# taz.de -- Neuauflage des Romans „Der Sklavenkrieg“: Mir ist heut so nach … | |
> 1939 erschien der Roman „Der Sklavenkrieg“ des Schriftstellers Arthur | |
> Koestler. Ilja Richters Gedankenspiele zur Neuauflage. | |
Bild: Straßenkampf in Berlin, „Spartakusaufstand“ im Januar 1919 mit einem… | |
Sollten die Plebejer wieder mal den Aufstand proben, dürften wir das erst | |
beim Ausbleiben unserer bestellten Pizza bemerken; oder wenn unsere Pakete | |
bei Amazon in Bad Hersfeld verkümmern, weil die unterbezahlten Packer | |
unsere Päckchen nicht mehr zu tragen bereit sind. Oder Lieferando-Helden | |
ihre Mopeds anzünden. Dann ist den Unterprivilegierten wieder mal nach | |
Spartakus. Na und? | |
Das Römische Reich hat nach der Niederschlagung des Sklavenkriegs, 100 | |
Jahre vor Christus, noch weitere 500 Jahre sein imperiales Schindluder | |
getrieben. Außerdem ist, im Gegensatz zur damaligen Todesarbeit eines | |
Versklavten im antiken Rom, heute so ein ungelernter Lohnsklave bei Amazon | |
noch froh darüber, mit seiner Fronarbeit die Familie durchzubringen. Ein | |
unfreier Gladiator wie Spartakus dagegen hatte nur einen einzigen Menschen | |
durchzubringen: sich selbst! Sein Gegner in der Arena war zugleich sein | |
Leidensgenosse. | |
Mein Papa, in den 1920er Jahren Mitglied im Spartakusbund, ging mit mir | |
1961 ins Kino zu „Spartakus“. Danach empfand ich Fotos, die er mir | |
anschließend von den 20er-Jahre-Aufmärschen der Spartakuskämpfer zeigte, | |
als irritierend. Wieso trugen Papas Genossen keine Sandalen, und wo | |
steckten die blitzenden Schwerter? Ich war neun. Arthur Koestler wusste | |
noch mit 25 nicht, wofür „Spartakus“ steht! | |
## Luxemburg und Liebknecht | |
Für den seit 1935 im Pariser Exil lebenden österreichisch-ungarischen Juden | |
und Industriellensohn war der Begriff „Spartakus“ zunächst immer nur ein | |
Name, für den zwei andere standen: [1][Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht]; | |
und deren Bund, aus dem die KPD entstand. Ist ja bekannt. | |
Weniger hingegen, wie Koestler anno 1935 in Paris eigentlich nur mal kurz | |
im Lexikon unter „S“ nachschlug, was Spartakus sonst noch so alles bedeuten | |
mochte. Und siehe da: „Dreieinhalb Jahre lang, seit meinem Eintritt in die | |
Kommunistische Partei, war ich im Strom der Revolution untergetaucht. Jetzt | |
kam ich zum Luftschöpfen hoch, schaute mir den Strom an, fragte mich, wohin | |
er führte, und versuchte, etwas über die Natur der Kräfte ausfindig zu | |
machen, die ihn in Fluss brachten […].“ So stieß Koestler also auf jenen | |
Sklavenkrieg. | |
Es war die Initialzündung für eine tiefere Beschäftigung: „Es gab einige | |
offenbare Parallelen zwischen dem ersten Jahrhundert vor Christus und | |
unserem eigenen. Es war ein Jahrhundert sozialer Unruhen, missglückter | |
Revolutionen und gewalttätiger Massenbewegungen.“ | |
## „Die Gladiatoren“ | |
Nach seiner Flucht aus Paris vor den Nazis vollendete Koestler in | |
Zusammenarbeit mit Edith Simon seinen Roman „Der Sklavenkrieg“ in London. | |
Dort erschien dann auch das Buch im März 1939 und im selben Jahr in den | |
USA. „Die Gladiatoren“ hieß das Werk nun. Dass der Autor den Stoff gerne | |
für großes Kino nach Hollywood verkauft hätte, liegt nahe. 1960 entstand | |
denn auch der Film „Spartakus“ mit Kirk Douglas. | |
Aber ohne Koestler als Filmautor. Den Auftrag erhielt Dalton Trumbo, ein | |
Drehbuchautor aus Hollywood, dem Klatschkolumnistin Hedda Hopper immer noch | |
übel nahm, in den 1950er Jahren bekennender Kommunist gewesen zu sein. Auch | |
John Wayne setzte zu einer Hexenjagd an, als wollte er die Restarbeit des | |
1950er-Jahre-Tribunals „gegen unamerikanische Umtriebe“ in die | |
Kennedy-1960er hinüberretten. | |
Schauspieler und Mitproduzent Kirk Douglas sagte später, dass er sich nur | |
ein einziges Mal in seinem Leben als wirklicher Held gefühlt habe: Als er | |
allen Drohungen und Warnungen zum Trotz an Dalton Trumbo, dem links | |
stehenden Drehbuchautor, festhielt. Der 2015 entstandene US-Film „Trumbo“ | |
erzählt davon. | |
Einen Oscar in der Kategorie „Bestes Drehbuch“ trug der so lange geächtete | |
Autor für seinen „Spartakus“ nach Hause. Wer weiß, ob sich ein Mann wie | |
Koestler mit Hollywoods Produzenten hätte arrangieren können. Auch ein | |
trotziger Trumbo musste inhaltliche Kompromisse eingehen. Koestlers | |
Anspruch, einem antiken Stoff den ihm angemessenen Faltenwurf der | |
Geschichte überzuwerfen, wäre bei den Mächtigen der Traumfabrik sicher auf | |
Widerstand gestoßen. | |
Trumbo musste sich, trotz frischen Oscar-Glanzes, bald darauf 1961 von der | |
Fachpresse die Kritik gefallen lassen, dass sein Drehbuch „Exodus“ dem | |
Roman von Leon Uris nicht gerecht geworden sei. Zu vereinfacht würde hier | |
die Gründung des Staates Israel an der Historie vorbeiflimmern. | |
Das wiederum wäre einem Koestler kaum passiert! Ob Staatsgründung Israels | |
oder Gladiatoren-Revolte, seinen Hass auf jedweden Krieg spiegeln Sätze wie | |
diese wider: „Der Haken bei allen Kriegen ist allerdings, dass die | |
Erscheinungen, welche sie hervorbringen, nur sehr mittelbar mit der | |
ursprünglichen Absicht oder dem Anlass verknüpft sind. Diejenigen, die ihn | |
tatsächlich führen, denken nicht in Begriffen wie ‚Demokratie‘, ‚nation… | |
Selbstbestimmungsrecht‘, ‚spanische Thronfolge‘ oder ‚Abschaffung der | |
Sklaverei‘. Sie singen, grölen und träumen von ihren Lieblingsspeisen, | |
masturbieren und zählen ihre Läuse.“ | |
So legt Koestler 1949 im zunächst in England erschienenen Buch „Mit dem | |
Rücken zur Wand. Ein Augenzeugenbericht“ als zionistischer | |
Kriegsberichterstatter Haltung über ideologische Grenzen hinweg an den Tag. | |
Viele Araber hatten die Zwei-Staaten-Lösung abgelehnt. Zionist Koestler | |
lehnte die Verwüstung palästinensischer Dörfer ab. | |
## Zionistischer Kriegsberichterstatter | |
„Die Kamele und die Esel, die Wasserpfeifen und die Schuhputzerjungen, | |
diese schwere Duftwolke orientalischer Gewürze, die durch die Souks strömte | |
– alles fort. Die Lehmhütten in den Armenvierteln entlang der Küstenstraßen | |
wurden gesprengt, ihre Bewohner sind weggezogen. Ein neuer Exodus, doch mit | |
der gleichen Verwüstung!“ So etwas hätte der „Exodus“-Filmproduzent Otto | |
Preminger nie gestattet. Und Kirk Douglas auch nicht bei Spartakus! | |
Koestler war ein großer Schriftsteller, der andere Größen provozierte. | |
Seinen 1940 erschienenen Roman „Sonnenfinsternis“ lehnten Sartre, Havemann | |
und Brecht vehement ab. [2][Ein durch Psychofolter gebrochener Held der | |
sowjetischen Revolution gab darin am Ende eines Schauprozesses] sein | |
„Schuldbekenntnis als Konterrevolutionär“ ab. | |
Das gefiel den Herren weder inhaltlich noch vom geschichtlichen Zeitpunkt | |
her. Denn so eine Geschichte über Stalins Folterknechte kurz vor Eintritt | |
der Alliierten ins Bündnis mit Russland gegen Nazideutschland galt als | |
Todsünde eines vom „Glauben“ abgefallenen Genossen. Noch 1947 hatte | |
Frankreichs Kommunistische Partei nichts Besseres zu tun, als die | |
Neuauflage von „Sonnenfinsternis“ aufzukaufen. | |
So brisant ist „Der Sklavenkrieg“ natürlich nicht, aber auch kein | |
altväterlicher Historienschinken. Inmitten beklemmend realistischer | |
Schlachtszenen gibt es sogar Humorvolles. Wenn zum Beispiel die Wache vor | |
dem Lager der Sklavenkrieger den Schriftsteller Vulinus aufhält und | |
Koestler schreibt: „‚Ich will zum Spartakus, damit ich die Chronik Eures | |
Feldzuges aufschreiben kann.‘ ‚Das ist doch nicht interessant‘, sagte die | |
Wache. ‚Man geht immer von einer Stadt zur anderen und schlägt sich herum.‘ | |
“ | |
## „Widerliche Massenschlägereien“ | |
Das klingt wie von einem erschöpften Tourneeschauspieler. Sehr pointiert | |
auch die Szene mit dem Veranstalter von Gladiatorenkämpfen, der einem | |
Bewunderer sein Leid klagt: „Sehen Sie, mein Geschätzter, das gesamte | |
Festspielgewerbe macht gegenwärtig eine Krise durch, die das Publikum | |
verschuldet hat. Es schätzt immer weniger das gute, sorgfältig | |
durchgearbeitete Material und die unglaublichen Kosten, die darin stecken, | |
und ist stattdessen auf unsinnige Massenschlächtereien erpicht. Die | |
Quantität verdrängt die Qualität; das Publikum verlangt, dass jede größere | |
Veranstaltung mit einer dieser widerlichen Massenschlächtereien abschließt. | |
Haben Sie sich einmal überlegt, was das für den Unternehmer bedeutet?“ | |
Falls Ihnen das noch nicht zu komisch klingt, wäre da noch der zumindest | |
tragikomische Selbstmordversuch des von Spartakus besiegten „Praetor | |
Clodius Glaber“. In letzter Sekunde, nachdem er sich ausmalt, was die | |
Spitze seines Dolches körperlich in ihm anrichten würde, stellt der | |
militärische Versager fest, „dass das Sterben eine Dummheit ist – noch | |
ungleich viel dümmer, als zu leben“. | |
Dennoch: Koestler ergänzt als mitreißender Porträtist des Spartakus auf 361 | |
Seiten, was den damaligen römischen Chronisten Livius, Plutarch, Appian und | |
Florus „weniger als zehn Seiten“ wert gewesen ist, weil sie es vorzogen, | |
„so wenig wie möglich darüber zu sagen“. | |
Warum die Revolte des historischen Spartakus, der anfangs 70 Sklaven | |
anführte und auf dem Höhepunkt seiner Macht mit 120.000 Kriegern Süditalien | |
eroberte, nicht zur Revolution wurde? Googeln Sie nicht. Lesen Sie | |
Koestler. Man muss die Zeichen der Zeit erkennen. Bei mir zum Beispiel | |
klingelt es gerade: Der Pizza-Sklave ist da. | |
17 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ilja Richter | |
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