# taz.de -- Essay BDS-Resolution im Bundestag: Kann man nicht machen | |
> Israel wegen seiner Palästinapolitik boykottieren – der Gedanke leuchtet | |
> mir ein. Warum ich als Deutsche trotzdem nicht mitmachen kann. | |
Bild: Friedlicher Boykott-Aufruf. Doch kann man sich als Deutsche_r mit der Kam… | |
Für mich ist BDS wie Veganismus. So antworte ich immer meinen BDS-Freunden, | |
die den Boykott israelischer Produkte propagieren. Ich glaube an das | |
Prinzip. Daran, dass man die Israelis wegen ihrer Palästinapolitik unter | |
Druck setzen sollte, ebenso wie man keine Tierprodukte essen sollte, um das | |
System der Massentierhaltung nicht zu stützen. | |
In Deutschland redet die Bewegung [1][„Boykott, Divestment, Sanktionen“] | |
nur vom Boykott israelischer Siedlungsprodukte, wie Wein oder der | |
Ahava-Kosmetik, oder von Divestment, wie als sie den norwegischen | |
Pensionsfonds 2012 dazu brachte, seine Gelder aus dem Siedlungsbau | |
zurückzuziehen. Aber ob alle oder einzelne israelische Produkte – ich habe | |
nicht die Disziplin: Als Frau eines jüdischen Israelis, als Mutter einer | |
halben Israelin, als Teil einer großen israelischen Mischpoke in Haifa, | |
Hebräischsprecherin, eine, die zeitweilig in Israel lebte und lernte und | |
arbeitete, komme ich einfach nicht umhin, israelische Kultur oder Produkte | |
zu konsumieren. Die BDS-Freunde lächeln dann. | |
Sie lächeln verständnisvoll und weil ich Solidarität mit ihrer Arbeit | |
bekunde. Die meist jüdischen Israelis im deutschen Exil lächeln aber auch | |
über das Ausweichmanöver. Sie fragen nicht mehr, weil sie wissen, was nun | |
kommt: Ich bin Deutsche. Und, ja, meiner Meinung nach geht so was nicht in | |
Deutschland. Die Tatsache, dass BDS nun bis hoch zum Bundestag als | |
antisemitisch eingestuft wird, ist Teil des Ganzen. Eine gewaltlos | |
agierende Gruppe von jüdischen, muslimischen und anderen Menschen, die die | |
Beendigung der Besetzung und die volle Gleichberechtigung der arabischen | |
Bürger Israels zum Ziel hat, wird als rassistisch abgestempelt und aus dem | |
Diskurs verdrängt. Das zeigt, wie tief die Verflechtungen zwischen | |
Deutschland und Israel gehen. | |
Damit ist nicht das übliche Diktum gemeint, dass aufgrund des Holocaust die | |
Deutschen immer gut sein müssen mit Israel. Mein eigentlicher Grund lässt | |
sich nicht so schnittig wie das mit dem Veganismus kommunizieren: Ohne den | |
Holocaust gäbe es das Israel nicht in der diskriminierenden und militanten | |
Form, wie es heute existiert. Sprich, wir besitzen als Deutsche nicht die | |
neutrale, allgemein menschliche Position, die BDS-Leute in Amerika oder | |
Großbritannien einnehmen. | |
## Unverhältnismäßigkeit überall | |
Je mehr ich mit Israel zu tun habe, umso tiefer schmerzt mich die Situation | |
der Palästinenser. Anfang Mai kam ich wegen ein paar familiärer Festtage | |
erneut nach Israel, um gleich am zweiten Tag den Jom Hasikaron, den Tag der | |
Erinnerung an die gefallenen israelischen Soldaten, zu erleben. Alle | |
Fernsehsender erzählten herzzerreißende Geschichten von Familien, die | |
Angehörige in den verschiedenen Kriegen verloren haben. Es wurde viel | |
geweint, die Lücke, die die Toten hinterließen, ist unauffüllbar. Und doch, | |
niemand erwähnte in diesen Sendungen, dass dieser Schmerz auch auf der | |
Seite der Palästinenser stattfindet. Dass dort sogar fünf- bis zehnmal so | |
viele Menschen infolge des Konflikts, infolge der Besetzung gestorben sind. | |
Kann es wegen der Unverhältnismäßigkeit der Zahl der Verstorbenen nicht | |
mehr erwähnt werden? | |
Die Unverhältnismäßigkeit findet sich allerdings überall. Die Ausbeutung | |
der Palästinenser in den besetzten Gebieten als billige Arbeitskräfte, die | |
Mauer, die Checkpoints … Und all das ist schon jahrzehntealt. Das Wort | |
„Apartheid“, das BDS verwendet, finde ich etwas ungenau, weil ander als im | |
ehemaligen Südafrika auch Palästinenser mit israelischem Pass zumindest | |
formal gleiche Rechte genießen und auch einige von ihnen in der | |
Mittelklasse angekommen sind. Aber es ist auch kein ganz falsches Wort, da | |
die Palästinenser unter der israelischen Besetzung diese Rechte nicht | |
genießen. | |
Die Massadastraße in Haifa ist einer der letzten Orte in Israel, wo | |
israelische und palästinensische Menschen noch zusammen in Cafés sitzen. | |
Und wenn beispielsweise ein bekannter Sänger sein Konzert kurzfristig | |
absagt, können hier die Tischnachbarn einander in die Augen schauen. Gerade | |
wurden die Israelis, die sich schon Karten gekauft haben, mal erinnert, | |
dass etwas mit ihrer Politik nicht gut läuft. Nur ich als Deutsche lande | |
mit meinem Blick auf einem der Bauhaus-Gebäude, der deutschen | |
Architekturimplantate in der alten Straße, die mich an die unzähligen | |
deutsch-israelischen Verflechtungen erinnern und bei dem Thema immer | |
verstummen lassen. Ich habe weder bei der BDS-Aktion mitgeholfen, noch | |
sonst etwas getan, damit hier etwas besser wird. | |
Dabei habe ich keine Angst vor dem Antisemitismusvorwurf, der über die | |
Resolution im Bundestag offiziell geworden ist. Wer wie ich zwischen | |
israelischen, deutschen und palästinensischen Welten hin und her reist, | |
weiß, dass diejenigen, die sich dieser Resolution angeschlossen haben, | |
weitaus stärker verdächtig sind, antisemitisch zu sein. Natürlich findet | |
man auch in der BDS-Bewegung Antisemiten. Aber nicht nur die Studie der | |
Psychologen Wilhelm Kempf und Rolf Verleger von 2015 hat belegt, dass sich | |
unter sogenannten Palästinafreunden weniger antisemitische Einstellungen | |
finden als unter der sogenannten Gruppe der Israelfreunde. Die | |
Palästinafreunde denken eher universalistisch, alle Menschen | |
gleichstellend, sie haben ein besseres Wissen über den Nahostkonflikt. | |
Mitunter finden sich jedoch Positionen, die Israel oder Juden primär als | |
böse stilisieren. | |
## Antisemitische Töne in der AfD | |
Die eher ethnischen Denkweisen der Israelfreunde übertragen sich dagegen | |
auf die von ihnen positiv besetzten jüdischen Gruppen. Allgemein bekannt | |
sind die verschiedenen philosemitischen Positionen, die die jüdische Kultur | |
über alles stellen und nicht merken, wie sie die Juden als klug, | |
talentiert, gut im Geschäft und aufstrebend wahrnehmen – ganz wie in den | |
„Protokollen der Weisen von Zion“. Das krasseste aktuelle Beispiel ist die | |
AfD, die die Resolution sogar noch um ein [2][generelles Verbot von BDS] | |
erweitern wollte. Immer wieder werden in der AfD antisemitische Töne laut. | |
Und doch unterstützen sie Israel, und das nicht nur, weil sie so ihre | |
antimuslimischen Ressentiments ausleben können. Dass Juden in Israel, also | |
außerhalb Deutschlands, leben, passt sehr wohl in ein antisemitisches | |
Weltbild. Es liegt also nahe, dass die Antisemitismus-Resolution des | |
Bundestages, der Antisemitismusvorwurf, mehr für einen Antisemitismus bei | |
den Bezeichnenden spricht und weniger bei den Bezeichneten, den BDS-Leuten. | |
Die jetzige [3][Resolution des Bundestags] hat noch weitere antisemitische | |
Züge. Sie übergeht diejenigen Juden, die für Gerechtigkeit im Nahen Osten | |
kämpfen. Weder die Petition der jüdischen Wissenschaftler aus Israel gegen | |
die Bundestagsresolution noch der Protestbrief von | |
Menschenrechtsorganisationen wie B’Tselem fand Gehör. Die Resolution | |
diskriminiert zudem linke, intellektuelle, in Deutschland lebende Juden, | |
die von größtenteils nichtjüdischen Deutschen für antisemitisch erklärt | |
werden, bloß weil sie nicht so reden und denken, wie es die Deutschen gerne | |
hätten. | |
Aber es ist weder die Angst vor Antisemitismus noch Mangel an Disziplin, | |
was mich zurückhält. Der Aktivismus von BDS geht einfach an dem historisch | |
schwer erarbeiteten deutschen Diskurs einer Verantwortung vorbei, der | |
beispielsweise ein erneutes „Kauf nicht beim Juden“ vermeiden muss. Klar, | |
die BDS-Freunde sagen jetzt: Unser Konzept ist viel besser als das damalige | |
für Südafrika. Zwar gilt der Boykott allen israelischen Waren, aber in | |
Deutschland reden wir nur von den Siedlungsprodukten. Wir boykottieren | |
zudem nichtisraelische Firmen wie HP oder Puma, die ebenfalls von der | |
Besetzung profitieren, oder israelische Institutionen, aber nicht einzelne | |
Wissenschaftler oder Künstler. Also der Vorwurf der Gruppendiskriminierung | |
oder gar des Antisemitismus wäre hiermit schon entkräftet. | |
Allerdings gehört zu meinem historisch formulierten Satz auch, dass wir | |
nichtjüdischen Deutschen mit der Diskriminierung angefangen haben. Dass nun | |
genau die von uns einst diskriminierte Bevölkerungsgruppe diskriminierend | |
gegenüber anderen agiert; sowie dass die eine Diskriminierung nicht ganz | |
unabhängig von der anderen auftritt. Hier in Deutschland an der Frankfurter | |
Schule haben einst Adorno und Horkheimer die Erfahrungen von Unterdrückung | |
und deren Folgewirkung auf andere Gruppen ausreichend erklärt. Das heißt | |
wiederum nicht, dass das, was die Palästinenser erleben, auch nur annähernd | |
so furchtbar ist wie der Holocaust. Davon sind die Israelis weit entfernt, | |
und das ist gut so. | |
## Mitschuld am Nahostkonflikt | |
Aber so oder so, wir tragen eine Mitschuld am Nahostkonflikt. Ohne den | |
Holocaust hätte es eine langsamere, gerechtere Entwicklung des Staates | |
Israel gegeben, wie sie selbst dem ideologischen Gründer Theodor Herzl | |
vorschwebte. Wahrscheinlich würde selbst Herzl das Rückkehrrecht für | |
Palästinenser zusammen mit dem Recht für jüdische Einwandung unterschreiben | |
– ohne dass er das wie einige BDS-Kritiker als ein Kratzen am Existenzrecht | |
des Staates Israel verstünde. | |
Und so muss ich auf der jüdisch-arabischen Massadastraße sitzen und daran | |
denken, dass vor der Gründung Israels, vor dem Holocaust, der Großvater | |
meines Mannes hier ebenfalls wandelte. Er war als jüdischer Einwanderer aus | |
dem Iran freundlich akzeptiert, sprach Arabisch, studierte und handelte und | |
machte als gehobener Mittelständler Ausflüge nach Beirut oder Damaskus. In | |
Aleppo traf er eine arabische Jüdin, die er in Haifa heiratete. Er lebte | |
und liebte in der Stadt bis die Holocaustflüchtlinge kamen, später die | |
Holocaustüberlebenden, unsägliche Traumata und entsprechende Ängste, da war | |
es vorbei mit dem einstigen kosmopolitischen palästinensischen Haifa … | |
Israel hätte ohne die deutsche Erfahrung, die deutschen Verbrechen ein | |
anderes Gesicht. Und deshalb haben wir als Täter nicht das Recht, dem | |
Misshandelten zu sagen, dass er Unrecht verübt – zumindest nicht aus einer | |
universalistischen, sogenannten neutralen internationalen Position heraus, | |
wie sie BDS einnimmt. | |
Nein, BDS geht nicht in Deutschland. Allen, die sich dafür engagieren, kann | |
ich nur sagen: Ihr habt recht, aber: In Deutschland brauchen wir eine | |
kompliziertere Kritik an Israels Palästinapolitik, die gleichzeitig die | |
Deutschen in die Mitverantwortung nimmt. | |
14 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Charlotte Misselwitz | |
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