# taz.de -- Welt nach Corona: Diese Krise ist ein Ende | |
> Dass es nach Corona nicht weitergehen kann wie bisher, ist deutlich. Es | |
> ist nicht gut, gegen die Welt zu leben. | |
Bild: Eines der typischen Bilder in Corona-Zeiten: ein ausgedienter Einweghands… | |
Die Notwendigkeit des Neuen ist eigentlich evident. Corona hat es einmal | |
mehr gezeigt. Es gibt Alternativen zur bestehenden Wirklichkeit. Aber ganz | |
so einfach ist das nicht. Das Alte, mit den Worten von Antonio Gramsci, | |
stirbt nicht so leicht. | |
Es hängt dabei immer auch davon ab, was für eine Geschichte man erzählt und | |
wie: Ist der Anfang und Ursprung der Pandemie also ein Markt in Wuhan – | |
oder schon die Zerstörung der Natur durch den Menschen? Gibt es eine | |
Verbindung von Klimakatastrophe und Killervirus also, [1][unserer | |
Lebensweise], die das virale „Spillover“ erleichterte und unsere | |
Abwehrschwäche beschleunigte? | |
Gerade in Krisenzeiten zeigt sich die Schwäche jener Mischung aus Makro- | |
und Mikrobetrachtung, wie sie viele Medien vorführen, die sich eher auf | |
Personen konzentrieren als auf Prozesse, eher auf den Schaden des Gestern | |
als auf die Chancen von morgen. Damit engen sich die Gedankenräume ein – | |
und es wird schwierig für Veränderungen. | |
Dabei zeigt sich in der Coronakrise eine grundsätzliche Abwehrschwäche | |
längst nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich. Die | |
Privatisierungswellen der vergangenen Jahrzehnte haben aus der Gesundheit | |
eine Ware gemacht und die Fürsorge für Kranke und Schwache zu einem | |
lukrativen Geschäftsmodell. Diese Schieflage kostet nun Tausende und | |
Abertausende Menschen ihr Leben. | |
Die Antwort könnte nun sein, die Grenzen des Wachstums auch in diesem | |
Bereich zu sehen; oder anders, ausgehend von Corona eine andere Geschichte | |
von Wachstum oder Verzicht zu erzählen, das Verhältnis von Mensch und Natur | |
neu zu denken und zu justieren – weil ebendiese beiden Großkrisen, die | |
fossil beschleunigte Erderwärmung und die globalisierte Seuche, | |
zusammenhängen. | |
Es wäre die Chance, ausgehend von Corona grundsätzliche Gegebenheiten | |
unseres Lebens, unseres Wirtschaftens, unserer Politik neu zu bedenken: | |
weniger Egoismus, mehr für andere da sein, weniger kaufen, mehr teilen, | |
weniger Gewinn, mehr Sinn, weniger Regieren als Reagieren und mehr Ambition | |
und Aktion im Gestalten der Zukunft, eine andere Funktion des Staats. | |
Die Ökonomin Mariana Mazzucato hat das gerade einmal wieder zusammen mit | |
Guilio Quaggiotto, dem Innovationskoordinator der Vereinten Nationen für | |
den asiatischen Raum, beschrieben: wie das Scheitern des „schlanken Staats“ | |
deutlich wurde in dieser Krise und wie ein Staat wie Vietnam durch eine | |
Kombination aus privatwirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher und | |
akademischer Initiative eine wirkungsvollere Antwort auf Corona gefunden | |
hat. | |
Der Staat also, diskreditiert und auch dezimiert durch Sparmaßnahmen und | |
Kürzungen am falschen Platz, Bildung etwa, Technologie oder Pflege, zeigt | |
sich in seiner Handlungsfähigkeit und vor allem in seiner Bedeutung – nicht | |
als Nationalstaat im alten Gewand, sondern in der Vision von Mazzucato – | |
als schnell und flexibel agierend, verantwortungsvoll, bürgernah, als | |
Gegenteil des bürokratischen Molochs, als der er oft beschrieben wird. | |
Eine weitere Geschichte, die unsere Wirklichkeit prägt und das Neue | |
verhindert – das reduktionistische Weltbild eines | |
The-Winner-takes-it-all-Kapitalismus hat viel zu lange das Denken und | |
Handeln geprägt. Der Preis dafür war auch ein Blick auf den Einzelnen, der | |
die Notwendigkeit von Nähe, Solidarität, Fürsorge schlicht negierte. Es | |
waren oft [2][ideologische Nebeldiskussionen in einem postideologischen | |
Zeitalter], in dem Pragmatismus mit Purpose wichtiger wäre als das | |
Rechthaben in alten Auseinandersetzungen. | |
## Was geschehen könnte | |
[3][Diese Krise] sollte dazu führen, dass wir den weiteren Horizont unserer | |
Handlungen begreifen. Die Zusammenhänge sind klar, sie sollten auch medial | |
konstant und vor allem konstruktiv benannt und diskutiert werden. Tatsache | |
ist jedoch: Diese Krise ist auch eine Medienkrise. | |
Das zeigt sich in den aktuellen Diskussionen. Denn tatsächlich geht es | |
nicht darum, ob ein Ministerpräsident nun dies tut oder das oder ob ein | |
Virologe recht hat oder nicht. Sich darauf zu fokussieren, ist eben genau | |
die Reduktion auf ein gedankliches Minimum, die die Diskussion über die | |
notwendigen Veränderungen verhindert. | |
In vielem scheinen diese Art von medial aufgebauschten Geschichten genau | |
dieses Ziel zu verfolgen – zu verhindern, dass die Menschen nachdenken und | |
Dinge anders machen könnten. Dabei ist längst deutlich: Diese Krise | |
bedeutet ein Ende; es ist nur noch nicht klar, was danach kommt. | |
Was geschehen könnte: Große Unternehmen werden noch größer, Monopolisten | |
wie Amazon oder Google nehmen noch mehr Platz ein, die Verdrängung nimmt | |
zu, und das Versprechen des Homeoffice für alle ist doch nur eine weitere | |
Möglichkeit für Unternehmen, ihre Strukturen zu verschlanken und die Kosten | |
zu minimieren und auf den Einzelnen zu übertragen. | |
Was aber auch geschehen könnte: Wir überdenken als Gesellschaft den Wert | |
von Arbeit, von Fürsorge, von Wohlbefinden, das wichtiger ist als | |
Wohlstand, wie leben anders, lernen anders, setzen andere Werte von Würde, | |
von Wertschätzung, von Respekt und Teilhabe und verändern vor allem die | |
Prioritäten der Wirtschaft – weg von der Ausbeutung der Natur, die das | |
Wesen des Menschen in vielem pervertiert. | |
Es ist nicht gut, gegen die Welt zu leben, sich gegen die Kraft zu stemmen, | |
die einen tragen könnte. Das Netz der Natur ist weit gefasst, Anna | |
Lowenhaupt Tsing, die wunderbare Anthropologin, hat das in ihrem Buch „Der | |
Pilz am Ende der Welt“ sehr schön beschrieben. Sie spricht darin von | |
„kontaminierter Diversität“, von Ökologie in den Ruinen des Kapitalismus. | |
Kontamination ist in diesem Kontext nicht das Problem; Komplexität ist die | |
Antwort auf die Fragen dieser Welt. | |
27 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Georg Diez | |
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