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# taz.de -- Machtkampf im Nahen Osten: Erdoğans nächste Front
> Türkeis Präsident will Truppen nach Libyen entsenden. Es geht um einen
> Kompromiss mit Russlands Staatschef Putin – auch in Syrien.
Bild: Zivilisten flüchten vor einer Militäroffensive im syrischen Idlib
Istanbul/Tunis taz | Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist
entschlossen, in Libyen in den Krieg zu ziehen. Am Donnerstag kündigte er
in Ankara an, direkt nach der Sitzungspause des Parlaments am 7. Januar
eine Vorlage einzubringen, die den Weg für die Entsendung türkischer
Kampftruppen nach Libyen freimachen soll. Die Entscheidung darüber könne
dann am 8. oder 9. Januar fallen, sagte Erdoğan.
Da seine Koalition von AKP und MHP über die absolute Mehrheit im Parlament
verfügt, dürfte am Ausgang der Abstimmung kein Zweifel bestehen, auch wenn
die Opposition einen möglichen [1][Kriegseinsatz in Nordafrika] vehement
kritisiert.
Entscheidender als die Abstimmung im Parlament dürfte aber ein Besuch des
russischen Präsidenten Wladimir Putin sein, der für den 8. Januar in Ankara
erwartet wird. Wie in Syrien stehen sich die Türkei und Russland auch in
Libyen in verfeindeten Lagern gegenüber. Während Erdoğan sich an der Seite
der international, dass heißt von den UN, anerkannten Regierung des
Ministerpräsidenten Fajis al-Sarradsch engagiert, unterstützt Putin den
abtrünnigen libyschen General Chalifa Hafter, der Ostlibyen kontrolliert.
Haftar versucht seit Monaten die Hauptstadt Tripolis zu erobern und wird
dabei nach Angaben aus dem Sarradsch-Lager von russischen und saudischen
Söldnern unterstützt. Bei den Gesprächen mit Putin wird es deshalb darum
gehen, einen Kompromiss in Libyen und gleichzeitig für [2][die
Rebellenprovinz Idlib] in Nordsyrien zu finden, wo sich Russland und die
Türkei ebenfalls in feindlichen Lagern gegenüberstehen.
## Überraschungsbesuch in Tunesien
Ganz überraschend war Erdoğan am Mittwoch in das libysche Nachbarland
Tunesien geflogen, um mit dem dortigen Präsidenten Kaies Saied über die
Situation in Libyen zu sprechen. Nach Informationen der taz aus Kreisen
einer westlibyschen Delegation hat sich Erdoğan dabei in Tunis auch zu
Gesprächen mit Fajis al-Sarradsch getroffen.
Offiziell soll es bei den Gesprächen mit Präsident Saied und
Ministerpräsident Sarradsch um eine Friedensinitiative gegangen sein.
Tatsächlich wurde wohl eher über die zukünftige militärische Kooperation
und die dabei mögliche Unterstützung Tunesiens gesprochen.
Erdoğan sagte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem tunesischen
Amtskollegen, dass Tunesien „wertvolle und konstruktive“ Beiträge zu der
Stabilität Libyens leisten könne. Ein Waffenstillstand müsse sobald wie
möglich erreicht werden, ergänzte Kais Saied.
Zwei Tage zuvor hatte Saied libysche Stammesälteste aus ganz Libyen
empfangen und eine tunesische Friedensinitiative angekündigt. Tunesien und
Algerien sind nicht zu dem sogenannten Berliner Prozess geladen, der auf
Initiative deutscher Diplomaten die Verbündeten der libyschen
Kriegsparteien zusammenbringen soll.
## In Einflusssphären geteilt
Libyen ist in Einflusssphären der Einheitsregierung von Fajis al-Sarradsch
und Chalifa Hafters „libysch-arabischen Armee“ geteilt. Während Hafter seit
einer versuchten Machtübernahme von Islamisten Unterstützung aus Ägypten,
den Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien in Form von Waffen erhält und
weite Teile Libyens kontrolliert, hat die Sarradsch-Regierung nur im
Zentrum von Tripolis das Sagen und ist mit westlibyschen Städten verbündet.
Doch für die Sarradsch-Regierung sieht es alles andere als gut aus.
Tripolis ist von Truppen von General Hafter praktisch eingekreist. Mithilfe
von türkischen und katarischen Waffen und Militärberatern konnten Hafters
Angriffe bisher gerade noch zurückgeschlagen werden.
In den vergangenen Wochen war es den Hafter-Truppen durch den verstärkten
Einsatz von Drohnen gelungen, an den Frontlinien im Süden von Tripolis
vereinzelte Durchbrüche zu erzielen. Im Bezirk Yarmuk stehen angeblich auch
russische und sudanesische Söldner nur noch zehn Kilometer vom Zentrum von
Tripolis entfernt.
Vor allem die militärisch erfahrenen Einheiten aus der Hafenstadt Misrata
verhindern bislang einen Erfolg der Hafter-Truppen. Der General hat dem
Stadtrat der 300.000 Einwohner zählenden Stadt deshalb bis Donnerstag Zeit
gegeben sich aus Tripolis zurückzuziehen. Ansonsten würde auch das Zentrum
von Misrata bombardiert werden.
## Hafters Ultimatum
Erdoğans Besuch könnte im Zusammenhang mit dem Ultimatum Hafters stehen.
Viele Bewohner Misratas sind während der 500-jährigen Herrschaft des
Osmanischen Reiches im heutigen Libyen von der nördlichen Seite des
Mittelmeers eingewandert. „Wir haben eine Million Türken in Libyen“, sagte
Erdoğan in der letzten Woche bei einer Kundgebung, auf der er das
libysch-türkische Verteidigungsabkommen gegen Kritik der türkischen
Opposition verteidigte. Nach seiner Rückkehr aus Tunis verschärfte Erdoğan
den Ton nun noch einmal und sagte, die Türkei werde die „legitime Regierung
in Tripolis mit allen Mitteln unterstützen“.
Der Einsatz der Türkei in Libyen ist Teil eines umfassenden Machtkampfes im
Nahen Osten und am östlichen Mittelmeer. Dabei geht es um die Ausbeutung
von Öl- und Gasquellen im Gebiet zwischen Libyen, Israel, Ägypten und
Zypern, bei der Erdoğan mit Hilfe der libyschen Regierung mitmischen will,
bis hin zur Regelung der jeweiligen Einflusszonen in Syrien.
Der entscheidende Gegenspieler oder aber Kooperationspartner ist für
Erdoğan dabei nicht die Europäische Union (EU), deren Mitglied Griechenland
im Poker um die Ausbeutung der Öl- und Gasfelder ebenfalls beteiligt ist,
sondern der russische Präsident Wladimir Putin.
Wie schon in Syrien ist Putin auch in Libyen engagiert und hofft dort mit
Hilfe Hafters an der Ausbeutung der libyschen Ölquellen beteiligt zu
werden. Erdoğan sucht deshalb dringend eine Verständigung mit Putin. Von
Montag bis Mittwoch hielt sich bereits eine türkische Delegation in Moskau
auf, um mit Vertretern des russischen Außenministeriums über Kompromisse zu
verhandeln, die den beiden Staatschefs Anfang Januar vorgelegt werden
könnten.
## Teilung Libyens
Zu der Verhandlungsmasse gehört dabei auch die letzte syrische
Rebellenprovinz Idlib, in der die Türkei die Opposition gegen Assad
unterstützt, während russische Bomber sich derzeit an den Angriffen des
Regimes auf Idlib beteiligen. Weil deshalb derzeit fast hunderttausend
Menschen in Idlib vor den Angriffen des Regimes in Richtung türkische
Grenze flüchten, will Erdoğan unbedingt einen Waffenstillstand erreichen,
den Putin dann bei Assad durchsetzen soll.
Sowohl die Kämpfe in Idlib wie auch rund um Tripolis werden deshalb wohl
Anfang Januar noch eskalieren, damit der russische Präsident am 8. Januar
eine möglichst gute Ausgangsbasis für einen Deal mit Erdoğan hat.
In türkischen Medien wird spekuliert, dass die beiden Präsidenten auf eine
Teilung Libyens setzen könnten und die noch vorhandenen türkischen Posten
in Idlib zurückgezogen werden, damit Assad mindestens den Südteil der
Provinz wieder unter seine Kontrolle bekommt. Gibt es keinen
Waffenstillstand, befürchtet Erdoğan eine neue Flüchtlingswelle aus Syrien,
die die Türkei aber nicht mehr alleine „schultern will“. Davon werde auch
die EU und insbesondere Griechenland betroffen sein, sagte er.
26 Dec 2019
## LINKS
[1] /Kaempfe-in-Libyen/!5647635
[2] /Russland-und-China-blockieren-UN-Hilfe/!5652045
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
Mirco Keilberth
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