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# taz.de -- Kommentar Kritik am Jüdischen Museum: Es geht nicht um einen Tweet
> Das Jüdische Museum muss sich ernsthaft fragen, ob es seinem Titel
> gerecht geworden ist. Ein Ort der Diskussion muss es aber bleiben.
Bild: Auch ohne Direktor Peter Schäfer muss sich das Jüdische Museum kritisch…
Berlin taz | Der Rücktritt von Peter Schäfer, dem bisherigen Direktor des
Jüdischen Museums Berlin, war unvermeidlich. Wenn der Leiter einer
halbstaatlichen Kultureinrichtung, die das Wort „Jüdisch“ im Titel führt,
[1][nicht mehr das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft genießt], ja wenn
sich deren Vertreter öffentlich fragen, ob dieses Museum noch jüdisch
genannt werden kann, dann ist ein Neuanfang unumgänglich – ganz unabhängig
davon, wie die Gründe für den Konflikt zu bewerten sind.
Außenstehenden mögen diese Gründe banal, ja unverständlich erscheinen. Was
ist daran auszusetzen, wenn ein Museum einen Zeitungsartikel zur Lektüre
empfiehlt? Warum soll es ein Skandal sein, wenn ein Vertreter Irans vom
Direktor zum Austausch empfangen wird? Und weshalb [2][gerät eine
Ausstellung über Jerusalem in die Kritik], in der es um die Verankerung
dreier Weltreligionen geht?
Tatsächlich wächst daraus leicht der Verdacht, es handele sich darum, eine
Institution auf Kurs zu bringen – auch von Vertretern Israels. Schließlich
hatte sich auch die dortige Regierung über eine vorgeblich antiisraelische
Positionierung des Museums beklagt.
Die Genese dieses Konflikts aber liegt tiefer. Es geht nicht um einen
Tweet, sondern um das komplizierte Verhältnis zwischen Deutschland und dem
jüdischen Staat einerseits und um die Beziehungen zwischen Israel und der
jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik andererseits. Beides ist von
der jüngeren Geschichte geprägt – der Vernichtung jüdischen Lebens in
Europa durch die Nazis, dem Aufbau des Staates Israel ab 1948 und der
Wiederentstehung jüdischer Gemeinden in Deutschland.
## Deutschland und Israel – Misstrauen wurde zu Kooperation
Beziehungen zwischen Israel und den Deutschen gab es nach dem Zweiten
Weltkrieg nicht. Waren aus Deutschland wurden boykottiert, israelische
Pässe trugen den Vermerk „für alle Länder gültig außer für Deutschland�…
Schon die Entschädigungszahlungen in den 1950er Jahren stießen auf den
Protest vieler Israelis, nicht anders war es bei der Aufnahme
diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965 mit der Bundesrepublik. Noch mit
der Wiedervereinigung vor bald 30 Jahren ging in Israel die Furcht vor
einem gefährlichen Großdeutschland um.
Dieses generelle Misstrauen ist heute einer engen Kooperation gewichen.
Jedoch reagiert die rechtspopulistische Regierung in Jerusalem
unmissverständlich hart, sobald der Anschein erweckt wird, ausgerechnet in
Deutschland werde die Legitimität ihres Staates infrage gestellt.
Und hier sind wir ganz schnell bei den [3][Details dieses vorgeblichen
Twitter-Skandals]. Das Jüdische Museum Berlin hat nämlich nicht nur einen
taz-Artikel über Proteste gegen eine Gleichsetzung eines Boykotts Israels
mit Antisemitismus empfohlen, sondern sich den zentralen Inhalt von deren
Protagonisten scheinbar zu eigen gemacht, indem dort ohne jedes
Anführungszeichen stand: „Der Beschluss der Parlamentarier hilft im Kampf
gegen Antisemitismus nicht weiter.“
Peter Schäfer hat eben nicht den Vertreter irgendeines Drittstaats
empfangen, sondern dem Kulturattaché des Israel-feindlichen Iran die
Gelegenheit zu einem PR-Auftritt gegeben. Und die zu Recht viel gelobte
Jerusalem-Ausstellung zeigt eben ein Panorama der Stadt, geht aber weniger
darauf ein, warum diese heute vor allem jüdisch geprägt ist. Man muss den
letzten Punkt der Kritik nicht teilen. Aber ernst nehmen muss man ihn
dennoch.
## Leben auf gepackten Koffern
Dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und der Staat Israel in ihrer
Kritik übereinstimmen, wird nicht nur daraus verständlich, dass das Museum
zumindest indirekt im Namen der deutschen Juden agiert. Ihre kritische
Haltung ergibt sich auch aus der Geschichte. Nach dem Holocaust schien
jüdisches Leben in Deutschland zunächst unvorstellbar. Als wenige
Überlebende sich dennoch dazu entschieden, im „Land der Täter“ neue
Gemeinden zu begründen, stieß das im jungen Israel auf völliges
Unverständnis.
Erst 1950 entstand in der Bundesrepublik der Zentralrat der Juden in
Deutschland. Schon der Name verweist auf die Distanz der jüdischen
Vertretung gegenüber ihrer Umgebung: Nicht von „deutschen Juden“ ist hier
die Rede, so wie noch vor der Nazi-Herrschaft, sondern von „Juden in
Deutschland“, so, als gehöre man nicht richtig zu diesem Volk. Und das tat
man damals auch nicht – man hockte auf gepackten Koffern, mit Israel als
lebensrettender Rückversicherung.
Diese Distanz gegenüber dem Heimatland ist auch als eine Reaktion auf das
Unverständnis in Israel zurückzuführen, wo man die Existenz jüdischen
Lebens in Deutschland erst nach langem Zögern zu akzeptieren begann. Umso
mehr fühlten und fühlen sich die Repräsentanten jüdischer Gemeinden in der
Bundesrepublik dazu verpflichtet, den Staat Israel in Schutz zunehmen.
Deswegen sind sie natürlich nicht Israelis, sondern Deutsche. Aber gerade
das führt dazu, dass sie sich dazu genötigt sehen, den jüdischen Staat,
dessen Werben sie nicht gefolgt sind, zu verteidigen, wenn seine
Legitimität infrage gestellt wird. Und das ist bei einem Boykott zweifellos
der Fall.
## Das Museum ist nicht gescheitert, sondern wächst
Es scheint, als sei dem Jüdischen Museum diese komplizierte Gemengelage
nicht immer bewusst gewesen. Möglicherweise trug dazu auch die Tatsache
bei, dass Schäfer zwar ein herausragender Wissenschaftler auf dem Gebiet
der Antike und des Frühmittelalters ist, aber nicht unbedingt eine
Idealbesetzung für den Posten eines Museumsmanagers darstellt.
Das Jüdische Museum Berlin aber sollte aus dem Konflikt keinesfalls den
Schluss ziehen, es sei mit seiner offenen Debatte zu aktuellen politischen
Fragen gescheitert. Fehler lassen sich korrigieren, Vertrauen lässt sich
wieder aufbauen. Diskussionen zur Gegenwart und Zukunft jüdischen Lebens in
Deutschland könnten kaum einen besseren Ort finden.
19 Jun 2019
## LINKS
[1] /Nach-Kritik-am-Juedischen-Museum-Berlin/!5603080
[2] /Juedisches-Museum-in-Berlin/!5567150
[3] /BDS-Tweet-des-Juedischen-Museums-Berlin/!5600322
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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