# taz.de -- Spitzenduos für die SPD: Visionäres Allerlei | |
> Mit den bisherigen Kandidat*innen findet die SPD ganz sicher nicht aus | |
> ihrer inhaltlichen Leere. Warum es eine Grande Dame wie Gesine Schwan | |
> braucht. | |
Bild: Sie verkörpert Verve und Intellektualität: Gesine Schwan | |
Selbst wenn richtig ist, dass die [1][sozialdemokratische Suche nach | |
einem Spitzenduo] das Publikum über diese Partei hinaus eher langweilt als | |
mitreißt, ja, gar mitfiebern lässt: Falsch wäre es, zu glauben, in der SPD | |
herrsche ebenfalls ein gleichmütiges Desinteresse an der Frage, wer die | |
Nachfolge von Andrea Nahles antritt – wer also letztlich das Erbe der | |
SPD-Granden Kurt Schumacher, Willy Brandt oder Gerhard Schröder antreten | |
kann und will. | |
Hört man sich um, ergibt sich das gleiche Bild, wie es auch in den medialen | |
Bildern zu erkennen ist: nicht allein Verzweiflung, sondern Erschöpfung und | |
Trostlosigkeit. Schmerzlich wird realisiert, dass die Partei von Kanzlerin | |
Angela Merkel gar Mitleid mit ihren politischen Partnern von der SPD | |
empfindet: Wenn der klassische Gegner einen zu schonen beginnt, wird es, | |
was den eigenen Glauben an eine gloriose, wenigstens überlebensfähige | |
Zukunft angeht, echt übel. | |
Tatsächlich zeigt das Tableau der möglichen Kandidat*innen für die | |
künftige Doppelspitze das versammelte Elend einer Partei, die selbst kaum | |
mehr zu wissen scheint, warum es sie noch geben muss: | |
Da erklären Olaf Scholz, Hubertus Heil und [2][das Trio der | |
Übergangsparteiführung, Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu | |
Dreyer], für den höchsten Parteiposten nicht zur Verfügung zu stehen; | |
Franziska Giffey scheint, [3][ihres schwebenden | |
Doktortitelaberkennungsverfahrens wegen], ebenso wenig zu wollen. [4][Einer | |
wie Stefan Weil], weltberühmt rund um Hannover und politisch viel weniger | |
glamourös, als die meisten seiner ihn lobenden Beobachter*innen glauben | |
machen wollen, will ebenso wenig. | |
## Kluge, erfahrene Kandidaten – ohne Durchsetzungskraft | |
So bleibt denn bislang nur Personal aus der zweiten bis dritten Reihe: der | |
wirtschaftsnahe Robert Maier, außerdem der ewige Karl Lauterbach, der mit | |
der Umweltpolitikerin Nina Scheer Ansprüche angemeldet hat. Simone Lange, | |
die schon gegen Nahles als Oberbürgermeisterin von Flensburg tapfer ins | |
Rennen ging (und verlor), will die Liebe der Partei zusammen mit ihrem | |
Bautzener Kollegen Alexander Ahrens gewinnen. | |
Alles noble Menschen, klug und erfahren, keine Hallodris, keine politischen | |
Anti-Etablishment-Leute, wie es Jeremy Corbyn in der britischen Labour | |
Party war, bevor er den Thron der ehemaligen Arbeiterpartei erobern konnte. | |
Aber diese Kandidat*innen sollen in der Parteiführung relevante, also | |
auch durchsetzungsfähige Impulse setzen gegen die amtierenden | |
Bundesminister? | |
Aus dem Willy-Brandt-Haus, der kulturell immobilsten Institution der SPD? | |
Die sollen Einfluss haben auf einen wie Olaf Scholz, letztes echtes | |
Schwergewicht in seiner Partei, prominent seit Gerhard Schröders | |
Kanzlerjahren? Das glauben sie sicher nicht einmal selbst. | |
Die einzige Differenz, die etwa das Duo Lauterbach/Scheer zu seinen | |
Konkurrent*innen hervorhebt, ist: Raus aus der Groko, ein Ende der | |
Gefangenschaft in der Regierung, die ja notwendigerweise oppositionelle | |
Gefühle weckt, aus welchem politischem Spektrum auch immer. Als hätte die | |
SPD nicht größere, viel größere Probleme als das Dasein in der sogenannten | |
Großen Koalition. Nämlich eine programmatische Leere, besser: ein | |
visionäres Allerlei, formuliert zugunsten jener Menschen, die von der | |
grünen Wucht um Robert Habeck und Annalena Baerbock nicht angefixt sind. | |
## Opposition ist scheiße | |
Denn was möchte die SPD, wenn sie aus der Großen Koalition ausscheiden | |
würde und Neuwahlen anstünden? Hat der einflussreiche Seeheimer-Genosse | |
Johannes Kahrs nicht recht, wenn er – was er seit dem rot-grünen Ende 2005 | |
tut – sagt: Opposition ist scheiße? Und selbst wenn die SPD im Bundestag in | |
der Opposition säße – gewählt von wahrscheinlich nur noch 12 Prozent: Was | |
wäre damit programmatisch gewonnen? | |
Ein Blick auf die politische Praxis der SPD, egal auf welcher Ebene, | |
besagt: nichts. Denn woran es ihr mangelt, ist eine die Mitglieder | |
einigende Vision, für die sie stehen will. Einerlei, welche Zukunftsfrage | |
aktuell erörtert wird, in erster Linie haben atmosphärisch und | |
programmatisch, was das linke und linksliberale Spektrum angeht, die Grünen | |
den Zeitgeist auf ihrer Seite. Sie sind immer schon da, ihnen traut man | |
(vieles zu), ob nun berechtigt oder unberechtigt. | |
Die SPD hingegen ist, wie schon viele analysiert haben, die Partei der | |
Bürovorsteher*innen, der Organisator*innen und Moderator*innen von | |
Prozessen, die sie indes kaum mitzugestalten vermögen. | |
Die SPD verhandelt ihre Zukunft innerparteilich, ohne dass an ihr | |
gesellschaftliche Sehnsüchte hängen. Dass jetzt Malu Dreyer, die durchaus | |
erfolgreiche Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, davon redet, man | |
könne sich auch Rot-Rot-Grün vorstellen, ignoriert, dass diese Koalition | |
vom Wahlpublikum nicht gemocht wird. | |
## Letzte Chance: Schwan | |
Davon abgesehen, dass die meisten Grünen die politische | |
Traumgespinstlandschaft nicht (mehr) wollen, weil sie so wahnsinnig gestrig | |
wirkt: Wer um die mittlere Kaderlandschaft von Linkspartei und SPD weiß, | |
kann nicht ernsthaft annehmen, da käme bei ihnen Freude auf ob der | |
politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Dreyers Idee – ein scheinradikaler | |
Verzweiflungsruf aus Ratlosigkeit. | |
Es gibt jedoch eine Kandidatin, die gern zusammen mit einem Mann die SPD | |
führen würde: Gesine Schwan. Sie verkörpert Verve, Intellektualität und ist | |
niemandem in der SPD etwas schuldig. Sie kann reden, hat Charisma und | |
Leidenschaft, strahlt mit ihren 76 Jahren mehr Frische und Angriffslust aus | |
als die gesamte Bundestagsfraktion zusammen. | |
Schwan ist das Gegenteil eines Apparatschiks, was ihr größtes politisches | |
und kulturelles Kapital sein dürfte. Dass man sie nach ihrer Mitteilung, | |
sie könne sich vorstellen, zu kandidieren, respektlos und fast misogyn | |
ignorierte, statt sie als politische Chance, als letzte Chance, zu | |
begreifen, verstört fast am allermeisten. | |
Anders als die Grünen hat die SPD das Potenzial, auch in gesellschaftlichen | |
Unterschichten Gehör zu finden. Dass sie das nicht mehr schafft, ist | |
schade, sehr schade. | |
12 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Bewerbung-fuer-SPD-Doppelspitze/!5611826 | |
[2] /Nach-Ruecktritt-von-Andrea-Nahles/!5599838 | |
[3] https://www.sueddeutsche.de/bildung/franziska-giffey-plagiat-1.4460317 | |
[4] /Sozialdemokraten-suchen-Vorsitzende/!5613884 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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