# taz.de -- Masuren-Krimi der ARD: Unter Nachbarn | |
> Das bereits unerschöpfliche Repertoire an Donnerstags-Krimis der ARD | |
> erhält weiter Zuwachs. Diesmal aus dem Norden Polens. | |
Bild: Kriminaltechnikerin Dr. Viktoria Wex (Claudia Eisinger) und Dorfpolizist … | |
Steht die neue Nachbarin bei ihrem neuen Nachbarn vor der Tür: „Ich hab 'ne | |
Leiche im Keller.“ Er: „Da steh'n Sie garantiert nicht alleine mit da.“ | |
Sie: „Ich benutze keine Metaphern. Das verkompliziert nur die | |
Kommunikation.“ Aber was riecht sie denn da …: „Was genau machen Sie da | |
drin? Bei Ihnen riecht’s wie in einem Chemielabor: Milchsäure. Essigsäure. | |
Schimmelpilz. Natriumchlorid.“ Er: „Wir nennen das hier Sauerkraut. Ich | |
mach gerade Bigos. Kommen Sie doch rein, nehmen Sie’n Teller!“ | |
Es wird dann noch eine knappe Stunde dauern, bis sie (Claudia Eisinger) | |
sein Bigos probiert, auch, aber nicht nur der Leiche wegen. „Schmeckt’s?“, | |
will er (Sebastian Hülk) wissen. Und bekommt zur Antwort: „Etwas Proteine, | |
Ballaststoffe, Eisen, Mangan, Selen, B-Vitamine … Aber die Oxalsäure der | |
Roten Bete behindert die Calciumaufnahme, weshalb es unklug ist, sie | |
gleichzeitig mit calciumhaltigen Lebensmitteln zu servieren.“ Damit hätte | |
er rechnen können, hatte er sie doch zuvor schon gefragt, womit sie, die | |
sie Menschen als eher unzulänglich betrachte, sich denn so umgebe: „Mit | |
Molekülen zum Beispiel. Die sind klar strukturiert, sinnvoll angeordnet, | |
folgen einem logischen Muster.“ | |
So fanatische wie hoch- und inselbegabte Ermittlerinnen mit Defiziten in | |
Sachen Sozialkompetenz: das war einmal eine schöne [1][Innovation des | |
Schweden-Krimis]. Das ging los mit „Kommissarin Lund“ und erfuhr seine | |
nicht mehr überbietbare Vollendung mit Saga Norén in „Die Brücke“. Wie d… | |
mit ihrem wahrscheinlichen Asperger-Syndrom neben den Ermittlungen | |
versuchte, auch den Emotionen und gar dem Humor ihrer Kollegen auf die Spur | |
zu kommen, so ganz systematisch und analytisch – herrlich! Das hatte man so | |
zuvor nur bei Leutnant Commander Data vom Raumschiff Enterprise gesehen. | |
Und der war ein Android, ein Roboter also. | |
Nicht mehr zu überbieten, wie gesagt. Und inzwischen auch schon wieder zehn | |
Jahre her. Und beides kein Grund für die alte Tante ARD, nicht doch noch | |
trittbrettfahrend auf den Zug aufzuspringen. Und zwar genau so | |
holzhammermäßig plump, wie das die zitierten Dialogfragmente (Buch: Ulli | |
Stephan und Markus B. Altmeyer) hinreichend belegen sollten. Deshalb kann | |
es natürlich auch nicht irgendeine warme Mahlzeit, sondern muss gleich das | |
Nationalgericht sein. | |
## Traditionslinie bis Edgar Wallace | |
„Dichte Wälder, ursprüngliche Moore und tausend Seen – eine einzigartige | |
Naturlandschaft“ (ARD-Pressetext) könnten auch die Kulisse des neuen | |
Karelien-Krimis darstellen. Auf den müssen wir aber noch warten, wenn auch | |
vermutlich nicht allzu lange. Denn gar so viele europäische Landschaften | |
sind ja nicht mehr übrig, die der ARD-Donnerstags-Krimi noch nicht | |
abgegrast hätte mit: „Der Amsterdam-“; „Der Athen-“; „Der Barcelona-… | |
Bozen-“; „Der Irland-“; „Der Island-“; „Der Kroatien-“; „Der Li… | |
„Der Prag-“; „Der Tel-Aviv-“; „Der Zürich-Krimi“. | |
Um von „Kommissar Dupin“ und Donna Leon und ihrem Commissario Brunetti zu | |
schweigen. Nein, doch nicht: Zuerst Joachim Król aus Herne und dann den | |
gebürtigen Cottbuser Uwe Kockisch sämtliche 175 Kanäle Venedigs erkunden | |
und sie dabei abwechselnd „Ciao“ und „Pronto“ rufen zu lassen – damit… | |
mit der einhergehenden Zuschauerverzückung hatte das alles ja einmal | |
angefangen. | |
Man könnte die Traditionslinie natürlich auch bis zu den deutschen | |
Edgar-Wallace-Verfilmungen aus den 1960er-Jahren zurückverfolgen: der | |
englische Herrensitz auf der Pfaueninsel im Wannsee, Klaus Kinski als | |
notorisches Butler-Faktotum. Die fanden bei der zeitgenössischen Filmkritik | |
auch keine positive Resonanz – heute werden sie von Quentin Tarantino | |
verehrt. Aber vielleicht ist das ja der Trick dabei? Vielleicht muss man | |
einfach nur ein paar Jahrzehnte Gras darüber wachsen lassen, um diesen | |
ersten „Masuren-Krimi“ in ganz anderem, in milde-verklärendem Licht zu | |
sehen: als skurril-putzige Sternstunde des Eskapismus in jener merkwürdigen | |
Epoche zwischen Finanz- und Corona-Krise. | |
Ob heute oder in 50 Jahren: Was bei dieser Geschichte um den nicht weiter | |
bedauerlichen Tod einer gierigen Immobilien-Heuschrecke (die Leiche im | |
Keller von Kriminaltechnikerin Dr. Viktoria Wex, der neuen Nachbarin von | |
Dorfpolizist Leon Pawlak) jedenfalls kein Zuschauer zu fürchten oder zu | |
erhoffen hat, je nachdem, ist ein ähnlich verstörendes Ende wie bei der | |
ersten Staffel „Die Brücke“. Dafür aber die Fortsetzung, die folgt, und | |
zwar so sicher wie der Kinski im nächsten Wallace (das heißt am nächsten | |
Donnerstag mit „Der Masuren-Krimi: Fangschuss“). | |
20 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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