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# taz.de -- Wie viel Luxus dürfen Politiker zeigen?: Das Verachten der Aufstei…
> Wo macht der Urlaub, was fährt die für ein Auto? Die richtige Karte der
> Klassenzugehörigkeit zu spielen, ist für Politiker ein komplizierter
> Prozess.
Bild: Wahlplakat mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz
Es ist ein Thema, das in Österreich immer aus dem Hinterhalt auftaucht. Aus
der Schlüssellochperspektive, heimlich dokumentiert, anonym angezeigt: das
Luxusleben von Politikern. Es löst nicht nur heftige Emotionen aus, sondern
auch die Frage: Wie können, dürfen, sollen Politiker leben? Wie viel Luxus
ist ihnen erlaubt? Ist es egal, welches Auto ein Spitzenpolitiker fährt, wo
er urlaubt, welche Uhr er trägt? Eigentlich ja. Aber.
An diesen „Enthüllungsgeschichten“, an diesen Bildern, die der Denunzierung
dienen, wird ein Problem sichtbar – jenes Problem, das das Denunzieren
überhaupt erst möglich macht: Wie soll man aufsteigen und zugleich dem
bürgerlichen Leben fernbleiben? Denn für das, was man auch heute noch als
bürgerliche Lebensform, als bürgerliche Kultur bezeichnen kann, gilt nach
wie vor: Die herrschende Kultur einer Zeit ist stets die Kultur der
Herrschenden – wie man in Abwandlung von Marx sagen kann. Diese Kultur ist
dominant.
Deshalb ist die eigene Lebensführung weder ein Problem für Politiker, die
selbst aus dem Bürgertum kommen, noch für konservative Politiker, für die
diese Kultur quasi ihr „natürliches“ Umfeld ist. Aber etwa für
Sozialdemokraten mit proletarischer, bäuerlicher oder kleinbürgerlicher
Herkunft (migrantische ist ja immer noch die Ausnahme) – für solche Leute,
die einen harten Weg nach oben gegangen sind, für Leute, die man Aufsteiger
nennen könnte – würde dieses Wort nicht so einen verächtlichen Beigeschmack
haben. Für solche Leute ist dies ein Problem.
## Kapitalismus mit hedonistischem Antlitz.
Wie geht ein Politiker heute mit Hedonismus um? Denn der Neoliberalismus
hat dessen Charakter völlig verändert. Hedonismus ist nicht mehr das
Glücks- und Freiheitsversprechen, das die Poplinke propagierte. Für diese
war Genießen eine emanzipatorische Rebellion, ein Ausweg aus dem
Spießertum, eine Befreiung.
Im Neoliberalismus ist ausgelebter Genuss aber nicht mehr subversiv,
sondern gesellschaftlicher Konsens. Hier herrscht Einvernehmen, was gutes
Leben bedeutet: Durchfluten aller Lebensbereiche mit Hedonismus.
Triebbefriedigung als Prinzip. Kapitalismus mit hedonistischem Antlitz.
Erinnert sich noch jemand an das Wort von der „Toskana-Fraktion“? Das war
das Schimpfwort für jene Sozialdemokraten, die einen einschneidenden
Kurswechsel vollzogen haben: die Akzeptanz des – vorgegebenen – Genießens
als Lebensform. Eines Hedonismus, der sich von der einstigen
sozialdemokratischen Vergnügungskultur unterschied. Weil er sich nun über
den Konsum von Qualitätsgütern definierte: ein Connaisseur-Hedonismus mit
reichem Wissen um feine Unterschiede.
Das war der Moment, wo Genießen und neoliberale Verführung zusammenfielen.
Denn es gibt nicht nur eine pekuniäre – es gibt auch eine moralische,
ästhetische, kulturelle, eine lebensweltliche Korruption. Ein heikles
Terrain.
## Am Tisch mit den Mächtigen
Der ehemalige österreichische [1][Bundeskanzler Franz Vranitzky] saß oft,
wie ein Insider erzählte, mit den bürgerlichen Mächtigen am Tisch. Aber
dabei war immer klar – den anderen und ihm –, dass er der Chef der
Sozialdemokraten sei. Manch späterer Parteigrande saß dann auch am Tisch –
aber wusste ebendies nicht mehr. Denn er wollte nicht nur mit am Tisch
sitzen. Er wollte dazugehören.
Nein, Politiker müssen nicht in Sack und Asche gehen. Aber es ist ein
schmaler Grat zwischen Anerkennung und Unterwerfung, zwischen
Klassenkompromiss und kulturellem Überlaufen, zwischen Hedonismus und
lebensweltlicher Korruption. Die Elitenforschung zeigt, dass immer weniger
Politiker aus der breiten Bevölkerung stammen. Selbst unter
Sozialdemokraten gebe es in den Spitzenpositionen kaum noch Arbeiterkinder.
Das sei ein Defizit. Da ist etwas dran. Und zugleich unterliegt diese
Vorstellung einem identitären Aberglauben. Denn sie geht davon aus, dass
Herkunft authentische Repräsentation garantiere – und übersieht dabei den
komplizierten Prozess von Klassenflucht, Klassenscham bis hin zum
vermeintlichen oder echten Klassenverrat, und sei es nur in den
Lebensformen – kurzum die heikle Versuchung der kulturellen
Korrumpierbarkeit.
25 Oct 2019
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## AUTOREN
Isolde Charim
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