# taz.de -- Roboter in der Pflege: Praxistests stehen noch aus | |
> Angekündigt sind sie schon lange. Doch im Praxisalltag werden Roboter | |
> bisher fast nur für einfache Hilfsleistungen genutzt. | |
Bild: Noch besteht großer Forschungsbedarf für den Einsatz von Pflegerobotern | |
BERLIN taz | Die Herausforderung ist klar erkennbar: Immer mehr Menschen in | |
Deutschland werden immer älter, und viele von ihnen werden zu Pflegefällen. | |
Weniger klar ist, wie sich unsere Gesellschaft auf den drohenden | |
„Pflegenotstand“ vorbereiten soll. Kann Technik eine Lösung bringen, | |
womöglich sogar der Einsatz von Robotern, um pflegebedürftigen Menschen zu | |
helfen? | |
Das [1][Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB)] | |
hat diese Frage in einer Studie eingehend untersucht und neben | |
technologischen auch wirtschaftliche, psychologische und ethische | |
Gesichtspunkte erörtert. Vergangene Woche wurden die Befunde in einem | |
F[2][achgespräch zum Thema „Robotik in der Pflege – gesellschaftliche | |
Herausforderungen“] im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und | |
Technikfolgenabschätzung von Experten und Abgeordneten diskutiert. Das | |
vorläufige Fazit: Die technologische Forschung und die pflegerische Praxis | |
müssen sich besser aufeinander abstimmen, was aber offenbar noch ein weiter | |
Weg ist. | |
In seiner Studie hatte das TAB herausgefunden, dass es zwar einerseits | |
„seit Langem intensive Entwicklungsbemühungen Im Bereich Robotik der | |
Pflege“ gebe. Doch in die Pflegepraxis habe es bislang „nur eine Handvoll | |
Produkte geschafft“. Meist handele es sich dabei um Spezialanwendungen, wie | |
mechanische Esshilfen oder therapeutische Hilfsmittel wie die in Japan | |
entwickelte Roboterrobbe „Paro“, deren Autonomie auch nur begrenzt sei. | |
„Komplexere Assistenzroboter hingegen sind noch nicht über den Status einer | |
Forschungsplattform hinausgekommen“, so Christoph Kehl, der Autor der | |
TAB-Studie. | |
Wie Christine Weiß vom Berliner Projektträger [3][VDI-VDE-IT] im | |
Bundestagsgespräch aktuell zur Forschungssituation ergänzte, werden zum | |
„Einsatz von Digitalisierung in der Alten- und Krankenpflege“ derzeit 74 | |
Projekte mit einer Fördersumme von 89 Millionen Euro von den drei | |
Bundesministerien für Forschung, Wirtschaft und Arbeit gefördert. Dabei | |
kommen vom BMBF als der wichtigste Förderinstitution rund 90 Prozent der | |
Finanzmittel. Darin sind auch die Forschungsprojekte zur Pflegerobotik mit | |
einem Umfang von 8 bis 10 Millionen Euro enthalten. Seit November 2018 | |
läuft die [4][BMBF-Fördermaßnahme „Robotische Systeme für die Pflege“].… | |
ebenfalls vom Forschungsministerium finanzierte Cluster [5][„Zukunft der | |
Pflege“] wird in vier Pflegepraxiszentren umgesetzt: Hannover, Freiburg, | |
Nürnberg und Berlin. | |
Die Informatikerin Birgit Graf, die am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für | |
Produktionstechnik und Automatisierung zu Haushalts- und Assistenzrobotik | |
forscht, skizzierte als den Stand der Technik „Roboter, deren primäre | |
Nutzen in ihrer Mobilität liegt, z. B. Haushaltsroboter wie Staubsauger und | |
Rasenmäher, elektrische Rollatoren, Transportroboter oder Roboter zur | |
Personenführung“. Dagegen seien Pflegeroboter „mit umfangreichen, auch | |
physischen Interaktionsfähigkeiten und komplexem autonomen Verhalten | |
heutzutage noch klar der Forschung zuzuordnen“. | |
## Kosten- und Nutzenanalyse | |
Der Nutzen und die grundsätzliche Akzeptanz sei in einigen Praxisprojekten | |
zwar belegt worden. Doch um „den Transfer zum Serienprodukt und in den | |
Regelbetrieb“ zu schaffen, sei es jedoch „notwendig, umfangreichere | |
Praxistests inklusive Kosten-/Nutzenanalyse zu Effizienz | |
,Arbeitszufriedenheit oder Änderungen der Arbeitsbelastung durchzuführen“, | |
so Fraunhofer-Forscherin Graf. | |
In dieser Richtung soll in diesem Sommer in Garmisch-Partenkirchen begonnen | |
werden, wie Alexander Huhn von der dortigen Caritas berichtete. In seinem | |
Landkreis, schilderte Huhn zunächst die Praxis, seien 24 Prozent der Bürger | |
über 60 Jahre alt. „Rund 22.000 Menschen werden zukünftig – oder sind es | |
bereits – auf Hilfen im Alter angewiesen sein“, so der Leiter eines | |
Altenheimes mit 75 Patienten und ambulanten Pflegedienst. Huhn vertrat die | |
Auffassung, dass „die Robotik mit der jetzt erstmalig verfügbaren | |
Technologie der sicheren Mensch-Roboter-Kooperation und -Interaktion aus | |
unserer Sicht potenziell in der Lage ist, eine immer größer werdende | |
Versorgungslücke in Teilen zu schließen“. | |
Im August 2019 wird in Garmisch-Partenkirchen das Roboter-Zeitalter | |
beginnen, und zwar mit einem Grundlagenforschungsprojekt, das vom | |
Bayerischen Wirtschaftsministerium und einer ortsansässigen Stiftung | |
gefördert wird. Wie Huhn berichtete, soll mit den beiden Trägersystemen | |
„Edan“, einem Rollstuhl mit Roboterarm, und „Justin“, einem humanoiden | |
Roboter, gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) | |
in Oberpfaffenhofen in den nächsten fünf Jahren in mehreren Feldversuchen | |
im Caritas-Altenheim untersucht werden, wie die beiden ursprünglich für die | |
Raumfahrt entwickelten Maschinen als Assistenzsysteme menschliche | |
Tätigkeiten ergänzen können. | |
Huhn: „Dabei sollen die Vorstellungen und Wünsche von Mitarbeitern, | |
Senioren und Angehörigen wie auch den Gesundheitspartnern in der Pflege, | |
wie Ärzten, Apotheken, Sanitätshäuser und Reha-Fachkräften, im Mittelpunkt | |
stehen“. Eine Befragung im Vorfeld habe eine hohe Zustimmung zur Erprobung | |
der Assistenzsysteme ergeben. | |
## Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine | |
„Die Pflege und menschliche Zuwendung werden immer beim Menschen bleiben“, | |
ist für Huhn klar. „Aber Tabletten oder Getränke können von einem Roboter | |
gebracht werden, genauso wie er wohl Gedächtnistraining oder | |
Mobilisierungsmaßnahmen übernehmen könnte“. Sehr viel versprechen sich die | |
Pflegekräfte auch von einer Unterstützung beim Heben und Bewegen oder | |
Begleiten von Personen. | |
Es könnte aber auch so kommen, dass der Einzug der Pflegeroboter keineswegs | |
konfliktfrei vonstatten geht. Peter Tackenberg vom Deutscher Berufsverband | |
für Pflegeberufe (DbfK) jedenfalls brachte kritische Positionen aus Sicht | |
der Beschäftigten in die Ausschussdebatte ein. „Der Ersatz | |
personenbezogener Dienstleistung durch Maschinen, die nicht müde werden, | |
nicht streiken, deren Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt wird und mit | |
denen niemals die situative Handlungsfähigkeit erreichen werden wird, die | |
der natürlichen menschlichen Intelligenz und Empathie vorbehalten ist, ist | |
nicht wünschenswert“, war Tackenbergs klare Haltung. | |
Dringender als die Technikentwicklung ist ihm die bessere Qualifizierung | |
der menschlichen Pfleger und war um konkrete Beispiele nicht verlegen: „Im | |
Themenfeld Digitalisierung der Pflege fehlt es an der Einrichtung von | |
Pflegeinformatikstudiengängen an Hochschulen, um dringend Lehrkapazitäten | |
auszubilden, und an IT-Weiterbildungsmaßnahmen, um in der Praxis den | |
Kompetenzbereich ständig zu erweitern“. | |
Die bisherigen Robotik-Entwicklungen konnten den Verbandssprecher nicht | |
überzeugen. Daher Tackenbergs Forderung: „Wir erwarten von der Politik ein | |
Moratorium für den Einsatz von Robotik im Bereich der personenbezogenen | |
Dienstleistungen in der Pflege.“ | |
2 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u106002.html | |
[2] https://www.tab-beim-bundestag.de/de/aktuelles/20190226.html | |
[3] https://vdivde-it.de/ | |
[4] https://www.technik-zum-menschen-bringen.de/foerderung/bekanntmachungen/rob… | |
[5] https://www.technik-zum-menschen-bringen.de/foerderung/bekanntmachungen/zuk… | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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