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# taz.de -- Pflege während der Pandemie: Schluss mit der Einsamkeit
> Fatoş Topaç, pflegepolitische Sprecherin der Grünen in Berlin, fordert
> ein schnelles Coronakonzept zur Bewältigung von Problemen im
> Pflegebereich.
Bild: Mitte Mai haben Pflegekräfte auf die für sie extrem Belastung in der Co…
Berlin taz | Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus drängt auf ein
besseres Management der Coronakrise im Pflegebereich. Das geht aus einem
Positionspapier hervor, das die Parlamentarier:innen am Dienstagnachmittag
beschlossen haben und das der taz vorliegt. Das Papier formuliert dabei
zumindest indirekt Kritik am rot-rot-grünen Koalitionspartner SPD,
namentlich am Kurs von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).
„Die Senatsverwaltung ist gefordert, Muster-Pandemiepläne und verbindliche
Vorgaben auf Basis der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für die
ambulante und stationäre Pflege zu erstellen“, heißt es in dem Papier. Die
pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Fatoş Topaç, die mit der Senatorin
im Gesundheitssausschuss sitzt, mahnt die Umsetzung eines umfassenden Plans
in der Verwaltung des Koalitionspartners an. Sie sagt: „Es heißt, Kalayci
plant eine eigene Strategie für die Pflege. Das ist erfreulich. Jetzt muss
die Verwaltung dafür ein Finanzierungskonzept vorlegen.“
Dass Papier lässt nun erahnen, dass es den Grünen offenbar nicht schnell
genug geht. So seien zum Schutz von Menschen, die auf Pflege angewiesen
sind, und zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen und Pflegekräften
gleich eine Reihe von Maßnahmen erforderlich.
Viele Pflegekräfte arbeiten derzeit noch unter unzureichenden
Schutzbedingungen, wie es aus der Branche heißt – noch immer fehle es in
Einrichtungen an Schutzkleidung. Zudem soll vielen Bewohner:innen die
anhaltende [1][Einsamkeit während der Pandemie] zunehmend zu schaffen
machen. [2][Seit Anfang Mai sind Besuchsregelungen zwar etwas gelockert],
es heißt in der Branche allerdings, dass sich viele Einrichtungen aus Angst
nicht daran hielten.
## Einsamkeit und fehlendes Wlan
So wollen die Grünen erreichen, dass Einrichtungen sich auch tatsächlich an
gelockerte Besuchsregelungen halten. „Wir sind beim Thema Einsamkeit nach
wie vor nicht gut aufgestellt“, sagt Topaç, „wir haben die
Besuchsregelungen zwar auf eine Person pro Tag gelockert, jetzt müssen die
Einrichtungen aber auch dabei unterstützt werden, das möglich zu machen.“
Zum Infektionsschutz solle die Gesundheitsverwaltung dafür sorgen, dass
Einrichtungen Schwerpunkt-Testungen durchführten. Bei denen sollten sich
nach Ansicht der Grünen zudem Besucher:innen und pflegende Angehörige
testen können – auf freiwilliger Basis.
Ebenso brauche es ein Konzept, um Menschen in Pflegeeinrichtungen digitale
Kommunikation zu ermöglichen: „Entgegen der Behauptung von Kalayci haben
nicht einmal alle Einrichtungen Wlan. Die Gesundheitsverwaltung muss dafür
sorgen, dass sie es bekommen und den Häusern Tablets zur Verfügung stellen,
um soziale Kontakte zu pflegen“, sagt Topaç. Ebenso soll laut Papier ein
Plan erarbeitet werden, wie eine künftige Tracing-App für Pflegebedürftige
und deren Angehörige genutzt werden könne.
Zudem sei es wichtig, Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, mehr bei
sie betreffenden Entscheidungen einzubeziehen, wie es in dem Papier heißt.
Dabei solle eine „Kosten-Nutzen-Abwägung“ getroffen werden zwischen den
Polen „Infektionsschutz“ und „sozialer Isolation“. Für die Wahrnehmung…
Interessen von Beschäftigten und der Branche wollen die Grünen zudem die
Gründung einer Berliner Pflegekammer voranbringen.
Darüber hinaus wollen die Grünen Geld aus der Pflegeversicherung bereit
stellen, um so etwa nachbarschaftliche Hilfe finanzieren zu können.
Weiterhin sollen pflegende Angehörige unterstützt werden, indem sie
ebenfalls getestet werden und Desinfektionsmittel und Schutzkleidung
erhalten.
## Gesamtlage in der Pflege schlecht
Auch an anderer Stelle gäbe es noch erheblichen Verbesserungsbedarf – etwa
bei der Schutzausrüstung für ambulante Dienste, die häusliche Pflege
durchführten. Bei einem [3][Covid19-Ausbruch in einer Einrichtung in
Lichtenberg] hatte ein ambulanter Träger das Virus in die Einrichtung
getragen. Topac sagt dazu: „Wir hatten bisher Glück, dass es in Berlin
vergleichsweise glimpflich verläuft. Es gab vergleichsweise wenig Ausbrüche
in Pflegeheimen.“ Dort, aber auch bei pflegenden Angehörigen müsse die
Verwaltung von Kalayci Abhilfe schaffen und bei der Besorgung von
Materialien unterstützen, so Topaç.
Über die kurzfristigen und landespolitischen Forderungen hinaus, fordern
die Grünen auf lange Sicht flächendeckende Verbesserungen für die
Pflegebranche. Eine in Berlin vor allem vom Regierenden Bürgermeister
Michael Müller (SPD) promotete einmalige Corona-Prämie für Pflegekräfte von
1.000 bis 1.500 Euro darf laut den Grünen nur der Anfang für „strukturelle
Verbesserungen für die Beschäftigten sein“. [4][Wohlfahrtsverbände und
freie Träger hatten zudem kritisiert], dass die Prämie in Berlin nur für
Beschäftigte in öffentlichen Einrichtungen ausgezahlt werden solle.
Die Grünen wollen laut ihrem Papier die Attraktivität des Pflegeberufs
durch „Arbeitsflexibilisierung, gute Kinderbetreuungskonzepte, angemessene
Bezahlung und flächendeckende Tarifverträge mit einem deutlich angehobenen
Einstiegsgehalt“ verbessern. Erforderlich wären ebenso „Arbeitsschutz und
Entlastung“ – also das „Wiedereinsetzen von Personaluntergrenzen“ sowie
Infektionsschutz durch systematische Teststrategien.
„Pflege hat mehr verdient als Applaus und einen Bonus“, heißt es in dem
Papier. Man müsse die aktuelle Aufmerksamkeit für die Schaffung von fairen
Arbeitsbedingungen und für bessere Bezahlung nutzen.
## Pflege schon immer unterbezahlt
Nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie fordern viele Pflegekräfte eine
bessere Bezahlung und verbesserte Arbeitsbedingungen. Allerdings drangen
diese Forderungen mit der Corona-Pandemie weiter durch, als Menschen
plötzlich anfingen, auf Ihren Balkons die Arbeit von Altenpfleger:innen zu
beklatschen. Denn diese müssen trotz aller Kontaktbeschränkungen das System
weiter am Laufen halten und setzen sich damit weiterhin einem erhöhtem
Gesundheitsrisiko aus.
Bei vielen dieser sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen sticht ins
Auge, dass es häufig genau die Berufe sind, die besonders schlecht bezahlt
sind. Neben Supermarkt-Kassierer:innen und selbstständigen
Paket-Ausliefer:innen betraf das auch immer wieder die Pflege.
Altenpfleger:innen forderten angesichts dessen nachhaltige Verbesserungen
für Arbeitsbedingungen statt heuchlerischem Balkon-Applaus – Forderungen,
die es übrigens angesichts eines eklatanten Fachkräftemangels in dieser
Branche schon seit Jahren gibt. Besonders in der Altenpflege fehlt es an
richtig ausgebildeten Arbeitskräften. 80 Prozent der Aufgaben übernehmen
oftmals Pflegehelfer:innen, die in einer 200-Stunden-Schulung die gröbsten
Dinge des Berufs gelernt haben und dann auf den Markt geschmissen werden.
Die Ausbildung zur Pflegefachkraft dauert drei Jahre – natürlich sind diese
als Arbeitskräfte dann auch teurer.
Damit wäre man dann auch schon bei einem weiteren Problem der Branche.
Viele Träger sind private Ketten, die vor allem die Profitinteressen ihrer
Investoren und Aktionäre in den Vordergrund stellen. Das Ergebnis sind mit
aller Regelmäßigkeit wiederkehrende Berichte über schlimme Zustände in
Pflegeeinrichtungen, in denen alte Menschen schlecht versorgt sind. Selbst
die Wohlfahrtsverbände nutzen ihre Profite um andere Bereiche quer zu
finanzieren, wie Experten sagen. Ein weiteres [5][Problem in der
Pflegebranche] ist der niedrige gewerkschaftliche Organisierungsgrad von
nur fünf Prozent bundesweit.
27 May 2020
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/pflegeheime-corona-101.html
[2] https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/05/b…
[3] /Nach-vielen-Corona-Infektionen/!5681923/
[4] https://www.tagesspiegel.de/berlin/freie-traeger-fordern-corona-praemie-fue…
[5] https://www.sueddeutsche.de/politik/spahn-pflege-bonus-1.4917277
## AUTOREN
Gareth Joswig
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