| # taz.de -- Sandra Dünschedes Krimi „Friesentod“: Kalte Entführung in Ris… | |
| > In ihrem neuen Krimi „Friesentod“ befasst sich Sandra Dünschede mit | |
| > Stalking und der trügerischen Vertrauenswürdigkeit von Mitmenschen. | |
| Bild: Mögliches Mordmotiv: lukrativer Windpark bei Niebüll | |
| Was einen guten Krimi ausmacht, abgesehen von der unerlässlichen Spannung? | |
| Er muss die Logik brechen. Muss die intellektuelle wie emotionale | |
| Folgerichtigkeit der „normalen“, weniger verhaltensauffälligen Mehrheit | |
| konterkarieren. Er muss – wertungsfrei gesprochen – „alternative“ Denk-… | |
| Fühlweisen aufzeigen sowie eine Diversität, leider, auch der Moral. Denn | |
| für Mordende ist es nur folgerichtig, dass jemand, der einem auf irgendeine | |
| Art querkommt, entfernt gehört. | |
| Das ist eine gedankliche Engführung, zugleich eine Hilflosigkeit gegenüber | |
| anderen Lösungen, und oft meinen es Mordende nicht einmal bös: Enttäuschte | |
| Hoffnung, (vermeintlich) verschmähte Liebe, Mangel an Selbstwertgefühl und | |
| Anerkennung sind Motive – die daraus resultierenden Taten deshalb nicht | |
| weniger grausam. | |
| All das kann man auch im jüngsten [1][Nordfriesland-Krimi] von Sandra | |
| Dünschede besichtigen, die in Niebüll geboren wurde, im nordfriesischen | |
| Risum-Lindholn aufwuchs – wo ihre Krimis spielen – und heute in Hamburg | |
| lebt. Sie schreibt seit 2006, und ihr neues Buch „Friesentod“ beginnt mit | |
| einem so schlauen wie ambivalenten inneren Monolog: Da wird eine Unbekannte | |
| beschimpft, die „nicht so gucken“ soll, ihr Haar nicht so werfen, ihren | |
| Minirock nicht so provokant herzeigen. Da geht die – ja, weibliche – | |
| Leserin aus unerfindlichen Gründen sofort davon aus, dass sich da ein | |
| Mann über eine billige Anmache mokiert. Aber es ist mehr, denn der Prolog | |
| endet mit den Sätzen: „Es reicht. Dir wird das Lachen vergehen. Und zwar | |
| jetzt.“ | |
| An diesem Punkt beginnt die Ambivalenz, die schöne Irreführung der | |
| Lesenden, die Täterwissen bekommen, aber lange nichts damit anfangen | |
| können. Gemeinsam mit [2][Dünschedes] bewährtem Ermittlerteam – Kommissar | |
| Dirk Thamsen und sein Kumpel, der Laie Haie Ketelsen – tappt man lange im | |
| Dunklen, denn jeder Lösungsansatz scheint plausibel und führt dann doch ins | |
| Nichts. | |
| Opfer ist eine junge Frau, die gefesselt und verdurstet in einem | |
| verlassenen Haus gefunden wird. Anscheinend wurde sie entführt – aber wer | |
| vergisst denn sein Entführungsopfer, lässt es sterben, ohne je Lösegeld zu | |
| fordern? Andererseits hatte ihre Firma den Zuschlag für ein | |
| gewinnträchtiges Windpark-Projekt bekommen, und ein Ex-Kollege drohte ihr, | |
| weil sie ihn hinderte, Investoren abzuwerben. Dass der auch noch ein | |
| sexueller Belästiger ist, passt ebenso ins Bild wie die Tatsache, dass der | |
| Chef das so lange nicht glaubt, bis er es selbst mitbekommt. | |
| Auch das oft als übertriebene „Liebe“ verharmloste [3][Stalking] kommt zur | |
| Sprache, und das nicht nur am Rande: Der Ex-Freund der Ermordeten ist für | |
| die Autorin Anlass, eine Psychologin ausführlich über Motivation und | |
| emotionale Struktur dieser Menschen berichten zu lassen, die andere für die | |
| Erfüllung ihrer Bedürfnisse verantwortlich machen und oft unter | |
| Realitätsverlust leiden. Die Polizei kann die – meist weiblichen – | |
| [4][Stalking-Opfer] kaum schützen und auch ein gerichtliches Kontaktverbot | |
| nur schwer überwachen. Ob so jemand die Grenze zum Mord überschreiten | |
| würde? Möglich wäre es, denn eine „Verbrecherkarriere“ bedeutet oft eine | |
| zunehmende Schwere und Brutalität der Taten. | |
| Und dann verschwindet in „Friesentod“ die zweite junge Frau. Der Fall muss | |
| gelöst werden, bevor auch sie in irgendeiner Ödnis verdurstet, Hektik macht | |
| sich breit. Dabei liegt die Lösung schmerzhaft nah, kommt nur ein ganz | |
| klein wenig zu plötzlich und unvorbereitet im letzten Sechstel des Buchs. | |
| Aber das macht nichts, man schätzt Menschen eben falsch ein, findet sie | |
| vertrauenswürdig, guckt ihnen nicht in die Köpfe. Als das in „Friesentod“ | |
| dann endlich passiert, ist man hin- und hergerissen: Entsetzt blickt man | |
| auf die erstarrte Kinderseele im Erwachsenenkörper und versteht nur schwer | |
| die Ambivalenz von Gefühlsbetonung in eigener Sache und Kälte gegenüber den | |
| Opfern. | |
| Aber das ist ja gerade der Sinn solcher Geschichten: in den Abgründen | |
| anderer die eigenen gespiegelt zu sehen. Und zu begreifen, dass | |
| Gefühlslogik nicht allgemeingültig ist und man keinen Anspruch auf die | |
| Berechenbarkeit anderer Menschen hat. | |
| 27 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Recherche-Literatur/!5072744 | |
| [2] /Archiv-Suche/!5727869&s=nordfriesland+krimi&SuchRahmen=Print/ | |
| [3] /Archiv-Suche/!5770299&s=stalking&SuchRahmen=Print/ | |
| [4] /Frauensolidaritaet-per-Telegram/!5760233 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Nordfriesland | |
| Krimi | |
| Offshore-Windpark | |
| Stalking | |
| sexuelle Belästigung | |
| Krimi | |
| St. Pauli | |
| Kriminalliteratur | |
| taz.gazete | |
| Hamburg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kriminalroman „Friesendämmerung“: Blut unterm Golfschläger | |
| Sandra Dünschedes „Friesendämmerung“ ist ein Krimi aus dem Golfmilieu. Der | |
| Streit um Windräder und illegale Müllentsorgung werden obendrauf gepackt. | |
| Henrik Siebolds Krimi „Schattenkrieger“: Packender Thriller mit Zen-Faktor | |
| Der Hamburger Krimi-Autor verzwirbelt Geheimdienstler, einen | |
| Ex-Afghanistan-Soldaten und einem „Gefährder“. Dazu reicht er er eine Prise | |
| Zen-Weisheit. | |
| Lange Buchnacht in Kreuzberg nur digital: Mordsmäßige Unterhaltung | |
| 2020 fiel die Lange Buchnacht aus. Am 15. Mai aber findet sie statt. Doch | |
| nur digital. Das Programm ist vielfältig und bietet Politisches und Krimi. | |
| „Weiter Himmel“ von Kate Atkinson: Erfahrungen mit dem Bösen | |
| Die Krimi-Autorin Kate Atkinson hat den fünften Jackson-Brodie-Fall | |
| veröffentlicht. Darin wollen alle Protagonisten ihre Vergangenheit | |
| vergessen. | |
| Neuer Inspektor-Takeda-Krimi: Wenn Roboter morden könnten | |
| Henrik Siebolds Krimi „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ beleuchtet | |
| nicht nur die Zukunft der Pflege. Er erinnert auch an den „Bluterskandal“. |