# taz.de -- Spahns Intensivpflege-Stärkungsgesetz: Die Teilhabe darf nicht zer… | |
> Dass Schwerstkranke rund um die Uhr intensivmedizinisch zu Hause versorgt | |
> werden können, ist eine Errungenschaft. Wir können stolz darauf sein. | |
Bild: 2016 demonstrierten Betroffene gegen das Teilhabegesetz | |
Wer wissen will, wie man als Politiker Menschen viel Angst machen kann, der | |
muss sich nur Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und seinen | |
Referentenentwurf zum [1][Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz] | |
anschauen. | |
Das Gesetz betrifft Menschen, die 24 Stunden lang intensivmedizinischer | |
Pflege durch Fachkräfte bedürfen wie etwa Dauerbeatmung mit Gerätehilfe und | |
Absaugung der Atemwege. Diese Personen sollen künftig „regelhaft“ nur noch | |
in Heimen oder Pflege-WGs betreut werden. Nur wenn dies „nicht zumutbar“ | |
sei, so der Entwurf, könne diese Intensivpflege künftig durch Fachkräfte | |
auch im Haushalt oder in der Familie erbracht und finanziert werden. | |
Ein [2][Proteststurm von Schwerstbehinderten und deren Angehörigen] folgte. | |
Spahn ruderte in einem Interview zurück: Es seien ja nur diejenigen | |
betroffen, die in der Regel „nicht selbst entscheiden“ könnten, die sich | |
„nicht artikulieren“ könnten, wo sie gepflegt werden wollten. Umgehend | |
meldeten sich entsetzte Angehörige zu Wort, die um die häusliche Pflege | |
ihrer Lieben bangten. | |
Man muss sich mal die Gefühlslage der Leute und ihrer Familien vorstellen: | |
Hier geht es um Menschen, die nicht nur Hilfe beim Anziehen, Waschen, Essen | |
brauchen, sondern die ununterbrochene Hilfe zum Erhalt der Vitalfunktionen | |
benötigen. Ist der Computer eines Patienten mit fortgeschrittener | |
amyotropher Lateralsklerose (ALS) nicht richtig eingestellt oder wird er | |
nicht ständig abgelesen von einer Pflegekraft, ist der oder die Betroffene | |
stumm und hilflos eingeschlossen in den Körper, denn die Kommunikation über | |
ein mit den Augen gesteuertes Tablet ist die einzige Möglichkeit, sich | |
überhaupt noch zu äußern. | |
## 20.000 Euro Kosten im Monat | |
Es ist völlig klar, dass es diese PatientInnen und deren Angehörige in | |
Panik versetzt, wenn ein Minister droht, per Gesetz die Finanzierung der | |
häuslichen 1:1-Intensivpflege zu kippen. Für diese PatientInnen macht es | |
einen Riesenunterschied, ob sie zu Hause in einer 1:1-Betreuung | |
fachmedizinisch rund um die Uhr versorgt werden oder in einer Pflege-WG | |
leben müssen, wo bestenfalls nur eine Fachkraft zwischen drei PatientInnen | |
hin und her hetzt und Angehörige nur zu Besuch kommen. | |
Der Anspruch auf außerklinische intensivmedizinische Pflege zu Hause ist | |
erst 1999 durch ein Urteil des Bundessozialgerichts gefestigt worden. Eine | |
Fachkraft für IntensivpatientInnen kostet laut dem Bundesverband privater | |
Anbieter sozialer Dienste (bpa) mit allen Sozialbeiträgen etwa 4.000 Euro | |
im Monat, bei einer Betreuung rund um die Uhr, inklusive Urlaub, | |
Krankheitsausfällen et cetera rechnet der Verband mit fünf Fachkräften, | |
also mit 20.000 Euro an Kosten im Monat. | |
Davon unterscheiden muss man die häusliche Rund-um-die-Uhr-Pflege | |
Schwerstbehinderter im Rollstuhl durch AssistentInnen, wenn die | |
PatientInnen aber nicht der intensivmedizinischen Betreuung bedürfen und | |
vor allem unter das Bundesteilhabegesetz fallen. Sozialgerichte | |
errechneten hier Kosten von 12.000 Euro im Monat für mehrere AssistentInnen | |
im Vollschichtbetrieb. | |
Unter das Teilhabegesetz fallen Menschen mit Behinderungen, deren | |
Beeinträchtigung laut Sozialgesetzbuch „von dem für das Lebensalter | |
typischen Zustand abweicht“, die also jünger sind. Wer im Alter | |
pflegebedürftig wird oder etwa eine Demenz entwickelt, für den ist wiederum | |
die Pflegekasse zuständig mit maximalen Leistungen von nur 2.000 Euro im | |
Monat für ambulante Pflegekräfte. | |
## An der Ethik der Teilhabe sollte niemand rütteln | |
In den Kommentarspalten der Onlinemedien gibt es | |
„Gerechtigkeitsdiskussionen“ über diese Unterschiede. Doch es verbietet | |
sich, Schwache gegen Schwache auszuspielen und womöglich die Bedingungen | |
für eine Gruppe zu verschlechtern, um angeblich für mehr „Gerechtigkeit“ … | |
sorgen. | |
Zu den traurigen Konsequenzen der Staffelungen gehört allerdings der | |
Missbrauch der teuren häuslichen Intensivpflege. Der dauerhaft über einen | |
Luftröhrenschnitt beatmete Patient ist profitabel für die Pflegedienste. | |
Die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für außerklinische Beatmung | |
(Digab) beklagt, dass viele PatientInnen mit Luftröhrenschnitten dauerhaft | |
ans Beatmungsgerät gefesselt bleiben, weil die Pflegedienste damit viel | |
Geld verdienen, obwohl beispielsweise auch eine weniger invasive Beatmung | |
über eine Maske, unterstützt von PflegeassistentInnen, ausreichend wäre. Es | |
ist richtig, hier mehr fachliche Kontrolle einzuführen, wie es auch der | |
Gesetzentwurf von Spahn vorsieht. | |
Eine ganz andere Sache aber ist es, per Gesetz die außerklinische | |
Intensivpflege 1:1 in häuslicher Umgebung kurzerhand zu kippen | |
beziehungsweise zur Ausnahme zu machen, weil es dabei so viel Missbrauch | |
gibt. Im übertragenen Sinne käme dies der Maßnahme gleich, Autos | |
abzuschaffen, nur weil einige Fahrer in unverantwortlicher Art und Weise | |
damit umgehen, heißt es in der Digab-Erklärung. | |
Spahn versucht zu beruhigen, es werde ja noch lange über den | |
Referentenentwurf diskutiert, sagt er. Wahrscheinlich wird es keine | |
„Zwangseinweisungen“ ins Heim durch die Krankenkassen geben, die von den | |
Sozialgerichten ohnehin kassiert würden. Aber im Gesetzentwurf sollte der | |
Anspruch auf häusliche Versorgung in der außerklinischen Intensivpflege | |
grundsätzlich festgeschrieben werden, nur das würde vielen Betroffenen ihre | |
Ängste nehmen. | |
Dass Schwerst-Eingeschränkte heute mit ihren klobigen Rollstühlen, | |
Sprachcomputern, brummenden Beatmungsgeräten, ihren muskelbepackten | |
HelferInnen in Ministerien demonstrieren, dass sie nicht mehr in | |
irgendwelchen Heimen verschwinden, das ist ein Fortschritt, auf den wir | |
stolz sein können. An der Ethik der Teilhabe sollte niemand rütteln, auch | |
wenn die Kosten im Einzelfall hoch sein mögen. Wenn Werte erst mal | |
zerbröseln, ist es kaum möglich, sie wieder aufzubauen. | |
9 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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