# taz.de -- Debatte Unser Israel (5): Das Gespenst des Zionismus | |
> Die Gegner des Zionismus sprechen Israel das Existenzrecht ab. Denn ohne | |
> die nationale Bewegung der Juden gäbe es keinen jüdischen Staat. | |
Wenn von Israel die Rede ist, ist noch lange nicht von Israel die Rede: Vom | |
iranischen Präsidenten Ahmadinedschad und der islamistische Hamas bis hin | |
zu neonazistischen und sich selbst als links gerierenden Gruppen wird gern | |
von einem "zionistisches Gebilde" gesprochen. Gängige Wortkombinationen | |
sind weiterhin "zionistisches Regime", "zionistischer Terror" oder | |
"zionistische Soldaten" - die Liste ließe sich beliebig verlängern. Nun | |
lassen sich diese Wortschöpfungen leicht als Versuch werten, die Existenz | |
des Staates Israel zu negieren, indem man diesen Staat nicht beim Namen | |
nennt. Doch das Problem liegt tiefer. | |
Unter vielen Kritikern der israelischen Regierung von ganz links über | |
streng islamistisch bis ganz rechts besteht eine merkwürdige Einigkeit | |
darin, den Zionismus als Grundübel für die bestehenden Spannungen und | |
Menschenrechtsverletzungen in der Region verantwortlich zu machen. Nicht | |
konkretes Handeln konkreter Personen, Parteien und Regierungen ist demnach | |
ursächlich für ein Problem, sondern eine wie immer geartete Ideologie. | |
Kohärenter Bestandteil dieser Ideologie seien rassistische Überzeugungen. | |
Folgt man dieser Argumentation, so ist eine "Lösung" des Nahostkonflikts | |
nur möglich, wenn der Zionismus verschwindet. | |
Der politische Zionismus, entstanden kurz vor der Wende vom 19. auf das 20. | |
Jahrhundert als Reaktion auf antisemitische Grundströmungen in Europa, | |
propagierte die Gründung einer jüdischen Heimstätte. Diese Mission hat sich | |
mit der Gründung des Staates Israel 1948 erfüllt. Dass mit dieser | |
Staatsgründung auch Menschenrechtsverletzungen verbunden waren, ist | |
unbestreitbar. Allerdings gab und gibt es keine erfolgreiche | |
Nationalbewegung, die ausschließlich dank purer Menschenliebe ihr Ziel | |
erreicht hat. | |
Nun ging der Zionismus Herzlscher Prägung über eine Nationalstaatsbewegung | |
weit hinaus. Zunächst galt es, den in der Diaspora verstreuten Juden | |
nahezubringen, sich als Teil eines Volkes zu empfinden. Diese Vorstellung | |
stieß gerade unter den in Deutschland lebenden Juden auf großen Widerstand, | |
da man dort mehrheitlich die Überzeugung vertrat, Teil der deutschen Nation | |
zu sein. | |
Viele konservative Juden der 1920er-Jahre wandten sich auch entschieden | |
gegen den sozialistisch-kommunistischen Flügel des Zionismus, der in | |
Palästina eine linke Utopie erträumte. Dass wenige Jahre später Vertreter | |
der "deutschen Kulturnation" Juden zu Millionen ermorden würden, schien | |
ihnen unvorstellbar. | |
Die ersten Zionisten machten sich vor rund 100 Jahren daran, die Grundlagen | |
eines jüdischen Gemeinwesens im damaligen Palästina zu begründen. Dazu | |
zählte die Einwanderung von Juden. Ähnlich den kolonialen Bewegungen in | |
Australien oder Neuseeland glaubten auch die Zionisten zu Beginn des 20. | |
Jahrhunderts, Konflikte mit der ansässigen Bevölkerung ließen sich | |
vermeiden. Im Gegenteil würde die Immigration das Kulturniveau in "Erez | |
Israel" heben und den armen Einheimischen die Möglichkeit geben, an Frieden | |
und Wohlstand zu partizipieren: eine verhängnisvolle Fehleinschätzung - | |
doch geboren in einer Epoche, in der solche Glaubenssätze | |
Allgemeingültigkeit hatten. | |
Dass die jüdische Einwanderung im Nachhinein zum Teil des Problems wurde, | |
weil damit zwei Völker Anspruch auf das gleiche Territorium erhoben, ist | |
kaum zu bestreiten. Andererseits gelang dank der zionistischen Bewegung | |
Zehntausenden von Juden - darunter vielen, die sich zuvor als Antizionisten | |
verstanden hatten - die rettende Flucht vor dem Holocaust in den Nahen | |
Osten. | |
Der Staat Israel existiert seit 62 Jahren. Postzionisten debattieren über | |
künftige Grundlagen des Zusammenlebens mit den Palästinensern; der | |
Antizionismus hat sich damit eigentlich erledigt. Hat er aber offenbar | |
nicht. Nun steht es selbstverständlich jedermann frei, Nationalismus und | |
nationale Bewegungen abzulehnen. Verdächtig allerdings mutet es an, wenn | |
allein der Zionismus im Fokus der Kritik steht, nicht aber der | |
Nationalismus von Italienern, Sudanesen oder gar Palästinensern. | |
Ginge es den Antizionisten nur um eine Kritik an israelischen Siedlungen | |
auf besetztem Gebiet, sie bräuchten ihr Etikett nicht. Denn diese | |
Siedlungen werden auch von den meisten Israelis abgelehnt, und viele der | |
Siedler sind keineswegs Zionisten, sondern religiöse Juden. Tatsächlich | |
versteckt sich hinter dem Begriff des Antizionismus eine radikale Ablehnung | |
eines existierenden, völkerrechtlich anerkannten Staates. Denn wenn der | |
Zionismus Grundübel für die Lage in Nahost ist, dann gehört der zionistisch | |
begründete Staat aufgelöst und durch ein anderes "Gebilde" ersetzt. | |
Umstandslos wird damit auch gleich über die Zukunft der jüdischen | |
Mehrheitsbevölkerung Israels entschieden, denn diese ist ganz überwiegend | |
prozionistisch - also für ihren Staat - eingestellt. Und weil auch viele | |
Juden außerhalb Israels den jüdischen Staat grundsätzlich bejahen, werden | |
damit auch diese zu "Feinden" eines vorgeblich humanitären Projekts, das | |
den ewigen Frieden im heiligen Land postuliert. | |
Ob dieser Antizionismus nun mit den "Protokollen der Weisen von Zion" | |
(Hamas, Neonazis) oder den antiimperialistischen Bestrebungen der | |
palästinensischen Bewegung begründet wird, ist letztlich egal: Ziel ist | |
eine Eliminierung des spezifisch jüdischen Nationalismus. Mit Ressentiments | |
gegen Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft soll all das natürlich | |
rein gar nichts zu tun haben. | |
Zwecks Propagierung dieses Projekts ist man sich auch nicht zu schade, | |
homophobe und frauenfeindliche ultraorthodoxe Juden zu Kronzeugen der | |
Bewegung zu machen, weil diese der religiösen Überzeugung sind, die | |
Gründung eines jüdischen Staates sei allein dem Messias vorbehalten. Seht | |
her, auch Juden, noch dazu mit lustigen Schläfenlocken und schwarzem Hut, | |
teilen unsere Meinung, klopft man sich auf die Brust. Noch besser ist da | |
nur noch, einen Holocaustüberlebenden als Kronzeugen vermarkten zu können. | |
Beides ist nichts anderes als Philosemitismus übelster Sorte. | |
*** | |
Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": [1][Eine | |
komplizierte Geschichte] von Micha Brumlik, [2][Keine innere Angelegenheit] | |
von Tsafrir Chohen, [3][Deutsche nach Gaza?] von Muriel Asseburg und | |
[4][Feiger Hass] von Stephan Kramer. | |
4 Jul 2010 | |
## LINKS | |
[1] /1/debatte/kommentar/artikel/1/eine-komplizierte-geschichte/ | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
Israelische Armee | |
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