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# taz.de -- Lebensstile von Politikern: Normal musst du sein!
> Dürfen linke Politiker Porsche fahren oder Brioni-Anzüge tragen? Wann
> immer solche Lebensstilfragen aufpoppen, geraten Argumente durcheinander.
Bild: Wer darf ein solches Auto fahren? Ein Porsche 911, hier ein Foto eines ge…
Eine Freundin von mir vertritt die Ansicht, die Mentalitätsunterschiede
zwischen Deutschen und Österreichern träten besonders plakativ in zwei
Liedern zutage: in dem [1][Song „Ruaf mi net an]“ des verstorbenen Wiener
Liedermachers Georg Danzer und in [2][„Zu spät“ von den Ärzten].
Beide haben dasselbe Thema, nämlich verschmähte Liebe. Hauptfigur ist
jeweils ein junger Mann, der von seiner Freundin verlassen wurde, weil sie
sich einen klügeren, reicheren, prestigeträchtigeren Partner gesucht hat.
Doch während in der deutschen Version die Ich-Figur in gigantomanische
Fantasien verfällt, versinkt die österreichische Figur in weinerlichem
Selbstmitleid.
Bei den Ärzten heißt es: „Doch eines Tages werd’ ich mich rächen / Ich
werd’ die Herzen aller Mädchen brechen / Dann bin ich ein Star, der in der
Zeitung steht / Und dann tut es dir leid, doch dann ist es zu spät.“
Bei Danzer dagegen tut der trauernde Twentysomething gar nichts, nimmt
Tabletten, kann nicht mehr schlafen und verwünscht den neuen Liebhaber, der
die Ex in Restaurants einlädt und ein teures Auto fährt. „I waß du hasd
jetzt an Freund mid an Porsche / Geh sag ihm er soll do in Oasch geh.“
Allein dafür, dass er „Porsche“ auf „Oasch geh“ („in den Arsch gehen…
reimte, gebührt Danzer der Literaturnobelpreis. Der Porsche steht hier für
Protzerei, für das Neureiche, auch ein bisschen für das Ludenhafte. Porsche
repräsentiert auch ein wenig das Unseriöse, Krösushafte.
Wir führen ja bei uns in Österreich meist ähnliche Debatten wie ihr in
Deutschland, nur noch ein bisschen dümmer. Deswegen hatte die
österreichische Sozialdemokratie zuletzt ihre „Porsche“-Debatte. Die SPÖ
ist ja bei den vergangenen Parlamentswahlen auf 21 Prozent abgestürzt, Tags
darauf trat der Bundesgeschäftsführer zurück und holte seine Habseligkeiten
mit seinem schicken Oldtimer-Porsche aus der Parteizentrale. Als sich dann
noch herausstellte, dass auch der Tiroler Landesvorsitzende mit einem
modernen Porsche-Modell durch die Gegend kurvt, waren die „Luxus-Sozis“ in
den Schlagzeilen und buchstäblich „im Oasch“.
## Entkontextualisierte Debatte
Wann immer solche [3][politischen Lebensstilfragen] aufpoppen, geraten die
Argumente durcheinander. Die einen meinen, linke Politiker müssten auch
durch ihren Lebensstil ausdrücken, dass sie auf der Seite der einfachen
Leute stehen, und dafür sind Villen, Luxuskarossen und [4][teure Uhren],
Brioni-Anzüge und Zigarren Gift. Die anderen meinen, dass diese Leute sich
das Zeug ja erstens von ihrem verdienten Geld gekauft haben, sie daher auch
niemandem Rechenschaft schuldig seien, dass es zweitens darum gehe, ob sie
gute Politik machen, nicht ob sie in Sack und Asche herumliefen, und dass
die Linken, drittens, doch für Wohlstand und Luxus für alle eintreten,
nicht für Armut für jeden.
Das Problem ist, dass diese Debatte völlig entkontextualisiert geführt
wird. In einem diskursiven Kontext, in dem sowieso zu viele Menschen der
Meinung sind, die einstigen Linksparteien hätten sich von den einfachen
Leuten entfernt, wären abgehoben und hätten außerdem auch den Mut verloren,
die wirtschaftlich Mächtigen zu bekämpfen (und würden stattdessen danach
gieren, einen Platz am Tisch der wirtschaftlich Mächtigen zu ergattern) –
in solch einem Kontext ist jedes Attribut der Protzerei natürlich Gift.
Weil es (Vor-)Urteile bestätigt, ja regelrecht illustriert. Ich persönlich
hätte ja auch gerne einen hübschen Porsche wie James Dean, aber würde ich
linker Politiker, würd’ ich ihn für ein paar Jahre in der Garage stehen
lassen (die ich auch nicht habe).
Die nächsten SPD-Vorsitzenden heißen höchstwahrscheinlich „Norbert und
Saskia wer?“. Wird eine Zeit brauchen, bis man sich die Namen gemerkt haben
wird. Die Pärchenläufe um den Parteivorsitz gehen jetzt in die Endrunde.
Und da geht es natürlich auch um solche Fragen: Welche radikalen Konzepte
muss eine Sozialdemokratie heute vertreten? Aber auch: Wie schafft sie es,
wieder zum Fürsprecher der einfachen Leute zu werden? Aber es gehört
natürlich auch die Frage dazu, welche Persönlichkeitsattribute jemand
verkörpern muss, der heute die Rolle eines glaubwürdigen Linkspolitikers
ausfüllen will. Eine gewisse Erdung stört da nicht. Normal musst du sein.
Viele haben das noch immer nicht verstanden. Viele Apparatschiks und
Establishment-Sozis, die ihr Leben erst auf der Uni, dann im Umfeld der
Partei, in Ministerkabinetten, parlamentarischen Ämtern und in Regierungen
verbracht haben und denen man die Volksferne von Weitem ansieht, glauben ja
echt zum Beispiel, die einstige Wählerklientel habe sich primär wegen
Zuwanderung der SPD entfremdet. Viele dieser Leute können nicht einen Satz
formulieren, den ein normaler Mensch versteht, und glauben echt, es läge an
den Ausländern, dass die weiße Arbeiterklasse nicht mehr den
Sozialdemokraten vertraut.
Dabei liegt es ja an ihnen.
1 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=C5CDEJ-yCTQ
[2] https://www.youtube.com/watch?v=YkHP0661TiA
[3] /Wie-viel-Luxus-duerfen-Politiker-zeigen/!5632080
[4] /Kommentar-Cheblis-Rolex-und-SPD-Politik/!5541023
## AUTOREN
Robert Misik
## TAGS
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Sawsan Chebli
SPD
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