Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Künstliche Dummheit de luxe
> Wenn Robbi 5 die Kurve nicht kriegt. Ein neu entwickelter Pflegeroboter
> versagt auftragsgemäß bei der Altenpflege im Versuchsheim.
Upsi!“, Robbi 5 hat die Kurve zu Zimmer 18 etwas eng genommen. Aber Robbi 5
lacht nur etwas blechern und saugt mit seinem Zeigefinger den
abgebröckelten Putz von der Stulle, die er Frau Böhring zum Abendbrot
bringen soll. „Schlurp“, ist auch die Scheibe Cervelatwurst mit eingesaugt.
Aber Frau Böhring lacht bloß über das kleine Malheur ihres elektronischen
Freunds und Helfers.
„Ja, der Robbi 5 ist ein bisschen ungeschickt“, erläutert uns Dr. Franja
Wells das Verhalten ihres Schützlings. Sie ist Gerontokybernetikerin am
Deutschen Institut für Künstliche Intelligenz und leitet das
Versuchspflegeheim „Haus Zukunftsblick“ unweit von Berlin. Hier werden in
der Altenpflege alltagstaugliche Roboter eingesetzt, in deren neuester
Generation auch Künstliche Dummheit implementiert ist. An der Entwicklung
der Robbi-Serie hat Dr. Wells maßgeblich mitgewirkt. Und Pflegekraft Robbi
ist tatsächlich künstlich dumm.
„KI macht uns Menschen Angst“, erläutert Wells den Ansatz von KD. „Sie i…
zu perfekt. Menschen, die keine Fehler machen, finden wir unheimlich. Wir
nennen sie ‚Maschinen‘.“ Das heiße im Umkehrschluss: „Wollen wir mit
intelligenten Maschinen erfolgreich zusammenleben, müssen diese fehlbar
sein und lernen, individuell zu versagen. Und das bringen wir ihnen bei!“,
frohlockt Dr. Wells und schwärmt vom volkswirtschaftlichen Nutzen der KD:
„Seien wir ehrlich: Die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz
sind beschränkt. Künstliche Dummheit ist dagegen universell einsetzbar,
weil sie den Menschen wirklich zu 100 Prozent ersetzen kann!“
Frau Böhring isst inzwischen ihr Butterbrot ohne Belag. Sie winkt Robbi 5
zum Abschied nach, als dieser den Raum verlässt. Der Roboter verabschiedet
sich ausgesprochen höflich: „Auf Wiedersehen, Herr Schmidt.“ Seine Stimme
klingt leicht blechern und erinnert uns an deutsche Bahnhofsdurchsagen, als
wolle er gleich den „ICE 884 von Hauptbahnhof nach Zug-endet-hier“
ankündigen.
## Die beliebteste Pflegekraft
„Das soll auch so sein, niemand soll vergessen, dass er eine Maschine vor
sich hat“, erklärt Dr. Wells. „Aber die Künstliche Dummheit war der
entscheidende Schritt zur Akzeptanz in der Palliativ- und Gerontorobotik.“
Erst seit KD-Routinen in Pflegealgorithmen integriert wurden, laufe die
Station. „Robbi 5 ist bei allen hier die beliebteste Pflegekraft!“
Also haben Roboter des Robbi-Typs einprogrammierte Bugs? Franja Wells
schüttelt energisch den Kopf: „Ein Roboter ist doch kein Windows-Rechner!
Es geht auch nicht um geplante Obsoleszenz wie bei einem Toaster. Nein,
alle Roboter hier haben sich ihre Fehler selbst beigebracht!“
Stolz berichtet sie von einem Robbi-Prototyp, der spontan begonnen hatte,
zwischen 19.40 Uhr und 20.15 Uhr auf keine Patientennotrufe zu reagieren,
weil er da lieber „GZSZ“ schaute. Dr. Wells jubelt: „Das war ein
Meilenstein der Künstlichen Dummheit!“
Genau hier setzt die Kritik an der KD an. Marvin Flock vom Bundesverband
Pflege befürchtet eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung. Eine
geheim gehaltene Studie des Gesundheitsministeriums hätte unlängst
errechnet, dass eine zu 100 Prozent perfekte Pflege durch künstlich
intelligente Roboter die Pflegeversicherung innerhalb kürzester Zeit
kollabieren ließe. „Und tatsächlich haben die Pflegekassen die Entwicklung
der Künstlichen Dummheit massiv gefördert“, protestiert Flock. „Das kann
doch kein Zufall sein!“
Wir halten die Augen offen. Robbi 5 ist mittlerweile in Zimmer 21
angekommen. Dort liegt Manfred Runkel, bettlägerig, seit man ihm seine
Raucherbeine abgenommen hat. „Heee Blechbüxe, willste mir ma wieder den
ollen Arsch abputzen?!“, begrüßt er den Pflegeroboter. Runkel gilt als der
renitenteste Patient der Station. Eine Herausforderung für jede
Pflegekraft. Doch Robbi 5 schlägt sich wacker. „Sehr wohl, Herr Runkel“,
sagt er freundlich und macht sich ans Werk. Seine Handgriffe beim Wechseln
der Erwachsenenwindel wirken alles andere als ungeschickt. Wie findet es
Herr Runkel, von einem Roboter gepflegt zu werden?
„Na, jeht schon. Natürlich würd ick lieba von na vollbusigen
Pflegeschülerin jeflecht werdn“, tut er kund. „Aber andererseits kriech
isch eh keen mehr hoch, wa. Und besser als ne Schwatte isset allemal. Dann
lieber so’n Elektro-Nescher.“
„Das sagt man nicht, Herr Runkel“, wendet Robbi 5 ein.
„Ich kann dit so oft sagen, wie ick will, Blechbüxe! Ham doch keene Jefühle
diese Robotnix!“, zetert Runkel und wirft etwas Grießbrei nach der
künstlichen Pflegekraft. „Die kann ick beleidigen, so oft ick will. Is den
doch völlich wumpe.“
„Wenn Sie das noch mal zu mir sagen, kriegen Sie morgen kein Frühstück,
Frau Böhring“, erläutert der Pflegeroboter und verlässt grußlos den Raum.
Wieder trifft Robbi 5 die Tür nicht. Diesmal fährt er direkt durch die
Wand.
## Beschwerden über Fehlverhalten
Gibt es Behandlungsfehler durch die KD-Roboter? Dr. Wells verneint: „Die
meisten Patienten hier sind in verschiedenen Stadien dement. Beschwerden
über Fehlverhalten der Roboter haben wir noch nicht vernommen. Jedenfalls
keine, die sich verifizieren ließen.“
Wir verbringen auch die Nacht auf der Station. Zu dieser Zeit ist sie
komplett in Hand der Pflegeroboter. Alles geht seinen gemächlichen Gang.
Die Robbis begleiten alte Herrschaften zur Toilette, wechseln Bettlaken und
verwechseln Medikamente.
Ein leises „Upsi“ lässt uns gegen zwei Uhr aufhorchen. Robbi 5 hat wieder
die Kurve zu einem Zimmer zu eng genommen. Geschickt hebt der Pflegeroboter
ein dickes Kopfkissen auf, das ihm bei der Kollision entglitten ist. Er
fasst es fest mit beiden Greifarmen und rollt lautlos ins Zimmer 21 von
Herrn Runkel.
Kurz darauf sehen wir die Notlampe über der Tür hektisch aufleuchten. Aber
Robbi 7 von der Nachtschicht streamt gerade „Gute Zeiten, schlechte
Zeiten“. Dann sehen wir Robbi 5 wieder auf dem Korridor. „Upsi“, sagt er
und legt das mit Speichel beschmierte Kopfkissen akkurat in den
Schmutzwäschecontainer. Herr Runkel wird ihn nicht mehr beleidigen.
15 Feb 2020
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Roboter
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Altenpflege
Hamburg
Pflanzen
Wildschweine
Schwerpunkt Coronavirus
E-Roller
Kampfbegriffe
Kirche
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Inspektor-Takeda-Krimi: Wenn Roboter morden könnten
Henrik Siebolds Krimi „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ beleuchtet
nicht nur die Zukunft der Pflege. Er erinnert auch an den „Bluterskandal“.
Die Wahrheit: Das geheime Sterben der Bäume
Florale Sterbebegleitung und Beisetzungen aller Art: Besuch bei einer
Bestatterin auf einem Pflanzenfriedhof. Der Trend zieht Kreise.
Die Wahrheit: Mundraub auf der Nacktwiese
Schweine vom Waldsee: An einem Berliner Badesee mit angeschlossener
Freikörperkultur (FKK) geht es tierisch hoch her.
Die Wahrheit: Der Corona-Führerschein
Mehr Maßregeln: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will eine
Prüfung der sozialen Kontaktfähigkeit per Fragebogen einführen.
Die Wahrheit: Zehen intelligent ankoffern
Nach den E-Rollern kommen jetzt die Troll-E. Selbstfahrende Koffer sind die
baldige Zukunft des Reisens. Besuch auf einem Testgelände.
Die Wahrheit: Links als Fremdsprache
Sie ist Deutschlands erste Sprachschule für linke Kampfbegriffe. Zu Besuch
in einem Institut, das innovativ den deutschen Wortschatz bereichert.
Die Wahrheit: Höllenlärm in sanften Kutten
Bei den Brüllmönchen des Krakeelerordens St. Cacophonius zu Kaiserslautern
zu Besuch. Ein schonungsloser Bericht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.