sagen!“ | |
Was denn? | |
Wir haben drei grundsätzliche Forderungen, die auch schon vor Corona | |
galten: Erstens brauchen wir eine ordentliche Personalbemessung nicht nur | |
für die Pflege, sondern im Krankenhaus allgemein. Es muss festgelegt sein, | |
wie viele Patienten durch Ärzte und Pflegerinnen versorgt werden können, | |
und das darf dann auch nicht überschritten werden. In der Pflege gibt es | |
bislang Vorgaben für eine Mindestbesetzung, deren einziger Maßstab es ist, | |
eine Gefährdung der Patienten zu vermeiden. Aber das kann es ja nicht sein: | |
Wir wollen eine gute, bedarfsgerechte Versorgung der Patienten. Eine | |
Einigung für so eine Personalbemessung ist zwischen der Deutschen | |
Krankenhausgesellschaft, Verdi und dem Pflegerat ausgehandelt, aber nicht | |
umgesetzt. Jetzt ist es an der Zeit. | |
… Geld in die Hand zu nehmen? | |
Ja. Und wir müssen dahin kommen, dass nicht mehr BWLer, sondern Ärztinnen | |
und Pfleger was zu sagen haben. Mit Gesundheit sollen keine Gewinne gemacht | |
werden. Fallpauschalen, also die pauschale Bezahlung pro Fall, egal was er | |
wirklich kostet, gehören abgeschafft. Krankenhäuser haben dadurch den | |
Anreiz, nur bestimmte Behandlungen durchzuführen, um möglichst viel Geld | |
einzunehmen. Das ist bei privaten Krankenhäusern noch schlimmer. Die | |
schütten von den Einnahmen aus den Fallpauschalen – bezahlt durch die | |
Krankenkassenbeiträge – Dividenden an ihre Aktionäre aus. | |
Eine Finanzierung, die Anreize schafft, die nicht den Patienten oder dem | |
Personal dient, muss beendet werden, auch im Bereich der ambulanten | |
Versorgung und der Altenpflege. Der Spardruck führt im Übrigen auch dazu, | |
dass Vorhaltekosten, etwa Lagerkapazitäten, aber auch eine Vorhaltung von | |
Betten und Personal, gestrichen werden – das Ergebnis hat man jetzt bei | |
Corona gesehen. | |
Was ist mit den Arbeitsbedingungen? | |
Das ist die dritte Forderung. Die Hauptlast der Ökonomisierung und der | |
gesunkenen Investitionskosten der Länder bezahlt das Personal – durch | |
Outsourcing, Lohndumping, Stellenstreichungen. Richtig hart trifft es | |
Beschäftigte, die angeblich nichts mit direkter Patientenversorgung zu tun | |
haben, wie Reinigung, Technik, Transport, Wäsche, Speisenversorgung. Das | |
sind Bereiche, in denen am ehesten neue Leute gefunden werden können und | |
die sich am wenigsten wehren. Die ganzen ausgegliederten Bereiche müssen | |
zurückgeholt werden. | |
Ist Berlin da nicht auf einem guten Weg? | |
Na ja. Bei der Charité-Tochterfirma CFM hing etwa unter anderem der private | |
Konzern Dussmann mit drin; der ist jetzt aber raus. Die Beschäftigten haben | |
jetzt auch eine Bezahlung über dem Mindestlohn. Dafür mussten sie jahrelang | |
kämpfen. Bei den insgesamt zwölf Tochterfirmen von Vivantes steht der | |
Tarifkampf gerade aus. Die Beschäftigten dort mobilisieren sich gerade. | |
Hat sich die Politik der vergangenen Jahre während Corona gerächt? | |
Im Vergleich zu Ländern wie den USA ist hier ja zum Glück noch nicht alles | |
dem Markt überlassen worden, auch wenn die Tendenzen da sind. Insofern | |
stehen wir, etwa was die Zahl der Betten betrifft, noch relativ gut da. | |
Hätten wir aber Infiziertenzahlen wie in Spanien oder Italien gehabt, hätte | |
das Personal nicht mehr ausgereicht. Dann hätte es große Schwierigkeiten | |
gegeben. Der Mangel an Schutzkleidung ist auch ein Zeichen, wie schlecht | |
wir auf solche Krisen vorbereitet sind. | |
Die Beschäftigten von Charité und Vivantes fordern zusammen mit Verdi vom | |
Senat die Unterzeichnung eines Corona-Krankenhauspakts. Worum geht es da? | |
Wir wollen, dass die Krankenhäuser nicht auf den Kosten, die durch Corona | |
angefallen sind, sitzen bleiben, sondern diese vollständig übernommen | |
werden. Da sind wir auch nah dran. Zudem wollen wir – 4.500 Beschäftigte | |
haben innerhalb einer Woche die Petition unterzeichnet – eine Erhöhung der | |
Bonuszahlungen von derzeit 150 Euro über drei Monate auf 500 Euro. | |
Besonders wichtig ist das auch für die Altenheim- oder Hauskrankenpfleger, | |
die ohne Tarifvertrag viel weniger Geld zur Verfügung haben als wir im | |
Krankenhaus. Die Forderung resultiert aus dem erhöhten Risiko, dem wir alle | |
bei unserer Arbeit ausgesetzt sind. | |
Ebenso wollen wir, dass die Ansteckung mit Covid-19 als Berufskrankheit | |
anerkannt wird und endlich genügend Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt | |
wird. Das sind die Corona-Forderungen. Darüber hinaus geht es auch hier um | |
die Rückführung der Tochterfirmen, eine veränderte Krankenhausfinanzierung | |
und mehr Personal. | |
So wie im [1][Volksentscheid Gesunde Krankenhäuser] gefordert, der vom | |
Senat aber für rechtlich unzulässig erklärt wurde? | |
Genau. Noch prüft das Berliner Landesverfassungsgericht, ob das Begehren | |
wirklich zu sehr in Bundesangelegenheiten eingreift. Davon unbenommen | |
könnte der Senat in den landeseigenen Krankenhäusern sofort für bessere | |
Bedingungen sorgen, etwa durch Personalvorgaben, die sich am Bedarf | |
orientieren. Gesundheitssenatorin Kalayci hat die Forderungen ja begrüßt, | |
tut aber so, als könne sie nichts machen. Dabei hindert sie niemand, das | |
sofort umzusetzen. Von warmen Worten können wir uns nichts kaufen und wird | |
vor allem auch die Pflege nicht besser. | |
17 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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