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# taz.de -- Streit ums Jüdische Museum: Solidarität aus falschen Motiven
> Kritik an der Bewegung BDS ist gut und richtig. Gleichzeitig muss es
> möglich sein, antimuslimischen Rassismus zu kritisieren.
Bild: Islamfeindlichkeit ist ein verbreitetes Problem
Viele meiner Berliner Freund*innen glauben, dass sich das gesamte Universum
um Berlin dreht. Hingegen fällt es mir immer schwerer, meinen israelischen
Freund*innen zu erklären, was gerade die Gemüter in Berlin bewegt. Etwa,
dass ausgerechnet das dortige Jüdische Museum gerade verdächtig wird, das
neue Zentrum des politischen Islams zu sein. Von der breiten Öffentlichkeit
eher unbemerkt, tobt derzeit ein lebhafter publizistischer Kampf um das
Museum.
Aktueller Kulminationspunkt ist ein Artikel von [1][Thomas Thiel in der
FAZ]. Thiel, der sonst eher als Generalist auftritt, erzählt einen
aufregenden Agententhriller aus dem behäbig auftretenden Museum: Unter der
Leitung der Historikerin Yasemin Shooman sei die Akademie des Museums
letztlich zu einer Außenstelle der Israelboykott-Bewegung BDS geworden.
Thiel suggeriert überdies einen Zusammenhang mit anderen, durchaus
unschönen Vorgängen, die sich in den letzten Jahren unter wechselnder
Verantwortung im Jüdischen Museum abspielten. Eine missglückte Ausstellung
zu Jerusalem, fragwürdige Einladungen iranischer Politiker und ein
eigenartiger Tweet.
Nimmt man Thiels Darstellung ernst, ist all dies kein Zufall oder das
Ergebnis einer auch bewusst die Kontroverse zulassenden
Veranstaltungspolitik, sondern letztlich auf das Handeln einer einzelnen
Frau zurückzuführen. Sie wird dargestellt als eine islamistische
Geheimagentin, deren Ziel die Diskreditierung Israels und das Vorantreiben
islamischer Themen gewesen sei. Ihren Manipulationskünsten sei der
inzwischen ausgeschiedene Direktor Peter Schäfer machtlos erlegen.
## BDS funktioniert als billiges Ventil für Judenhass
Die betroffene Wissenschaftlerin Yasemin Shooman hat sich selbst Ende
Januar im [2][Tagesspiegel] zu Wort gemeldet. Unterstützung erhielt sie
zudem von Wissenschaftlern wie Micha Brumlik und dem Schriftsteller Max
Czollek. Thiels Artikel hingegen fand breite Zustimmung bei einer Reihe
recht boulevardesker Autoren, an deren Ende sich auch noch Thilo Sarrazin
zu Wort meldete.
Dass die Kritik an der im Kern antisemitisch motivierten BDS-Bewegung nötig
ist, darüber besteht inzwischen erfreuliche Übereinstimmung. Die
Dämonisierung Israels und das Messen seiner Politik an Doppelstandards, das
Verantwortlichmachen von Jüdinnnen und Juden in aller Welt an der Politik
Jerusalems, nicht zuletzt der Abbruch aller Friedensprojekte unter
Inkaufnahme gravierender Nachteile für die Palästinenser*innen, für die man
sich vorgeblich einsetzt:
All das zeigt, dass die BDS-Bewegung im Wesentlichen nur als billiges
Ventil für Judenhass funktioniert. Ich selbst habe das immer wieder, gerade
auch und ausgerechnet im Rahmen von Friedensprojekten, erlebt. In Israel
habe ich mich in mehreren israelisch-palästinensischen Dialogforen
engagiert. Allesamt wurden sie letztendlich von BDS-Aktivist*innen
sabotiert und verunmöglicht.
Die an den Projekten beteiligten palästinensischen Freund*innen mussten den
höchsten Preis für ihr Engagement bezahlen: Sie waren anschließend nicht
nur Repressionen ausgesetzt, sondern mussten bisweilen buchstäblich um ihr
Leben fürchten. Von einer substanziellen Kritik der BDS-Bewegung ist Thomas
Thiels Beitrag in der FAZ jedoch weit entfernt.
Stattdessen operiert er mit Kontaktschuld-Hypothesen („ihr habt X
eingeladen, also denkt ihr wie X“), mit freien Assoziationen und der
Suggestion, allein die Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus
führe zwangsläufig in die Nähe von BDS und Antisemitismus.
An der Tatsache, dass Yasemin Shooman „durch eine Veranstaltungsreihe zum
interreligiösen Dialog dem Thema antimuslimischer Rassismus breite
Resonanz im Jüdischen Museum“ gegeben hat, ist jedoch in meinen Augen
überhaupt nichts auszusetzen, das Raunen kann man sich sparen. Nicht nur,
weil Shooman ausdrücklich dafür eingestellt wurde, ebendieses Thema zu
behandeln; und nicht nur, weil Initiativen dieser Art ausdrücklich auch zum
Gründungsgedanken des Jüdischen Museums gehören.
## Islamfeindlichkeit gehört als Thema ins Jüdische Museum
Gerade weil Antisemitismus unter Muslimen nicht kleingeredet werden darf,
sind solche Dialogveranstaltungen wichtig. Dass im Dialog sowohl über
Diskriminierungserfahrungen der Jud*innen als auch von Muslim*innen geredet
werden muss, kann ich aus meiner eigenen pädagogischen Arbeit berichten –
und feststellen, dass solche Dialoge der beste und leider oft einzige Weg
sind, an latenten und verfestigten antisemitischen Einstellungen einen
Hebelpunkt zu finden.
Thiel hingegen bestreitet grundsätzlich die Tatsache, dass
Islamfeindlichkeit ein verbreitetes Problem ist, und beruft sich dabei auf
die Kriminalstatistik – eine nicht zuletzt auch bei der Registrierung
antisemitischer Straftaten leider unzureichende Quelle. Wem angesichts von
Attentaten wie in Christchurch nichts anderes einfällt, als mit halbgaren
Statistiken die Wirklichkeit zu beschönigen, begibt sich nicht nur
methodisch in die Nähe von [3][Thilo Sarrazin], der Thiel in seinem letzten
Statement zitiert.
Können wir das wirklich eine „Debatte“ nennen, wenn enthemmte
Journalist*innen, teils bar jeder Sachkenntnis, das Gerücht über das
Jüdische Museum weiterreichen, bis es schließlich aus dem Mund Sarrazins
wiederkehrt, in rassistischer Eindeutigkeit? Während sich Journalist*Innen
als kühne Detektiv*innen und Islamistenjäger*innen inszenieren, wird die
betroffene Wissenschaftlerin als Feindin, als das personifizierte Böse
dargestellt. Temporär musste sie gar ihre Karriere fürchten.
Immerhin stand ihre Enttarnung als Agentin ja in der seriösen FAZ, die
sich, so möchte man hoffen, doch nicht von den Auflagenerfolgen
rechtspopulistischer und effekthascherischer Boulevardmedien wie Compact
oder dem Onlinemagazin Tichy’s Einblick die Agenda diktieren lässt.
Diese intellektuell dürftige „Debatte“, bei der die FAZ die
Gegendarstellungen der Angeklagten sämtlich ignoriert, in der
Wissenschaftler*innen und Intellektuelle Journalisten*innen
gegenüberstehen, die im Wesentlichen wie Internettrolle agieren, mutet auch
deshalb grotesk an, weil sie sich vorgeblich gegen Antisemitismus richtet,
dabei aber selbst mit Methoden arbeitet, die an antisemitische
Verschwörungstheorien erinnern. Mehr noch:
Der Abbruch des jüdisch-muslimischen Dialogs, die dauerhafte Beschädigung
jüdischer Institutionen werden dabei ebenso billigend in Kauf genommen wie
der Applaus von Rassist*innen vom Schlage eines Sarrazin – von selbst
ernannten Betroffenenanwält*innen, welche die Jud*innen, weder in
Deutschland noch anderswo nötig haben. Es tut mir leid: Jemand, der dies
alles bedenkenlos hinnimmt, der sich dieser Methoden bedient, dem nehme ich
seinen aufrichtigen Einsatz gegen Antisemitismus nicht gutgläubig ab.
Eine ganz eigene Debatte ist die um die BDS-Bewegung, bei der vielen
anscheinend jede Differenzierungsfähigkeit abhandengekommen ist und bei der
Personen, die nur im Verdacht stehen, je einmal eine Petition
unterschrieben zu haben, die von einem BDS-Sympathisanten verfasst wurde,
als ultimative Israelfeind*innen karikiert werden. Hier scheint
mittlerweile ein Rigorismus vorzuherrschen, den man im Kampf gegen
bürgerliche Antisemit*innen der Mitte oft schmerzhaft vermisst.
Die auch in meinen Augen legitimen Anstrengungen zu einer Ächtung von BDS
werden mit einer Entschlossenheit geführt, in der es nicht einmal mehr
möglich scheint, darüber zu diskutieren, wer überhaupt zu BDS gehört. „Nu…
Toleranz“, schön und gut! Die Interventionen Sarrazins – der im Übrigen
auch erstaunliche Thesen zur genetischen Intelligenz von Juden und Jüdinnen
feilzubieten hat – werden im gleichen Milieu dann aber mit einer
atemberaubenden Langmut geduldet.
Diese Form der BDS-Kritik übernimmt in meinen Augen die schlimmsten Exzesse
der BDS-Bewegung selbst: Kontakt- und Sprechverbote, symbolisches
Abgrenzungsgebaren und das Inkaufnehmen immenser Kollateralschäden um der
ideologischen Reinheit willen.
Wer sich wie Thomas Thiel in seinen hochschulpolitischen Glossen lustig
macht über Universitäten, die sich nicht mehr vorstellen können, „einen
Redner zu einer Veranstaltung einzuladen, mit dessen politischen
Sichtweisen sie nicht übereinstimmen“, muss sich fragen lassen, warum er
dann bei anderen Themen plötzlich „Deplatforming“, also Ausladungspolitik,
als vollkommen legitim empfindet.
## Das Museum soll Mut zum streitbaren Programm haben
Man blickt verdutzt auf FAZ-Autor*innen und bürgerliche
Schriftsteller*innen, die sonst gegen „Political Correctness“, extreme
Ausformungen US-amerikanischer Campuspolitik und „postmoderne Hexenjagden“
wettern, um dann bei anderen Themen eine Schnappatmung zu entwickeln, die
auch der härtesten amerikanischen Campuspolizei peinlich wäre.
Nicht nur im Umgang mit dem Jüdischen Museum sollte hier eine gewisse
grundlegende Gelassenheit Schule machen. Ich persönlich erhoffe mir auch
vom neuen Direktorium des Museums, dass es sich von dieser sehr deutschen
Debatte nicht den Mut nehmen lässt zu einem streitbaren, kontroversen und
gegenwärtigen Programm. Denn selbst die Krawallschachteln in der FAZ können
doch ein langweiliges Programm, bei dem sich alle einig sind, nicht
ernsthaft wollen.
Die bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus, und auch
darüber herrscht fraktionsübergreifend Konsens, reichen nicht aus. Gerade
deshalb muss man schmerzhafte Debatten führen, gerade deshalb muss man
Fehler zulassen, gerade deshalb muss man im Zweifel für das Risiko, für das
Experiment sein. Ein Wohlfühldialog, in welchem alle möglichen
Konfliktpunkte schon durch die Einladungspolitik nivelliert werden, bringt
niemanden weiter.
Am Wochenende werde ich wieder mit meinen israelischen Freund*innen
telefonieren, und ich weiß schon jetzt, dass sie sich wieder die Augen
reiben werden: In Deutschland werden Synagogen beschossen, ein Faschist ist
der Königsmacher in Thüringen – aber die Antisemit*innen suchen sie wo? Im
Jüdischen Museum? Ja, werde ich sagen. Aha, werden sie sagen.
17 Feb 2020
## LINKS
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/zur-lage-des-juedischen-mus…
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/spd-gutachterin-antwortet-thilo-sarrazi…
[3] /SPD-schliesst-Thilo-Sarrazin-aus/!5659200
## AUTOREN
Meron Mendel
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