# taz.de -- Kommentar Jüdisches Museum: Warum ich als Guide gekündigt habe | |
> Dass Museumsdirektor Peter Schäfer zum Rücktritt gezwungen wurde, hat mir | |
> gezeigt: Das Jüdische Museum ist nicht mehr unabhängig. | |
Bild: Im gläsernen Hof des Jüdischen Museums wechseln Licht und Schatten, im … | |
Am vergangenen Montag, nach Hunderten Führungen für Gruppen aus Deutschland | |
und der ganzen Welt, habe ich meinen Vertrag als Tourguide im Jüdischen | |
Museum Berlin gekündigt, um gegen die Einmischung der deutschen und der | |
israelischen Regierung zu protestieren. | |
Der erzwungene Rücktritt des Museumsdirektors Peter Schäfer, einem der | |
führenden Judaisten der Welt, als Konsequenz einer aggressiven Kampagne, | |
machte deutlich, dass die Bundesregierung nicht mehr daran interessiert | |
ist, die künstlerische und wissenschaftliche Autonomie des Museums zu | |
schützen. Und ich bin nicht daran interessiert, in einer Institution zu | |
arbeiten, die ihre Unabhängigkeit aufgibt, um vornehmlich den politischen | |
Interessen der einen oder anderen Regierung zu dienen. | |
Von Anfang an stellte mich die Arbeit als jüdischer Tourguide in einem | |
Museum, in dem die Mehrheit der Mitarbeiter und der Besucher nicht jüdisch | |
ist, vor persönliche, politische und pädagogische Herausforderungen. | |
Tatsächlich werden seit Eröffnung des Museums 2001 immer wieder Fragen über | |
Repräsentation gestellt. | |
Darf ein Museum der Bundesregierung sich jüdisch nennen, ohne unter der | |
Kontrolle der offiziellen jüdischen Gemeinde zu stehen (die selbst nur | |
einen Teil der Juden in Deutschland vertritt)? Liegt es in der | |
Verantwortung des Jüdischen Museums, in Ermangelung einer ähnlichen | |
Einrichtung für die hiesige muslimische Gemeinschaft, Raum für die | |
Perspektiven von Einwanderern und ihrer Nachkommen zu bieten, von denen | |
viele neben dem Museum wohnen, und einen jüdisch-muslimischen Dialog zu | |
führen? Ist das Museum ein Forum, in dem unterschiedliche Meinungen in der | |
jüdischen Welt, auch bezüglich Israel, gehört werden sollen? | |
## Frage nach der Repräsentation von Juden | |
Die Antwort der jüdischen Gemeinde, von Israels Botschafter und einigen | |
rechtsgerichteten Journalisten, die seit Jahren mit giftigen und falschen | |
Behauptungen das Museum attackieren, scheint ein klares Nein zu sein. | |
Weil in dem Museum vor allem Nicht-Juden arbeiten, so suggeriert ein großer | |
Teil der Kritik, wird der Institution das Recht auf gesellschaftliche | |
Interventionen genommen, falls sie mit den politischen Präferenzen der | |
Gemeindevertreter nicht in Einklang stehen. Diese Position erreichte eine | |
absurde Dimension, als Josef Schuster, der Vertreter einer Gemeinde, in der | |
viele Mitglieder nach der orthodoxen Halacha nicht als jüdisch gelten | |
würden, am Recht des Museums zweifelte, sich als jüdisch zu bezeichnen. | |
Die berechtigte Kritik an der mangelnden Vertretung von Juden in | |
prominenten Positionen in Deutschland sollte jedoch nicht ablenken, weil | |
diese ausschließlich geäußert wird, wenn Nicht-Juden es wagen, selbst die | |
weichste Form von Unmut gegen die Politik der israelischen Regierung zu | |
äußern. | |
Den Beweis dafür lieferte die Gemeinde, als sie die jüngste Ernennung von | |
zehn Antisemitismusbeauftragten in verschiedenen Bundesländern begrüßte, | |
obwohl keiner von ihnen selbst jüdisch ist. Was diese neuen Kommissare | |
jedoch eint, ist ihre Position, dass scharfe Kritik an die | |
Besatzungspolitik und am ethno-religiösen Charakter des Staates Israel als | |
Ausdruck von Antisemitismus in Betracht gezogen werden sollte. | |
## Antisemitismusvorwürfe führen zu Zensur | |
Es überrascht daher nicht, dass besonders die AfD-Abgeordnete Beatrix von | |
Storch die Kampagne gegen das Museum im vergangenen Jahr mithilfe von | |
parlamentarischen Anfragen anführte. Darüber konnte man sogar auf Hebräisch | |
in wohlwollenden Artikeln in der regierungsnahen Zeitung Israel Hayom | |
lesen. Trotz der Behauptung der israelischen Botschaft, mit Vertretern der | |
AfD nicht in Verbindung zu stehen, verbindet beide die tiefe Ablehnung | |
eines auf Gleichberechtigung basierenden Diskurses und die Gleichsetzung | |
der Interessen der israelischen Regierung und den jüdischen Gemeinden auf | |
der ganzen Welt. | |
Bereits im vergangenen Jahr wurde ein Vortrag über die Situation von | |
LGBT-Palästinensern in Ost-Jerusalem, der im Rahmen der Ausstellung über | |
Jerusalem und seine Bedeutung für die drei Religionen stattfinden sollte, | |
abgesagt, nur weil, Gott bewahre, der eingeladene Redner als | |
BDS-Unterstützer dem israelischen Botschafter verdächtig war. | |
Antisemitismusvorwürfe, die in Deutschland viel schwerer als in anderen | |
Ländern wiegen, führen, vor allem wenn sie „israelbezogen“ sind, zunehmend | |
zu Zensur und Selbstzensur. Deutsche Kultureinrichtungen stehen unter | |
enormen Druck, wenn sie es wagen, Künstler oder Musiker einzuladen, die | |
jemals Unterstützung für gewaltfreien Protest gegen die israelische | |
Besatzung ausgedrückt haben. | |
Die gleiche Politik der Einschüchterung der berüchtigten israelischen | |
Kulturministerin Miri Regev wird von Israel-Anhängern nach Deutschland | |
importiert – hierzulande findet man angesichts der tiefen Identifikation | |
mit dem israelischen Staat als Folge des Holocausts allerdings nicht nur | |
rechtspopulistische Politiker wie in Israel, die mit Begeisterung kritische | |
Stimmen zum Schweigen bringen möchten, sondern auch Liberale und Linke. | |
Der Aufstieg der extremen Rechten in der ganzen Welt fußt weitgehend auf | |
der Einschränkung von demokratischen Räumen und der Einschüchterung und | |
Bestrafung von Menschen, die es wagen, solch nationalistischer und | |
abschottender Politik entgegenzutreten. Aktivitäten des israelischen | |
Außenministeriums und des Ministeriums für strategische Angelegenheiten in | |
enger Zusammenarbeit mit rechten und jüdischen Organisationen im Ausland | |
(wie zuletzt in israelischen Medien berichtet wurde) diskreditieren und | |
verunglimpfen jeden, der sich weigert, bei ihrer Hetzkampagne gegen | |
Verteidiger von Menschenrechten mitzumachen. | |
## Paranoide Säuberungsversuche | |
Diese Politik führte nun zum erzwungenen Rücktritt eines viel gelobten | |
Wissenschaftlers, nur weil er das Recht seiner israelischen und jüdischen | |
Kollegen verteidigte, sich der Gleichsetzung der Boykottbewegung mit | |
Antisemitismus zu widersetzen. | |
Gegen diese paranoiden Säuberungsversuche, die an die Zeiten des | |
McCarthyismus in den USA erinnern, muss man eine öffentliche und deutliche | |
Haltung einnehmen. Wenn die Geschichte des Rücktritts von Peter Schäfer | |
eine Moral hat, dann die, dass auch eine lebenslange Gegnerschaft zum | |
Antisemitismus und eine tiefe Nähe zu Israel keinen mehr davor schützt, | |
selbst zu einem Feind des jüdischen Volkes gemacht zu werden, falls er oder | |
sie öffentlich die antidemokratische Politik von Netanjahu kritisiert. | |
Wenn die deutsche und die israelische Regierung an einem Jüdischen Museum | |
interessiert sind, das nur ihre engen Interessen vertritt und die | |
Meinungsfreiheit beschränkt, möchte ich nicht daran teilnehmen. Deshalb | |
habe ich trotz meiner großen Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern des | |
Museums meinen Vertrag gekündigt. | |
Ich und viele andere Juden meiner Generation auf der ganzen Welt brauchen | |
und wollen keine Koscher-Bescheinigung von Israel, den Gemeindefunktionären | |
und schon gar nicht von der deutschen Regierung. Das Judentum als | |
pluralistische und demokratische Weltkultur wird auch nach dem Verschwinden | |
der rassistischen und nationalistischen Politik, die viele Institutionen | |
der Gemeinschaft übernommen hat, fortbestehen. | |
Yossi Bartal lebt als Autor und Übersetzer in Berlin. Er engagiert sich | |
unter anderem bei der „Jüdischen Stimme“. [1][Sein Artikel] erschien zuerst | |
in der israelischen Tageszeitung Haaretz. | |
30 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.haaretz.com/opinion/why-i-resigned-from-berlin-s-jewish-museum-… | |
## AUTOREN | |
Yossi Bartal | |
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