| # taz.de -- Debatte um BDS: Es geht um 1948, nicht um 1967 | |
| > Die BDS-Kampagne ist geschickt darin, ihr Ziel zu verbrämen: ein Staat, | |
| > in dem Juden in der Minderheit sein werden. | |
| Bild: Der BDS-Bewegung geht es nicht um das Ende der Besetzungen – sondern um… | |
| Wo BDS in Erscheinung tritt, da weht ein Hauch des Totalitären. Einzelne | |
| Menschen und Institutionen werden von Aktivisten der Bewegung für „Boykott, | |
| Desinvestitionen, Sanktionen“ immer wieder gegängelt, genötigt und | |
| bedroht, weil sie mit israelischen Wissenschaftlern, Künstlern oder | |
| Sportlern kooperieren. | |
| Der gute Zweck rechtfertigt die Mittel. Denn der Gegner von BDS ist ein | |
| Dämon. Für ihre Denunziationskampagne gegen den Eurovision Song Contest | |
| in Israel etwa hatten BDS-Designer das Herz des offiziellen ESC-Logos für | |
| 2019 gespalten. Und zwar so, dass nun darin ein „SS“ in Runenschrift | |
| erschien, während das Wort „Eurovision“ von Stacheldraht umkränzt war. | |
| Einmal mehr stellte BDS somit den im sogenannten israelkritischen Umfeld | |
| häufig zu hörenden Vergleich zwischen Israel und den Nazis an, den schon | |
| Rudolf Augstein einst im Spiegel populär gemacht hatte. Er müsste jedem | |
| geschichtsbewussten Menschen die Schamesröte ins Gesicht treiben. | |
| Wenn sich linksliberale Sympathisanten der Bewegung für „Boykott, | |
| Desinvestitionen, Sanktionen“ äußern, ist man über die Ahnungslosigkeit | |
| verblüfft, die darüber zu herrschen scheint, was deren Ziele und Methoden | |
| sind. Seit dem 17. Mai ist man oft mit dieser im BDS-Umfeld häufig | |
| anzutreffenden Kombination von Radikalismus, Geschichtsvergessenheit und | |
| Ahnungslosigkeit konfrontiert. An diesem Tag hat der Bundestag einen | |
| gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem | |
| Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen… | |
| angenommen. Seitdem ist die Aufregung groß: Geht ja gar nicht, BDS mit | |
| Antisemitismus gleichzusetzen! | |
| Vor Kurzem war dazu [1][in der taz zu lesen], die Annahme liege nahe, dass | |
| die wahren Antisemiten jene Abgeordneten seien, die für den Antrag gestimmt | |
| hatten, und darüber hinaus alle, die ihn richtig finden. Diese, mit | |
| Verlaub, ziemlich freche Unterstellung wird mit der Behauptung „begründet“, | |
| dass BDS-Aktivisten und ihre Sympathisanten Vertreter eines humanistischen | |
| Universalismus seien, mithin Leuchten der Aufklärung. Sogenannte | |
| „Israelfreunde“ und BDS-Kritiker neigten hingegen „ethnischen Denkweisen�… | |
| zu. Statt sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen, werden Leute, die | |
| BDS kritisieren, also mal eben zu antisemitischen Kryptofaschisten erklärt. | |
| Man kann es sich auch ganz einfach machen. | |
| ## BDS brandmarkt einzelne Menschen als Feinde | |
| Die Resolution des Bundestags trage noch andere antisemitische Züge, hieß | |
| es weiter. Sie übergehe Juden, „die für Gerechtigkeit im Nahen Osten | |
| kämpfen“. Noch schlimmer: deutsche Nichtjuden erklärten mittels der | |
| Bundestagsresolution Juden zu Antisemiten. Antisemitismus ist dieser Lesart | |
| zufolge also, wenn jemand darauf hinweist, dass jüdische Aktivisten und | |
| Intellektuelle, die BDS unterstützen, damit eine Bewegung unterstützen, die | |
| sich immer wieder antisemitisch äußert und den jüdischen Staat abschaffen | |
| will. | |
| Abgesehen davon, dass man diese Definition von Antisemitismus nur so albern | |
| wie gefährlich finden kann: Stimmt das überhaupt? Hat der Bundestag | |
| beschlossen, dass jede Menschenrechtsaktivistin, jüdisch oder nicht, die | |
| BDS unterstützt, in Zukunft als Antisemitin gilt? Ist es richtig, [2][wie | |
| an anderer Stelle in der taz zu lesen war], dass jeder, der BDS | |
| „nahesteht“, seit dem Bundestagsbeschluss „mithin ein amtlicher Antisemit… | |
| ist? | |
| Psychoanalytisch gesprochen, können wir hier einer amtlichen Projektion bei | |
| der Arbeit zusehen. Der Bundestag hat mit [3][seinem Beschluss] eine | |
| politische Einschätzung von Ideologie und Praxis einer Bewegung | |
| vorgenommen. Er leitet daraus politisches Handeln ab: Wer BDS aktiv | |
| unterstützt, soll kein staatliches Geld mehr bekommen. Fair enough. Die | |
| Aktivisten des BDS hingegen greifen seit je in unseliger stalinistischer | |
| Tradition einzelne Menschen heraus, um sie als Feinde der Menschheit zu | |
| brandmarken, weil sie anderer Meinung oder auch nur israelische | |
| Staatsbürger sind. Etwa israelische Musiker, die auf einem Popfestival in | |
| Berlin spielen, weil die israelische Botschaft ihnen das Flugticket bezahlt | |
| hat. | |
| Weiter hieß es, die BDS-Bewegung sei eine „gewaltlos agierende Gruppe von | |
| jüdischen, muslimischen und anderen Menschen, die die Beendigung der | |
| Besetzung und die volle Gleichberechtigung der arabischen Bürger Israels | |
| zum Ziel hat“. Das ist im entscheidenden Punkt schlicht und ergreifend | |
| falsch. Man muss sich nur das Gründungsdokument der Bewegung ansehen, um zu | |
| verstehen, dass BDS gerade nicht „auf die Beendigung der Besetzung“ zielt, | |
| womit im üblichen Sprachgebrauch die nach dem Sechstagekrieg von 1967 | |
| erfolgte Besetzung der Gebiete jenseits der Staatsgrenze von Israel gemeint | |
| ist. | |
| ## BDS will keine Zweistaatenlösung | |
| Wenn dem so wäre, wenn es BDS also um die nach 1967 besetzten Gebiete | |
| ginge, hätten – außer der rechten israelischen Regierung und ihren | |
| Unterstützern – wohl nur wenige etwas gegen die Ziele dieser Bewegung | |
| einzuwenden. Es ist Common Sense und seit je Grundlage unter anderem der | |
| deutschen Außenpolitik, dass die Palästinenser ein Recht auf | |
| Selbstbestimmung haben. Es gibt kaum jemanden, der nicht fordert, dass die | |
| Besetzung und die israelische Kontrolle über die Gebiete jenseits der | |
| israelischen Staatsgrenze, die nebenbei bemerkt das Ergebnis eines Kriegs | |
| im Jahr 1967 sind, der mit dem Aufmarsch ägyptischer Panzer auf dem Sinai | |
| begann, möglichst schnell ein Ende haben müssen. | |
| Aber der BDS-Bewegung geht es nicht um das Ende der Besetzung dieser | |
| Gebiete. Sie will keine Zweistaatenlösung. BDS will das ganze Land. Die | |
| Gründung eines jüdischen Staats im Jahr 1948 ist die | |
| „Menschenrechtsverletzung“, die BDS beseitigen will. Eine der Forderungen | |
| im Gründungsdokument von BDS, in dem „Aufruf vom 9. Juli 2005“, wie er von | |
| der deutschen BDS-Kampagne zitiert wird, lautet entsprechend, die | |
| „Besetzung und Kolonisierung arabischen Lands“ sei zu beenden. Dort ist | |
| nicht die Rede von der „Besetzung und Kolonisierung arabischen Lands seit | |
| Juni 1967 einschließlich Ost-Jerusalems“, wie dieser Aufruf der | |
| palästinensischen Zivilgesellschaft auf Wikipedia zitiert wird. | |
| Des Weiteren wird, und das ist der entscheidende Punkt, ein | |
| uneingeschränktes Rückkehrrecht der arabischen Flüchtlinge und aller ihrer | |
| Nachkommen in das völkerrechtlich völlig unumstrittene israelische | |
| Staatsgebiet von 1948 gefordert, was rein demografisch das Ende eines | |
| jüdischen Staats bedeuten würde. | |
| Als palästinensische Flüchtlinge werden von den Vereinten Nationen – und | |
| das ist beispiellos – nicht nur jene 700.000 Menschen bezeichnet, die im | |
| Zuge des Unabhängigkeitskriegs vertrieben wurden, was in der Tat ein | |
| historisches Unrecht darstellt, sondern auch ihre Kinder und | |
| Kindeskinder. Deswegen zählen die UN heute über 5 Millionen | |
| palästinensische „Flüchtlinge“. | |
| ## Ablenkung vom Ziel der BDS-Bewegung | |
| Insofern verkennt die israelische Soziologin Eva Illouz die Ziele von BDS, | |
| wenn sie erklärt, es handle sich um die „verwirrte Ideologie von Menschen“, | |
| die „im Namen der Menschenrechte nicht mehr zwischen Israel und den | |
| besetzten Gebieten unterscheiden können“. Diese „Verwirrung“ ist kein | |
| individuelles Problem von Leuten, die sich nicht so gut auskennen mit den | |
| Feinheiten des Nahostkonflikts, was sie ohnehin daran hindern sollte, | |
| politische Forderungen zu seiner „Lösung“ aufzustellen. Die Verwirrung ist | |
| gewollt. Sie dient dazu, Linksliberale, die sich nicht die Mühe machen, | |
| genau hinzuschauen, auf ihre Seite zu ziehen. | |
| Vor Kurzem habe ich ein Gespräch mit einem israelischen Refusenik geführt, | |
| der mehrere Jahre im militärischen Arrest saß, weil er sich geweigert hat, | |
| in einer Besatzungsarmee zu dienen. Er wollte gleich von mir wissen, was in | |
| Deutschland schon wieder los sei, und regte sich über folgende Einschätzung | |
| des Bundestags auf: „Die Argumentationsmuster und Methoden der | |
| BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ | |
| Dieser Satz stellt in der Tat ein Problem dar. Wegen der Pauschalität des | |
| Urteils und der daraus resultierenden politischen Folgen. Zum einen werden | |
| sich jene auf diesen Satz berufen, die an einer Debatte mit Kritikern der | |
| Besetzung kein Interesse haben. Zum anderen wurde damit das Tor für die | |
| Propagandisten von BDS geöffnet: Sie können die Öffentlichkeit nun in | |
| scholastische Debatten darüber verwickeln, wer wann und wo wen einen | |
| Antisemiten nennen darf – damit wir nicht mehr darüber sprechen, was das | |
| Ziel von BDS ist: das Ende des jüdischen Staats. | |
| Dieses Ziel bezweifelte auch der linke jüdische Refusenik in unserem | |
| Gespräch nicht. Nachdem er sich eine halbe Stunde lang über den | |
| Bundestagsbeschluss echauffiert hatte, gab er zu, dass es BDS nicht um | |
| 1967, sondern um 1948 geht. Er sagte weiter, dass die politischen | |
| Bewegungen der Palästinenser ein Antisemitismusproblem hätten, dessen sich | |
| emanzipatorisch gesinnte Aktivisten, egal ob jüdisch, christlich, | |
| muslimisch oder atheistisch, auch zunehmend bewusst seien. Und nebenbei | |
| bemerkt könne er verstehen, warum linke britische Juden nicht mehr Jeremy | |
| Corbyns Labour wählen, in deren antiimperialistischem Umfeld BDS unter | |
| anderem einst entstanden ist. | |
| ## Der Bundestag hat die richtige Antwort gegeben | |
| Wesentliche Forderungen von BDS fallen, indem sie mit zweierlei Maß messen, | |
| Israel dämonisieren und delegitimisieren, daher unter die weithin | |
| anerkannte Definition eines antisemitischen Antizionismus. BDS spricht | |
| Juden das Recht auf politische Selbstbestimmung ab. Es soll keinen | |
| jüdischen Staat mehr geben. | |
| Auf dieses Ziel der Bewegung und ihre Taktiken von Verwirrung, Boykott und | |
| Nötigung hat der Bundestag eine politisch richtige Antwort gegeben: „Wer | |
| Menschen wegen ihrer jüdischen Identität diffamiert, ihre Freizügigkeit | |
| einschränken will, das Existenzrecht des jüdischen und demokratischen | |
| Staates Israel oder Israels Recht auf seine Landesverteidigung in Frage | |
| stellt, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.“ | |
| 9 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Essay-BDS-Resolution-im-Bundestag/!5606688 | |
| [2] /BDS-Tweet-des-Juedischen-Museums-Berlin/!5600322 | |
| [3] /Antrag-zu-BDS-Kampagne/!5595802 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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