Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Palästinensischer Politiker über Nahost: „Ein-Staat-Lösung mit…
> Israel und die USA haben die Zweistaatenlösung in Nahost fallengelassen,
> kritisiert Mustafa Barghouti. Er warnt vor einem System der Segregation.
Bild: Unbeliebtes Duo Trump/Netanjahu: Protest gegen den US-Nahostplan vergange…
taz: Herr Barghouti, der US-Nahostbeauftragte Jared Kushner hat den
Palästinensern [1][50 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt]. Die
Reaktion: Proteste, brennende Autoreifen und brennende Bilder von Trump und
Netanjahu. Warum so destruktiv?
Mustafa Barghouti: Wir hören immer wieder, dass wir warten müssen, bis der
gesamte Plan (für Frieden in Nahost, Anm. d. Red.) bekannt ist, den das
Team von Herrn Trump ausarbeitet. Aber wir haben schon genug gesehen: die
Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und damit der Annexion des
besetzten Ost-Jerusalems, die Verlegung der US-Botschaft und die Aussagen
von US-Botschafter David Friedman, dass Israel das Recht habe, Teile der
Westbank zu annektieren.
Worauf läuft all das Ihrer Meinung nach hinaus?
Das Team von Herrn Trump hat die traditionelle US-Linie seit der Zeit von
Präsident Jimmy Carter verlassen. Es heißt sogar, die Palästinenser seien
unfähig, sich selbst zu regieren, und dass es keinen palästinensischen
Staat geben werde. Die USA verabschieden sich von der Zwei-Staaten-Lösung.
Was tritt an deren Stelle?
Wir steuern auf eine Ein-Staat-Lösung mit Apartheid zu. Das schließt die
weitere Annexion palästinensischer Gebiete ein.
Das Wort Apartheid ist in Bezug auf Israel und Palästina umstritten. Würden
Sie es bitte definieren?
Der Begriff bezieht sich auf verschiedene Aspekte: auf Segregation – etwa
durch Straßen in der Westbank, die exklusiv von Israelis genutzt werden
dürfen; auf den Wasserkonsum – Israel kontrolliert 85 Prozent der
Wasserressourcen der Westbank; sowie auf das Rechtssystem – es bestehen
zwei Rechtsordnungen für zwei Völker, die im selben Gebiet leben. Für einen
Siedler gilt das zivile israelische Recht, ein Palästinenser ist der
israelischen Militärgesetzgebung unterworfen.
Spätestens seit Donald Trumps Amtsantritt sind die Palästinenser in der
Defensive. Wo sehen Sie derzeit noch Handlungsoptionen?
Wir müssen weiter um unsere Freiheit kämpfen. Eine Mehrheit der Bevölkerung
will noch immer die Zwei-Staaten-Lösung, damit unsere Kinder nicht unter
Militärbesatzung aufwachsen. Wenn aber die Zwei-Staaten-Lösung
fallengelassen wird, dann haben wir nur eine Option: ein Staat und
Gleichheit für alle. Denn die Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung ist nicht
das Apartheidsystem.
Warum, meinen Sie, hat die israelische Seite die Zwei-Staaten-Lösung fallen
gelassen?
Nicht alle Israelis haben die Hoffnung verloren! Einige wissen, dass es
kein jüdisches und demokratisches Israel geben kann bei gleichzeitiger
Aufrechterhaltung der Besatzung. Aber die Siedlerbewegung und andere extrem
rassistische Kräfte wollen das gesamte Land. Sie sprechen uns das Recht ab,
in unserem Land zu leben.
Viele sehen den jüdischen Charakter Israels auch dadurch bedroht, dass die
Palästinenser auf das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge pochen.
Das Recht auf Rückkehr ist völkerrechtlich verbrieft und muss auch von
Israel anerkannt werden. Die Umsetzung muss ausgehandelt werden.
Würden denn tatsächlich viele der rund drei Millionen palästinensische
Flüchtlinge im Ausland nach Israel und in die palästinensischen Gebiete
zurückkehren?
Ich weiß es nicht. Das Gesetz sagt, dass jeder einzelne diese Option haben
muss. Momentan heißt es, die Palästinenser sollen ihr Recht auf Rückkehr
aufgeben. Aber selbst wenn sie das täten, würden sie keinen Staat bekommen.
Was ist das für eine Logik?
Das Recht auf Rückkehr fordert auch die BDS-Bewegung, die zum Boykott
Israels aufruft [2][und derzeit auch in Deutschland für Diskussionen
sorgt]. Wie stehen Sie zu BDS?
Wer BDS unterstützen möchte, hat das Recht dazu. Bei dem Thema sind viele
Falschinformationen im Spiel. Die Kampagne gegen BDS wird genutzt, um
Palästinenser generell zu delegitimieren und zu dehumanisieren. Man kann
BDS nicht mit Antisemitismus gleichsetzen …
… wie es der Deutsche Bundestag [3][in einem umstrittenen Beschluss] gegen
die BDS-Bewegung im Mai getan hat …
BDS ist eine gewaltfreie Bewegung, die sich weder gegen das jüdische noch
das israelische Volk richtet. BDS ist gegen die Politik der israelischen
Regierung. Im Bundestagsbeschluss sehe ich zwei Hauptprobleme: Erstens
ignoriert er das palästinensische Thema komplett und bekräftigt noch nicht
einmal die Position der Bundesregierung, die die Zwei-Staaten-Lösung
unterstützt und ein Ende der Besatzung fordert. Zweitens schränkt er die
Meinungsfreiheit ein.
Was fordern Sie von den Deutschen?
Bleiben Sie bei Ihrer Linie, dass Palästinenser ein Recht auf Staatlichkeit
und Unabhängigkeit haben! Unterstützen Sie weiter die Zivilgesellschaft!
Und eine Warnung: Der Druck, die arme Bevölkerung in der [4][C-Zone
(Gebiete der Westbank unter voller Kontrolle Israels, Anm. d. Red.)] nicht
mehr zu unterstützen, ist hoch. Der Plan von Trump und Netanjahu ist, diese
Gebiete praktisch zu säubern, sodass sie annektiert werden können. Das wäre
das endgültige Ende der Zwei-Staaten-Lösung, denn die C-Zone macht 60
Prozent der Westbank aus.
Sie sagten vorhin, Palästinenser würden delegitimiert und dehumanisiert.
Was meinen Sie damit genau?
Es wird das Bild vermittelt, als seien alle Palästinenser entweder
Terroristen oder Antisemiten. Ich habe mein Leben lang Gewaltfreiheit
vertreten. Nichts von meiner Kritik an Israel und am Apartheidsystem hat
jemals das Leiden des jüdischen Volks infrage gestellt – weder zu Zeiten
des Holocausts noch davor. Was wir beobachten, ist ein Angriff auf
gewaltfreie palästinensische Handlungen. Ziel dieser Attacken ist die
Zivilgesellschaft, die die Hoffnung auf eine künftige Demokratie in
Palästina verkörpert.
Von Demokratie sind die Palästinenser allerdings selbst weit entfernt. Was
fordern Sie von der Autonomieregierung in Ramallah?
Sie muss alles tun, um Einheit zu erreichen und die interne Spaltung zu
überwinden. Nur Demokratie und Einheit werden uns befähigen, unsere Sache
zu vertreten. Wir brauchen wieder Wahlen.
Würde dann nicht wieder die Hamas gewinnen?
2006 bekam die Hamas 44 Prozent der Stimmen. Heute würde sie vermutlich
nicht einmal 30 Prozent erreichen. In Neuwahlen würde keine Seite eine
absolute Mehrheit erzielen. Es gäbe die Fatah, die Hamas und ein drittes,
demokratisches Lager.
5 Jul 2019
## LINKS
[1] /Nahost-Konferenz-in-Bahrain/!5605057
[2] /Kommentar-BDS-Votum-im-Bundestag/!5596313
[3] /Bundestagsbeschluss-zu-Israel-Boykott/!5601030
[4] /25-Jahre-Osloer-Friedensabkommen/!5532631
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Israel
BDS-Movement
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Palästina
Antisemitismus
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Palästina
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Gaza
Israel
Gaza-Krieg
BDS-Movement
Mahmud Abbas
Schwerpunkt USA unter Trump
Jared Kushner
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Jared Kushner
Israel
Israel
BDS-Movement
BDS-Movement
## ARTIKEL ZUM THEMA
Israels Vorstoß gegen NGOs in Palästina: Auf Konfrontation mit Europa
Israel hat sechs bekannte palästinensische Menschenrechts-NGOs als
„terroristisch“ eingestuft. Der Schritt hat Auswirkungen bis nach Berlin.
Israel und die Palästinenser: Vergessene Apartheid
In Israel wird der Begriff Apartheid kontrovers diskutiert. Annexionspläne
der Regierung befeuern den Streit. Über die Geschichte einer Debatte.
Israel vor der Wahl: „Bibi“ im Annexionsmodus
Benjamin Netanjahu stößt mit seinem Plan, Teile der Westbank zu
annektieren, international auf Kritik. Doch was für ihn zählt, sind
Wählerstimmen.
Netanjahus Annexionsplan: Das Recht des Stärkeren
Israels Ministerpräsident setzt auf die Macht des Stärkeren. Die Annexion
des Jordantals wäre das endgültige Aus für eine Zweistaatenlösung.
Netanjahu droht mit Annexion: Bei Wahlsieg will er das Jordantal
Israels Ministerpräsident Netanjahu verkündet den Plan, das Staatsgebiet
auszuweiten, sollte er wiedergewählt werden. Die Kritiker melden sich
umgehend.
Terrorismus im Gazastreifen: Doppelanschlag auf Hamas-Polizei
Nach Explosionen hat die Hamas den Ausnahmezustand ausgerufen. Hinter der
Tat werden Radikale vermutet, denen die Islamisten-Führung zu liberal ist.
Nach Einreiseverbot für US-Abgeordnete: Familienbesuch erlaubt
Israel verweigerte zwei US-Abgeordneten die Einreise. Jetzt darf eine von
ihnen doch ins Land, um ihre Großmutter im Westjordanland zu besuchen.
Grenze zwischen Israel und Gaza: Vier bewaffnete Palästinenser getötet
Laut eigenen Angaben will Israels Armee „einen großen Anschlag“ verhindert
haben. Sie macht für den Zwischenfall Hamas verantwortlich.
Debatte um BDS: Es geht um 1948, nicht um 1967
Die BDS-Kampagne ist geschickt darin, ihr Ziel zu verbrämen: ein Staat, in
dem Juden in der Minderheit sein werden.
Verschärfung im Nahost-Konflikt: Abbas will Abkommen stoppen
Der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat damit gedroht, die seit 1993
mit Israel unterzeichneten Abkommen aussetzen.
Evangelikaler Extremismus: Trumps Gotteskrieger
Der amerikanische Präsident ist nicht sonderlich religiös. Doch seine
Außen- und Verteidigungspolitik wird von evangelikalen Fanatikern bestimmt.
Kommentar zum Manama-Gipfel: Neinsager Abbas
Der Plan der US-Sondergesandten Jared Kushner mag unausgegoren sein. Indem
Abbas ihn aber rigoros ablehnt, lässt er sein Volk leiden.
Nahost-Konferenz in Bahrain: Startschuss mit Dämpfer
Mit einer Investment-Konferenz wollen die USA den Grundstein legen für
Frieden in Nahost. Doch zwei Parteien fehlen: Israelis und Palästinenser.
Debatte Israel-Palästina: Trumps Schwiegersohn auf Irrwegen
Jared Kushner sieht in der Wirtschaftsförderung die Lösung für den
Nahost-Konflikt. Die politischen Knackpunkte ignoriert er.
Bundestagsbeschluss zu Israel-Boykott: 240 Akademiker gegen BDS-Votum
Namhafte israelische und jüdische Wissenschaftler werfen dem Bundestag vor,
sich im Kampf gegen BDS instrumentalisieren zu lassen.
Reaktionen auf BDS-Beschluss: Protestpost aus Palästina
Die palästinensische Zivilgesellschaft wendet sich gegen den BDS-Beschluss
des deutschen Bundestags. In der Westbank und Gaza kam es zu Protesten.
Jürgen Trittin zur Boykottbewegung BDS: „Ein Klima der Einschüchterung“
Laut Bundestag ist die Boykottbewegung BDS antisemitisch. Der Grüne Jürgen
Trittin sieht nun die Meinungsfreiheit in Gefahr.
Antrag zu BDS-Kampagne: Gemeinsam gegen Israel-Boykott
Union, SPD, FDP und Grüne wollen in seltener Einigkeit gegen den Boykott
Israels vorgehen. Ein gemeinsamer Antrag verurteilt die BDS-Kampagne.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.