| # taz.de -- Neuer Inspektor-Takeda-Krimi: Wenn Roboter morden könnten | |
| > Henrik Siebolds Krimi „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ beleuchtet | |
| > nicht nur die Zukunft der Pflege. Er erinnert auch an den | |
| > „Bluterskandal“. | |
| Bild: Ambivalente Fähigkeiten: Hand eines Assistenzroboters 2018 in Garmisch-P… | |
| Hamburg taz | Und wieder hat er einen hoch aktuellen, spannenden | |
| Hamburg-Krimi geschrieben. Nicht nur, dass auch Henrik Siebolds inzwischen | |
| fünfter Takeda-Krimi, „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ von der | |
| Spannung zwischen Japanischem und Deutschem lebt, wenn sich der Tokioter | |
| Austausch-Kommissar bei der Hamburger Kripo zurechtzufinden versucht. | |
| Anhand der Beziehung zwischen Takeda und der Ermittlerin Claudia verhandelt | |
| Siebold zudem die Frage, wo die Grenze zwischen kulturellen Unterschieden | |
| und individuellen Eigenheiten verläuft; und wo genau die Ursachen für | |
| Missverständnisse liegen. | |
| Aber es geht auch plakativer – etwa, wenn Takeda anstelle einer klaren | |
| Antwort stets „ja und nein“ sagt. Oder wenn er wegen seiner – in Japan | |
| selbstverständlichen – [1][Power-Naps] als vermeintlich Obdachloser aus dem | |
| deutschen Café fliegt. Andererseits ist dieser Kenjiro Takeda, nächtens auf | |
| dem Fischmarkt-Anleger Saxofon spielend, bald Hauptattraktion im Jazzclub | |
| „Bird’s“, dessen Publikum seine schrillen Tiraden zu schätzen weiß. | |
| Der Japan-Bezug der 2016 begonnenen Takeda-Serie kommt nicht von ungefähr: | |
| Henrik Siebold – eines von mehreren Pseudonymen des Autors Daniel | |
| Bielenstein – lebt in Hamburg, ist aber in Japan aufgewachsen und hat | |
| später auch in Tokio studiert. [2][Auf seiner Homepage] nennt Bielenstein | |
| Japan „ferner Spiegel“ und „Sehnsuchtsort“. | |
| Er weiß also, wovon er spricht, kennt auch die Ambivalenzen des Landes und | |
| benennt sie auch in diesem Roman. So ist der in Japan entwickelte | |
| [3][Pflegeroboter] „Lisa“ stets in der Nähe, wenn Brände und Morde an Alt… | |
| passieren, sei es in der Seniorenresidenz, sei es zuhause. Ein, zwei, acht | |
| Menschen kommen so ums Leben, und sie scheinen erst mal nichts gemeinsam zu | |
| haben. | |
| ## Roboter mit kindlichen Augen | |
| Nebenbei erfährt man, dass Konstruktion und Programmierung von | |
| Pflegerobotern eines der wenigen Technologie-Segmente ist, in dem Japan | |
| heute noch dem Konkurrenten China voraus eilt. Und dass es darum umso | |
| wichtiger ist, Geräte wie Lisa auch am deutschen Markt zu etablieren. Aber | |
| ihre Schöpfer wissen auch um hiesige Skepsis, deshalb ist Lisa weiblich, | |
| etwas kleiner als ein Mensch und hat kindlich große Augen. | |
| Lisa lernt, wie in der Künstlichen Intelligenz üblich, durch Beobachtung: | |
| Sie soll ja im deutschen Umfeld agieren, muss also die hiesigen Eigenheiten | |
| kennen. Aber genau dieses Beobachten weckt Misstrauen und Angst. Nicht nur, | |
| dass die PflegerInnen in besagter Seniorenresidenz fürchten, eines Tages | |
| großflächig durch solche Roboter ersetzt zu werden. Sie fühlen sich von | |
| Lisa auch kontrolliert – und vermuten, dass das entfernt menschenähnliche | |
| Gerät Arbeitstempo und etwaige Fehler speichert und an die Chefin | |
| weitergibt. | |
| Dazu kommt eine Merkwürdigkeit: Was eine Lisa lernt, wissen dann angeblich | |
| gleich alle aus derselben Serie – aber im entscheidenden Moment erkennt | |
| Lisa #2 die Ermittlerin Claudia nicht wieder. Weitere Ungereimtheiten tun | |
| sich auf, zumal nicht mal Lisas Konstrukteure ganz genau zu wissen | |
| scheinen, was sie so alles kann. Also sorgen sie sich, dass etwas schief | |
| gelaufen sein – und der Roboter tatsächlich gemordet haben könnte. | |
| Der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov ersann in den 1940er-Jahren | |
| [4][vermeintlich fest installierte Gesetze], denen zufolge ein Roboter | |
| keinem menschlichen Wesen Schaden zufügen darf (oder durch Untätigkeit | |
| zulassen, dass der Mensch Schaden nimmt). Aber im Krimi nun – und wohl noch | |
| mehr in der Realität – scheint die Idee auf, dass es auch das Gegenstück | |
| geben könnte: [5][Roboter zum Kriegführen,] Roboter ausdrücklich zum Töten | |
| programmiert. | |
| Wie also sicher sein, dass nicht Lisa mit ihrer eingebauten Injektionsnadel | |
| den Alten die tödliche Überdosis Insulin gespritzt hat? Ein beunruhigendes | |
| Zukunftsszenario, das rechtzeitig und öffentlich diskutiert gehört. Einen | |
| wichtigen Beitrag leistet Siebold mit diesem Krimi, ohne dabei in trockene | |
| Wissenschaftsexkurse zu verfallen. | |
| Schließlich, nachdem ErmittlerInnen und KonstrukteurInnen allerlei | |
| Möglichkeiten ergebnislos untersucht haben, merken sie dann doch noch, dass | |
| die drei eigentlich gemeinten Toten etwas verband: Als Wissenschaftler | |
| waren sie mitverantwortlich für den [6][„Bluterskandal“] der 1980er-Jahre. | |
| Damals hatte die US-amerikanische Firma Cutter Laboratories – eine | |
| Bayer-Tochter, bei der auch deutsche Wissenschaftler arbeiteten – | |
| Blutkonserven nach Japan verkauft, über die bekannt war, dass sie mit HIV | |
| infiziert sein könnten. Eigentlich hätte man diese Vorräte, deren Verkauf | |
| die USA und andere Länder längst gestoppt hatten, vernichten müssen. Aus | |
| Profitgier entschied Cutter aber 1984, dieses Blut unter anderem nach Japan | |
| zu vertreiben – auch gegen dortige Bedenken, wie Siebold im Nachwort | |
| schreibt. Etliche japanische Hämophilie-PatientInnen, die das Plasma wegen | |
| seiner Gerinnungsfaktoren bekamen, erkrankten an Aids und wurden von der | |
| Gesellschaft massiv ausgegrenzt, ja: teils nicht einmal medizinisch | |
| behandelt. | |
| 1985 stellte Cutter diese Geschäfte ein, bei denen auch Korruption auf | |
| japanischer Seite eine Rolle gespielt hatte. Erst 1996 sagte [7][Bayer] als | |
| letzter von fünf verantwortlichen Konzernen den 400 Betroffenen, die 1989 | |
| vor Gericht gegangen waren, eine Entschädigung zu: Jedes Opfer sollte | |
| 630.000 Mark bekommen, dazu eine Rente von bis zu 2.000 Mark monatlich. Zu | |
| diesem Zeitpunkt waren 40 Prozent der KlägerInnen allerdings in Folge der | |
| Infektion gestorben. Und die Geschichte ist nicht zu Ende. Das Thema mag in | |
| der deutschen Öffentlichkeit weitgehend vergessen sein, aber das Trauma | |
| bleibt lebendig: in „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ in Gestalt des | |
| Sohnes eines der Opfer. | |
| 28 Apr 2021 | |
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| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Robotergesetze | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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