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# taz.de -- Koalitionsvertrag in Brandenburg: Wie grün ist Kenia?
> In Brandenburg präsentieren SPD, CDU und Grüne ihren Koalitionsvertrag.
> Damit sind die Grünen zum ersten Mal seit langem dort wieder in der
> Regierung.
Bild: Kann zufrieden sein: Der Koalitionsvertrag in Brandenburg ist für Nonnen…
Berlin taz/dpa | Noch vier Wochen, nein, sogar noch zwei Tage weniger. Dann
könnte in Brandenburg erstmals seit 1994 wieder eine Koalition regieren, in
der das Wort „grün“ auftaucht. An diesem Freitag schon soll nach knapp
viereinhalbwöchigen Verhandlungen der Vertrag über eine Kenia-Koalition
vorliegen, am 27.November, vielleicht aber auch schon am 20. die neue
rot-schwarz-grüne Regierung im Landtag vereidigt werden.
Das ist fast revolutionär in einem Land, in dem genau genommen gar nicht
die erst später fusionierten Grünen, sondern Bündnis90 1990 einmalig in die
Landesregierung kam. Und wo es vor der Landtagswahl am 1. September hieß,
der damalige und künftige Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wolle und
könne überhaupt nicht mit den Grünen.
Ein Gräuel seien dem SPD-Mann [1][rot-rot-grüne Verhältnisse, wie er sie im
benachbarten Berlin erlebe.] Seine bisherige Koalition mit der Linkspartei
um die Grünen zu einem solchen Bündnis zu erweitern, war von vornherein
kein Wunsch von Woidke. Das Wahlergebnis machte ihm die Argumentation
leichter: Rot-Rot-Grün hätte im neuen Landtag nur eine Stimme Mehrheit, die
von ihm durchgesetzte Kenia-Koalition mit CDU und Grünen hingegen 50 von 88
Sitzen.
Aber auch die Grünen waren nicht gerade mit Liebesbezeugungen für ein
Kenia-Bündnis in die Koalitionsverhandlungen gegangen: Sie hätte sich
lieber Rot-Rot-Grün gewünscht, sagte Spitzenkandidatin und Fraktionschefin
Ursula Nonnemacher noch bei jenem Parteitag Ende September, der den Weg für
die Koalitionsverhandungen mit SPD und CDU frei machte.
Viereinhalb Wochen später ist der Koalitionsvertrag an einigen Stellen tief
grün eingefärbt. Eine einzige rote Linie hatten die Grünen im Wahlkampf
definiert: an keiner Stelle neu mit Braunkohletagebau zu beginnen und keine
vorhandenen Fördergebiete so zu erweitern, dass wie in der Vergangenheit
ganze Dörfer verschwinden. Genau mit diesem Ergebnis kamen die Verhandler
der drei Parteien aus [2][ihrer Gesprächsrunde zum Thema Energie.]
## Viel Geld für Radwege
20 Millionen Euro soll es zudem allein für neue Radwege geben. Das wäre
knapp doppelt soviel wie bislang und aus Nonnemachers Sicht „eine richtig
relevante Hausnummer“. 16 weitere Millionen sollen zudem für einen
Klimaschutzplan vorgesehen sein. In Großmastanlagen soll es zudem mehr
Tierschutz geben.
Nicht finanzierbar sei dagegen das 365-Euro-Ticket für alle
Brandenburgerinnen und Brandenburger. Der dafür nötige dreistellige
Millionenbetrag sei derzeit nicht darstellbar, hieß es. Nonnemacher hatte
allerdings schon vor der Wahl einen Vorschlag von Berlins Regierungschef
Michael Müller (SPD) für ein solches 365-Euro-Ticket kritisierte: Erst
müsse man massiv in den Ausbau des Nahverkehrs investieren, die Taktzeiten
verkürzen, das Busangebot ausbauen und stillgelegte Strecken reaktivieren.
Das soll offenbar in Brandenburg jetzt massiv geschehen.
Zudem wollen die Koalitionäre einen neuen Kredit in Höhe von einer
Milliarde Euro aufnehmen. Damit sollen in den kommenden zehn Jahren
zusätzliche Investitionen in den Nahverkehr, den Neubau von Schulen und
Kitas, den Wohnungsbau, das Gesundheitswesen, die Digitalisierung und den
Klimaschutz finanziert werden. Das Geld solle allen Regionen des Landes
zugute kommen, hatten die Verhandlungsführer der drei Parteien erklärt.
Außerdem sollen mehr Lehrer, Polizisten, Richter und Staatsanwälte
eingestellt werden. Insgesamt will die neue Landesregierung für ihre
geplanten Vorhaben etwa 600 Millionen Euro mehr an Investitionen ausgeben,
als es die mittelfristige Finanzplanung vorgesehen hatte.
Zumindest nach außen hin geschah all das in zeitweise fast schon
harmonischer Atmosphäre. „Wir haben uns zusammen gerauft und stehen gut
gelaunt hier“, sagte Nonnemacher etwa vor einer Woche nach der Diskussion
über das Energiethema. „Jeder musste hier Kröten schlucken“, hieß es von
Woidke. Der hat sich offenbar auf das einlassen können, was Grüne – und
auch die CDU – von Anfang der Verhandlungen an forderten: Augenhöhe
zwischen den drei Parteien. Natürlich können man das Wahlergebnis vom 1.
September nicht komplett ignorieren, heißt es aus Verhandlungskreisen – die
SPD bekam mehr als zweieinhalb mal so viele Stimmen wie die Grünen. Aber es
gehe um einen respektvollen Umgang miteinander.
Fest geschrieben sind all diese Vereinbarungen erst, wenn die drei Parteien
einig wie bislang aus ihrer – geplant jedenfalls – letzten
Verhandlungsrunde an diesem Donnerstagabend kommt und Freitagmittag einen
fertigen Koalitionsvertrag präsentieren. Wirklich gelten kann all das erst,
wenn nicht bloß ein SPD-Landesparteitag und eine – ebenfalls noch von einem
Parteitag zu bestätigende – Mitgliederbefragung bei der CDU ihr Okay geben.
Entscheidend wird das Votum der grünen Basis sein, das die Partei per
Urabstimmung ermittelt und das bindend ist.
## 2.000 Brandenburger Grüne sind Stimmberechtigt
Beim Grünen-Landesparteitag am 9. November wird zwar diskutiert – „da wird
es tüchtig zur Sache gehen“, heißt es – aber nicht abgestimmt, denn
parallel läuft dann noch bis Mitte November die Abstimmung. Stimmberechtigt
sind dann knapp 2.000 Brandenburger Grüne, fast doppelt so viele wie noch
Anfang 2018, nachdem die Partei ein bislang einmaliges Mitgliederwachstum
erlebte. Beim kleinen Parteitag, der im September nach ausführlichen
Sondierungsgesprächen über Koalitionsverhandlungen zu entscheiden hatte,
waren die Mehrheitsverhältnisse klar: Bei einer Enthaltung waren 47
Delegierte dafür, 7 dagegen.
Gegen eine Kenia-Bündnis wandte sich damals vorrangig die Grüne Jugend –
„Keen Ja“, war ihr Slogan. Die neue Landessprecherin des
Partei-Nachwuchses, Josepha Albrecht, begrüßte zwar am Mittwoch gegenüber
der taz den Verzicht auf neuen Tagebau. Sie vermisste aber einen früheren
Ausstieg aus der Kohleförderung schon im Jahr 2030. „Wir möchten nicht als
Lückenfüller einer erweiterten großen Koalition herhalten“, sagte Albrecht.
Hieße das, dass es für die Grüne Jugend eine Option ist, eine
Regierungsbeteiligung noch abzulehnen? „Wenn im Koalitionsvertrag zu wenig
drin steht, dann ist das eine Option.“
25 Oct 2019
## LINKS
[1] /Berliner-Wohnungspolitik/!5635716
[2] /Rot-schwarz-gruenes-Buendnis-in-Potsdam/!5631687
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Kenia-Koalition
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