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# taz.de -- Debatte Unser Israel (2): Deutsche nach Gaza?
> Deutschland trägt eine Verantwortung für Israels Sicherheit. Darum muss
> es sich stärker als bisher für Frieden im Nahen Osten engagieren.
Bild: Eine israelische Soldatin stellt Israel-Fähnchen auf Soldatengräber.
Deutschlands Beziehungen zu Israel stehen unter besonderen Vorzeichen.
Anders als gegenüber anderen Ländern, geht es dabei nicht nur um politische
und wirtschaftliche Interessen wie die Abwehr von Sicherheitsrisiken oder
Fragen der Energieversorgung, sondern auch um die "historische
Verantwortung", die aus den deutschen Angriffskriegen und dem Völkermord an
den Juden Europas resultiert.
Damit das Reden von der deutschen Verantwortung nicht zum reinen
Lippenbekenntnis verkommt, muss sie durch aktive Politik mit Leben gefüllt
werden. Das bedeutet mindestens folgende drei Forderungen an die deutsche
Politik und Gesellschaft: Erstens, einen fortgesetzten Kampf gegen
Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz in unserer Gesellschaft zu führen
sowie weltweit konsequent für einen effektiven Schutz der Menschenrechte
und die Achtung internationalen Rechts einzutreten. Zweitens, enge
gesellschaftliche und politische Beziehungen zu Israel zu pflegen. Und
drittens, engagiert das Existenzrecht und die Sicherheit Israels zu
verteidigen.
Langfristig kann Israels Sicherheit nur durch eine dauerhafte
Friedensregelung mit seinen arabischen Nachbarn erreicht werden. Vor diesem
Hintergrund war und ist es richtig, dass die Außenpolitik der
Bundesrepublik auf eine Zwei-Staaten-Regelung des
israelisch-palästinensischen Konflikts zielt, eingebettet in einen
umfassenden regionalen Frieden zwischen Israel und seinen arabischen
Nachbarn.
Dagegen kann "historische Verantwortung" nicht bedeuten, jede Position
einer israelischen Regierung pauschal zu unterstützen oder ihre
sicherheitspolitischen Vorstellungen unhinterfragt zu übernehmen. Dies gilt
vor allem dann, wenn diese mit anderen Grundsätzen deutscher Außenpolitik -
etwa dem Schutz der Menschenrechte und des Völkerrechts - konfligieren.
Aus der historischen Verantwortung lässt sich auch nicht ableiten, dass
Israel von Deutschland explizit als "jüdischer Staat" anerkannt werden
sollte, wie es etwa im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht. Eine solche
Anerkennung widerspricht nicht nur diplomatischen Gepflogenheiten und wurde
daher schon von den USA 1948 abgelehnt. Sie ist ein Schlag für all
diejenigen in Israel, die sich für eine Gleichberechtigung aller
Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit,
einsetzen. Angesichts einer gegenwärtigen Regierung in Jerusalem, der
Minister angehören, die offen für einen "Transfer" der arabischen
Bevölkerung eintreten, ist sie zudem ein völlig falsches Signal.
Konkret steht die deutsche wie die internationale Politik im Nahen Osten
derzeit vor zwei Herausforderungen: Wie kann der Friedensprozess wieder in
Gang gebracht werden? Und wie lässt sich die Blockade des Gaza-Streifens
überwinden? Deutschland und die EU sollten die Bemühungen der USA, den
Friedensprozess wieder zu beleben, weit energischer unterstützen als
bisher. Denn nur so wird es hier Fortschritte geben.
Zusätzlich müssen auch die Anreizstrukturen für die Konfliktparteien und
damit ihre Kosten-Nutzen-Kalküle verändert werden. Das heißt, jeden Einsatz
von Gewalt und alle Maßnahmen, die auf eine Verfestigung der israelischen
Besatzung abzielen, konsequent zu sanktionieren. So sollte etwa die
Vertiefung der EU-Beziehungen mit Israel, die im Dezember 2008 prinzipiell
beschlossen wurde, von einem vollständigen Siedlungsstopp sowie konkreten
Maßnahmen zur Beendigung der Besatzung abhängig gemacht werden. Vor allem
aber muss Europa in Bezug auf den Umgang mit Produkten, die aus Israels
völkerrechtswidrigen Siedlungen im Westjordanland stammen, endlich eine
konsistente Politik entwickeln.
Ein tragfähiger Frieden kann nicht der Verdrängung von begangenem Unrecht
entspringen. Nicht zuletzt deshalb sollten Deutschland und die EU Vorreiter
sein, wenn es um die unabhängige Untersuchung von
Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen beider Seiten während des
letzten Gaza-Kriegs geht, statt diese zu unterminieren.
Die Tragödie um die Gaza-Flotille hat die internationale Aufmerksamkeit
wieder auf die seit vier Jahren andauernde Blockade des Gaza-Streifens
gelenkt. Letztlich ist es Israel nicht gelungen, mit dieser Blockade das
Hamas-Regime zu schwächen oder zu stürzen, den Waffenschmuggel zu
verhindern oder den im Juni 2006 entführten israelischen Soldaten Gilad
Shalit zu befreien. Damit hat sich die Blockade als kontraproduktiv
erwiesen. Die deutsche Politik hat das erkannt und in der Bundestagsdebatte
vom 10. Juni parteiübergreifend von Israel gefordert, seine Gaza-Politik
grundlegend zu ändern. Wie dies konkret aussehen sollte, blieb allerdings
offen.
Eine bloße Lockerung der Blockade, wie sie Israel jetzt angekündigt hat,
sowie eine zeitweise Öffnung der Übergänge seitens Ägyptens werden das
Problem nicht lösen. Denn es geht nicht nur um mehr humanitäre Hilfe.
Sondern darum, die Bevölkerung von Gaza aus ihrer Isolation und der
Abhängigkeit von ausländischer Hilfe zu befreien, einen umfassenden
Wiederaufbau zu ermöglichen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und
zugleich Waffenschmuggel effektiv zu verhindern. Die EU hat schon
angeboten, zu einer geregelten Grenzöffnung beizutragen, indem sie ihre
Monitoring-Rolle am Übergang zu Ägypten wieder aufnimmt. Darüber hinaus
sollte sie auch an den Grenzpunkten zu Israel sowie - mittelfristig - an
Flughafen und Hafen von Gaza eine Kontrollfunktion übernehmen.
Beides, die Beendigung der Blockade und der Einstieg in substantielle
Friedensverhandlungen, geht nicht ohne die Einbindung der Hamas. Für
substantielle Friedensgespräche ist ein neuer Grundkonsens auf
palästinensischer Seite nötig, um der PLO-Führung den nötigen Rückhalt für
Verhandlungen zu verschaffen. Die Hamas hat in den letzten Jahren deutlich
gemacht, dass sie zu einem langfristigen Waffenstillstand mit Israel in den
Grenzen von 1967 bereit und in der Lage ist, einen solchen auch weitgehend
durchzusetzen.
***
In der Debattenreihe "Unser Israel" bereits erschienen: [1][Feiger Hass]
von Stephan Kramer.
21 Jun 2010
## LINKS
[1] /1/debatte/kommentar/artikel/1/feiger-hass/
## AUTOREN
Muriel Asseburg
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