# taz.de -- Zur Frankfurter Buchmesse 2020: Kein Raum zum Ausweichen | |
> Arthur Koestler hat einen grandiosen Bericht über die ersten Wochen des | |
> Staates Israel im Jahr 1948 verfasst. Jetzt liegt er auf Deutsch vor. | |
Bild: 3. Juli 1948, der letzte britische Soldat verlässt die Haifa Docks | |
Gleich im ersten Satz stellt [1][Arthur Koestler] in seinem 1949 auf | |
Englisch erschienenen und nun nach 71 Jahren auszugsweise auch auf Deutsch | |
erhältlichem Buch „Mit dem Rücken zur Wand“ mit erfrischender Klarheit | |
fest, dass sich die Frage, ob der Zionismus eine gute oder schlechte Idee | |
gewesen sei, spätestens seit Mitte der 1930er Jahre nicht mehr stellte, | |
denn damals lebten eine halbe Millionen Juden in Palästina, und „das war | |
keine politische Theorie mehr, sondern eine Tatsache“. | |
Vor diesem Hintergrund werden die Debatten, die bei jedem Krieg neu | |
aufflammten, obsolet, wenn wieder einmal jemand darauf beharrte, dass die | |
eine oder die andere Seite angeblich einen historischen Anspruch auf ein | |
bestimmtes Gebiet hätte. | |
Arthur Koestler, der durch seine Romane „Sonnenfinsternis“ und „Spanisches | |
Testament“ weltberühmt wurde, war eigentlich Journalist und Reporter. Er | |
war einige Male nach Palästina gereist, und als die Juden am 14. Mai 1948 | |
den Staat Israel proklamierten und unmittelbar danach die kriegerischen | |
Auseinandersetzungen begannen, fuhr Koestler ins Krisengebiet, wo er | |
zwischen dem 4. Juni und dem 14. Oktober 1948 den wohl „kuriosesten Krieg | |
der jüngeren Geschichte“ beobachtete. | |
Natürlich bestand auch dieser Krieg aus Halbwahrheiten und Lügen, bei dem | |
der Sieger „nie vollständig im Recht“ ist und es keine „unschuldigen Opf… | |
gibt. Was diesen Krieg jedoch so außergewöhnlich machte und was Koestler | |
auf sehr überzeugende und lebendige Weise beschreibt, war die große | |
Überlegenheit der Araber. Sie in eine Niederlage verwandelt zu haben schien | |
an ein Wunder zu grenzen. | |
## David gegen Goliath | |
Aber es war kein Wunder, sondern dafür gab es Gründe, und diese bestanden | |
laut Koestler in der „Rückständigkeit der arabischen Länder“. Dennoch | |
standen vierzig Millionen Araber einer Dreiviertelmillion Juden gegenüber. | |
Die arabischen Länder verfügten über ein fast unbegrenztes Reservoir von | |
Einsatzkräften und hatten noch dazu unvergleichlich mehr und besseres | |
Kriegsgerät. Im Unterschied aber zu den Arabern blieb den Juden „keine | |
Möglichkeit zum Rückzug. Sie mussten mit dem Rücken zur Wand kämpfen – und | |
genau deshalb haben sie den Krieg gewonnen.“ | |
Das alles sind natürlich bekannte historische Fakten, aber Koestler | |
beschreibt auch, wie überflüssig dieser Krieg war, denn in den kleinen | |
Dörfern kamen die Palästinenser mit den Juden schon lange gut aus, wenn es | |
keine Einmischung von außen gab. Die Araber waren bereits zufrieden, ein | |
kleines Café zu betreiben und ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. | |
Sie hatten keine großartigen Ambitionen und keinen Ehrgeiz, man könnte auch | |
sagen, sie hatten nichts, wofür sich zu kämpfen wirklich lohnte. Und das | |
macht sie auch wieder sehr sympathisch. | |
## Frauen in den jüdischen Einheiten | |
Für die unterlegenen Juden hingegen verhielt sich die Sache ganz anders, | |
und auch das beschreibt Koestler sehr plastisch, indem er zwei Kämpfer | |
vorstellt. Der eine war in fünf Jahren in 13 verschiedenen | |
Konzentrationslagern, der andere ein früherer Jurastudent aus Krakau. | |
Keiner von beiden hatte jemals einen Panzer gesehen. Jetzt warfen sie | |
Brandbomben auf das rollende Ungetüm. Wurde ein Panzer getroffen, drehten | |
fünf andere ab und fuhren zurück. | |
Die Juden stellten schnell fest, dass der Gegner nicht sonderlich auf | |
Nahkampf versessen war. Erst als die Araber erfuhren, dass in den jüdischen | |
Einheiten auch Frauen kämpften, fingen „sie plötzlich an zu kämpfen wie die | |
Löwen“, wie ein Haganah-Offizier es formulierte, weshalb die jüdischen | |
Frauen von der Frontlinie wieder abgezogen wurden. | |
Ein Kapitel handelt von einem Tiefpunkt im Kampf der Israelis, weil er | |
nicht gegen die Araber, sondern zwischen der Jewish Agency und der | |
[2][Irgun] ausgetragen wurde. Die Irgun hatte das Massaker von [3][Deir | |
Jassin] auf dem Kerbholz und wurde von der Gegenseite und Intellektuellen | |
wie Hannah Arendt als terroristische Organisation angesehen. | |
Koestler zufolge war das bloße Rhetorik, denn nicht nur kannte er einige | |
ihrer Mitglieder ganz gut, die Irgun hatte auch einen großen Rückhalt in | |
der jüdischen Bevölkerung, weil die Erinnerung noch frisch war, als die | |
Irgun gegen die britische Besatzungsmacht den Kopf hingehalten hatte. | |
## Tragödie der Altalena | |
Die Irgun hatte eine Schiffsladung dringend benötigter Waffen organisiert, | |
die heimlich entladen werden mussten. Die Jewish Agency wurde eingeweiht, | |
und die Tragödie der [4][„Altalena“] nahm ihren Lauf. Das Unternehmen | |
endete schließlich darin, dass das eigene Schiff in Brand gesetzt, die | |
Waffen vernichtet und viele der eigenen Leute getötet wurden, unter anderem | |
hätte es auch fast Menachem Begin erwischt, der sich im letzten Moment | |
schwimmend an Land retten konnte. | |
Arthur Koestler beschreibt in seinen zum Teil als Tagebuch geführten | |
Aufzeichnungen auf grandiose und packende Weise, von welchen irrationalen | |
Entscheidungen und kuriosen Ereignissen dieser Krieg geprägt war. | |
Er betreibt keine Propaganda und er verteufelt nicht die arabische | |
Bevölkerung, aber er verheimlicht auch nicht seine große Sympathie für die | |
„Terroristenmädchen der Irgun“, eine polnische Studentin, ein ukrainisches | |
Bauernmädchen und eine dunkle Jemenitin, die ihre volle Verachtung für | |
Frauen kundtaten, „die nicht mit Plastiksprengstoff und Maschinengewehren | |
hantieren“ konnten. | |
Aber wer hätte den Irgun-Frauen das angesichts des Krieges schon verübeln | |
können? | |
17 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/1983/03/04/world/arthur-koestler-and-wife-suicides-… | |
[2] https://www.jewishvirtuallibrary.org/background-and-overview-of-the-irgun-e… | |
[3] https://www.jewishvirtuallibrary.org/the-capture-of-deir-yassin | |
[4] https://www.jewishvirtuallibrary.org/the-altalena-affair | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
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