# taz.de -- TV-Talkshows am Pranger: Lustlose Dienstleister des Nichts | |
> Zynisch und demokratieschädigend: Ein angehender | |
> Demokratiewissenschaftler seziert in einem Essay aktuelle politische | |
> Talkshows. | |
Bild: Ist Sandra Maischbergers Talkformat öde oder hochpolitisch? Die Moderato… | |
Spott über Polit-Talkshows ist nichts Neues. Schon Loriot schickte seinen | |
Opa Hoppenstedt 1977 bei „Der Wähler fragt“ in das Floskelgewitter einer | |
fiktiven Sendung. Politische Inhalte? Fehlanzeige. Seitdem hat sich nicht | |
viel getan. Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert weigerte sich | |
beharrlich, seinen Fuß in eines der Studios zu setzen. Und der | |
Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister sprach von einem „Ritual der | |
Politiksimulation“. Dabei müsste man bloß in die Anfangstage der | |
Bundesrepublik blicken, um das demokratische Potenzial öffentlicher | |
Debatten zu verstehen. Eine lebendige Diskussionskultur galt den Alliierten | |
als Schlüssel zu einer pluralistischen und freiheitlichen | |
Gesellschaftsordnung. Mit Nachdruck förderten sie entsprechende | |
Rundfunkformate. | |
Dass es um die Idee des demokratischen Diskurses anfangs tatsächlich noch | |
nicht gut bestellt war, zeigt die Forderung des CDU-Politikers C. W. | |
Dietsch. Er sprach sich 1953 nach einem deutlichen Wahlsieg der Union – | |
vergeblich – dafür aus, die Diskussionsendung „Das Politische Forum“ | |
einfach abzusetzen und durch Vorträge der Partei zu ersetzen. Der Wähler | |
habe seine Entscheidung gefällt, da gebe es ja wohl auch nichts mehr zu | |
diskutieren. | |
Oliver Weber hat diese Episode für sein gerade erschienenes Buch „Talkshows | |
hassen. Ein letztes Krisengespräch“ ausgegraben. Was er damit zeigen will: | |
„Wenn man sich die immense Bedeutung dieses Formats für die Entstehung | |
eines demokratischen Diskurses in der jungen Bundesrepublik klarmacht, | |
sollten sich heutige Redaktionen doch fragen, wie man angesichts der | |
zunehmenden Komplexität des politischen Systems zumindest eine ähnliche | |
Rolle spielen könnte“, sagt er im Gespräch mit der taz. | |
Der 1997 geborene Autor macht gerade seine Master in | |
Demokratiewissenschaft. Er wirft den Sendungsmachern vor, „Lustkiller der | |
Politik“ zu sein: Immer die gleichen Gäste aus einem Pool von ungefähr 30 | |
Personen, eine starre Rollenverteilung auf dem Podium, die jede Annäherung | |
unmöglich mache, sowie die Fixierung auf etwa zwei große Themen pro Jahr, | |
die allzu oft im grellen Licht der Skandalisierung ausgeleuchtet würden. | |
Der Aktionskünstler Philipp Ruch hat diese Kritik [1][gerade im Interview | |
mit dem Spiegel] noch weiter zugespitzt: „Der Zusammenhalt unserer | |
Gesellschaft wird durch Reichsbürger, Pegidisten und Rechtsfaschisten lange | |
nicht so bedroht wie durch eine Maischberger-Sendung.“ | |
## Journalistische Passivität | |
Moderatoren*innen wie Anne Will oder Frank Plasberg weisen die Vorwürfe | |
zurück. Man sehe sich als Dienstleister und bilde schlicht | |
gesellschaftliche Debatten ab. Weber kauft ihnen das nicht ab: „Dieser | |
Ansatz verführt die Redaktionen zu einer fatalen journalistischen | |
Passivität – die Themen werden nach dieser Logik ja sowieso von außen | |
gesetzt.“ Dabei könnten die Sendungen geradezu „Feste der Demokratie“ se… | |
klagt Weber. | |
Stellt sich die Frage, ob TV-Talkshows überhaupt noch der relevanteste | |
Zugang zur Welt der Politik sein müssen – oder können. Zwar locken sie | |
immer noch ein Millionenpublikum vor den Fernseher – junge Menschen sind | |
aber kaum darunter, der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 60 Jahren. Und | |
nimmt man Webers Blick in die Vergangenheit ernst, dann folgt daraus eben | |
auch die These, dass Medien- und Diskurswandel nicht auseinandergedacht | |
werden können. Wer ein Spiegel fortschrittlicher gesellschaftlicher | |
Debatten sein will, der darf nicht gleichzeitig in einem medialen | |
Anachronismus verharren. Für den öffentlichen politischen Diskurs in einer | |
digitalen Welt bräuchte es vielmehr: Interaktivität, Durchlässigkeit, | |
Partizipation, Kommunikation auf Augenhöhe. | |
Mehr als das pflichtbewusste Vorlesen einiger Tweets fällt den Machern | |
allerdings bis heute nicht ein. Währenddessen nutzen so unterschiedliche | |
Einzelakteure wie der Journalist Tilo Jung oder auch der YouTuber Rezo die | |
digitalen Plattformen mit einem feinen Gespür für ihre Follower*innen und | |
erreichen damit Millionen. Das Ergebnis könnte letztlich nicht weniger als | |
die zeitgemäße Redemokratisierung der politischen Debatte sein. | |
30 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/plus/philipp-ruch-sandra-maischberger-organisiert-de… | |
## AUTOREN | |
Alexander Graf | |
## TAGS | |
TV | |
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
Rezo | |
Blog | |
Gedächtnistraining | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Journalismus und Youtube: Rezo d’Être | |
Journalist*innen sollten sich fragen, was sie von Youtuber*innen lernen | |
können, um auf Plattformen durchzudringen. Denn das müssen sie. | |
Verurteilter Blogger Hardy Prothmann: Noch lange nicht am Boden | |
Hardy Prothmann wurde mit seinem „Rheinneckarblog“ zum Vorbild für modernen | |
Lokaljournalismus. Dann erfand er einen Terroranschlag. | |
Roboter in der Pflege: Praxistests stehen noch aus | |
Angekündigt sind sie schon lange. Doch im Praxisalltag werden Roboter | |
bisher fast nur für einfache Hilfsleistungen genutzt. |