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# taz.de -- Stiftungen fördern soziale Ungleichheit: Arbeiterkind bleibt Arbei…
> Arbeiterkinder haben weniger Chancen auf ein Stipendium als solche aus
> akademischen Haushalten. Die Zahlen verharren auf niedrigem Niveau.
Bild: Arbeiter- oder Akademikerkind – das ist hier die Frage
Berlin taz | Felix Timmermann gehört zu jenen, die „frei und unabhängig“
studieren können. So bezeichnet die Friedrich-Ebert-Stiftung die
Arbeitsbedingungen ihrer Stipendiaten und Stipendiatinnen. Timmermann
bekommt zusätzlich zum Geld, das sich am BaföG-Satz orientiert, ein
monatliches Büchergeld von 300 Euro. Und er profitiert von den Angeboten
der Stiftung.
Mit Hilfe eines Mentors bekam er einen Praktikumsplatz in einem
Bundesministerium. Für sein Auslandssemester zahlte ihm die Stiftung die
Fahrtkosten und einen Zuschlag auf das Grundstipendium. Ein Seminar hat er
in besonderer Erinnerung: „Auf einer Tagung ging es um Zentralafrika, dort
habe ich Einblicke in den Kontinent bekommen, die mir sonst wohl
verschlossen geblieben wären“, sagt der Jurastudent aus dem Ruhrgebiet.
Demnächst will er sich für einen berufsvorbereitenden Rhetorikkurs
anmelden, den die Stiftung anbietet und bezahlt.
Timmermann ist Sohn eines gelernten Bergmanns und einer Altenpflegerin –
und gehört mit seinem sozialen Hintergrund zu einer Minderheit unter den
Nutznießern der Begabtenförderungswerke in Deutschland. Die haben dafür
zuletzt fast 200 Millionen Euro vom Bundesbildungsministerium erhalten und
aktuell rund 30.000 Studierende gefördert. Kinder aus nichtakademischem
Elternhaus, also deren Eltern nicht studiert haben, sind unter den
Geförderten seit Jahren deutlich unterrepräsentiert.
## Nur 24 Prozent Arbeiterkinder bei der CSU-nahen Stiftung
Nach einer Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) sind nur 33
Prozent der Stipendiaten und Stipendiatinnen Arbeiterkinder, wie
Nichtakademikerkinder auch genannt werden. Das sind Zahlen von 2008, aber
Recherchen der taz haben ergeben, dass die Stipendien im Schnitt
unverändert sozial ungleich verteilt sind.
Die Spanne reicht von 24 Prozent bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung
bis zu 62 Prozent bei der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung (Anm.: In
der Grafik ist die Hans-Böckler-Stiftung irrtümlicherweise nicht
aufgeführt). Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, die fast drei Mal
so viele Studenten fördert wie die Luxemburg-Stiftung und zu deren
Stiftungszeck ausdrücklich die Förderung von Arbeiterkindern gehört, kommt
auf 58 Prozent. Diese beiden Stiftungen liegen über dem Durchschnitt der
Studierenden mit nicht-akademischem Hintergrund insgesamt.
Zum Vergleich: Nach Zahlen des [1][aktuellen Bildungsberichts] der
Bundesregierung hat bei immerhin 47 Prozent der Studierenden an
Universitäten und Fachhochschulen keiner der beiden Elternteile einen
akademischen Abschluss. Aber auch damit sind Nichtakademikerkinder an den
Universitäten und Fachhochschulen unterrepräsentiert: Ihr Anteil an der
gesamten Altersgruppe liegt bei 72 Prozent. Die Zahlen zur sogenannten
Bildungsbeteiligungsquote erklären den Unterschied: Fast 80 Prozent der
Akademikerkinder studieren, Kinder mit mindestens einem Elternteil mit
Abitur studieren zu 48 Prozent, und solche, deren Eltern eine
Berufsausbildung haben, nur zu 24 Prozent.
## Eliteschmieden des Bildungsbürgertums?
Nach den Zahlen reproduzieren die meisten Stiftungen nicht nur [2][die
soziale Ungleichheit], sondern verstärken sie unter ihren Geförderten
weiter. Sind die Stiftungen, die für ihre Förderprogramme Steuergeld und
damit das Geld der Allgemeinheit verteilen, weiterhin Eliteschmieden des
Bildungsbürgertums?
Felix Timmermann hatte neben guten Noten das Selbstbewusstsein, um sich im
zweiten Semester zu bewerben. Für eine Bewerbung brauchte er ein Gutachten
eines Professors. Er sagt aber auch: „Man muss die Codes kennen.“ Bei der
Ebert-Stiftung sei ein Engagement in der SPD oder bei den Jusos ein
Pluspunkt. Eine nichtakademische Herkunft auch, wenn Noten und das
„Persönlichkeitsbild“ des Kandidaten den Auswahlausschuss überzeugen.
Im Leitbild der Stiftung, die den Namen des gelernten Sattlers und
Reichspräsidenten Friedrich Ebert trägt, heißt es unter „Was wir tun“:
„Begabtenförderung unter besonderer Berücksichtigung von Studierenden und
Promovierenden aus einkommensschwachen Familien […].“ Die Stiftung hat zwar
eine der höchsten Quoten unter den Förderwerken. Sie ist aber nahezu
deckungsgleich mit der Quote von Nichtakademikern an den Universitäten.
Eine „besondere Berücksichtigung“ erschließt sich aus den reinen Zahlen
nicht.
Die Stiftungen wenden drei Kriterien an: Begabung, Persönlichkeit und
gesellschaftliches Engagement. In alle drei Kriterien speist sich aber
indirekt die soziale Herkunft ein. Einen Abi-Schnitt von 1,9 eines
Arbeiterkinds, das ohne die Hilfe der Eltern lernen musste, hat eine andere
Geschichte als der gleiche Notenschnitt eines Lehrerkinds – wahrscheinlich
steckt hinter der Note des Arbeiterkinds mehr Anstrengung. Auch dürfte ein
Akademikerkind mehr Erfahrung darin haben, zu argumentieren und sich zu
präsentieren.
## Linksliberale Klassiker
Hinter vorgehaltener Hand sagen einige Vertreter der Stiftungen, dass unter
„Engagement“ zu lange einseitig deren bildungsbürgerliche Variante belohnt
wurde. Zugespitzt sind etwa die Klassiker im linksliberalen Bürgertum eine
Mitgliedschaft bei Amnesty International, das Mitmachen in der Theater-AG
der Schule und nach dem Abitur ein Jahr Entwicklungshilfe in Afrika, für
die meistens sogar noch Geld bezahlt werden muss. Kinder aus
Arbeiterhaushalten haben meistens gar nicht das Kapital. Der Soziologe
Pierre Bourdieu unterschied zwischen kulturellem, sozialem und ökonomischem
Kapital, um da mitzuhalten.
Pia Bungarten, Leiterin der Begabtenförderung der Ebert-Stiftung, sagt mit
Blick darauf: „Wir weiten den Blick in Bezug auf den Begriff Engagement.“
Eine reine Mitgliedschaft bei Amnesty International zum Beispiel sei zu
unspezifisch. Ehrenamtliches Engagement werde weiter gefasst: in
Bürgerinitiativen, für den Klimaschutz, in der Geflüchtetenhilfe, in NGOs
oder in Schulaktivitäten.
Bungarten sagt: „Wir würdigen aber auch Engagement zum Beispiel in Form
eines Einsatzes als Jugendfußballtrainer, sofern das Engagement auf den
Werten der sozialen Demokratie beruht und der ehrenamtliche Einsatz über
die reine Mitgliedschaft hinausgeht.“ Nimmt man die Aufzählung wörtlich,
tauchen dabei ausdrücklich auch Aktivitäten auf, bei der die bürgerliche
Mittelschicht dominiert: NGOs, Bürgerinitiativen, Klimaschutz.
Die Studienstiftung des deutschen Volkes hatte lange Zeit den Ruf, [3][zu
den elitärsten Förderwerken] zu gehören. Sie bewegt sich nach den
taz-Recherchen im unteren Mittelfeld, was die Arbeiterkindquote angeht. Die
Quote ist von 21 Prozent auf 29 Prozent gestiegen, seit 2013 liegt sie
stabil auf diesem Wert. Weiter erhöht hat sie sich seitdem aber nicht. Für
die Studienstiftung werden bereits in der Oberstufe Kandidaten und
Kandidatinnen von den Lehrern vorgeschlagen.
Britta Voß, die Sprecherin der Stiftung, sagt dazu: „Dabei bitten wir
darum, nicht unbedingt die Notenbesten vorzuschlagen, sondern gleichermaßen
intellektuelle Begabung und Engagement zu berücksichtigen.“ Was das
gesellschaftliche Engagement angehe, nehmen die Stiftung „keine normativen
Wertungen vor“: Wenn sich ein Bewerber zum Beispiel in der Familie um
jemanden kümmere, der pflegebedürftig sei, habe dies den gleichen
Stellenwert, als wenn sich jemand bei Amnesty International oder auf andere
Weise gesellschaftlich engagiere.
Die Studienstiftung will bei der Vorauswahl vermehrt gegensteuern. So
evaluiert sie die Zugangswege zu einem Stipendium, die Auswahlkommissionen
werden geschult, die Stiftung schreibt Schulen an, die zu einer
Fachhochschulreife führen.
Eine [4][Kleine Anfrage von FDP-Abgeordneten] im Bundestag 2018 hatte die
Debatte um soziale Ungleichheit bei den Stipendien neu beflügelt.
Bemerkenswerterweise, denn die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hat
einen der niedrigsten Werte.
## Handlungsbedarf beim Begabungsbegriff
Die erste Antwort der Bundesregierung war fehlerhaft: Dort war die Rede
davon, dass sich bei den Neuaufnahmen der Anteil von Arbeiterkindern von
„rund 29 Prozent im Jahr 2010 auf rund 36 Prozent im Jahr 2017 erhöht“
habe. In Wirklichkeit stagnieren die Zahlen mit 33,8 Prozent (2010) und
34,4 Prozent (2017) praktisch, wie es in der korrigierten Antwort heißt.
Über die Quoten unter den Studierenden insgesamt stand in der Antwort
nichts.
Jens Brandenburg, FDP-Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Studium und
berufliche Bildung, kritisiert die geringe Quote an Arbeiterkindern und
sieht besonders beim Begabungsbegriff Handlungsbedarf. „Die Stiftungen
sollten den ‚Auswahl-Bias‘ in ihren Auswahlgremien thematisieren“, sagt e…
Ein Beispiel: Natürlich gehe es bei den Auswahlgesprächen auch um die
Präsentation. Da könnten sich Bewerber und Bewerberinnen aus
Akademikerfamilien allein sprachlich anders darstellen als Menschen aus
Arbeiterfamilien. „Die Begabtenförderungswerke sollten ihre Auswahlprozesse
kritisch hinterfragen.“
Bei zwei weiteren Kriterien ist die Lage übrigens deutlich besser. Der
Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund und der von Frauen
entspricht ziemlich genau ihrem Anteil an den Hochschulen insgesamt.
16 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsberich…
[2] /Soziale-Ungleichheit/!5617623
[3] /Stipendium-der-Studienstiftung/!5299341
[4] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/075/1907522.pdf
## AUTOREN
Gunnar Hinck
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