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# taz.de -- Debatte Unser Israel (6): Gottes verheißenes Land
> Eine kritische Betrachtung des Zionismus bleibt notwendig. Sonst lässt
> sich Israels expansionistische Siedlungspolitik nicht verstehen.
Bild: Ein radikaler Mann mit einer radikalen Idee – fraglich, inwieweit die R…
Selten ist im Nahostkonflikt vom Existenzrecht eines palästinensischen
Staates die Rede. Umso öfter und dringlicher wird verlangt, das
Existenzrecht Israels müsse anerkannt werden. Doch um welches Israel geht
es dabei? Um Israel in den Grenzen von 1967? Oder um das
alttestamentarische "Eretz Israel", das mindestens bis an den Jordan reicht
und nach dem Israels Rechte bis heute greift? Diese Frage berührt den Kern
des jahrzehntelangen Konflikts mit den Palästinensern.
Zu den bemerkenswerten Aspekten der israelischen Staatlichkeit gehört, dass
dieser Staat bis heute keine eindeutig definierten Grenzen besitzt. Jene
Gebiete, die der UN-Teilungsplan für Palästina der zionistischen Bewegung
1947 ursprünglich zuerkannte, wurden schon ein Jahr später durch die
israelische Armee deutlich erweitert (von 48 auf 77 Prozent des
ursprünglichen Mandatsgebiets Palästina). Mit der Eroberung von Jerusalem,
Gaza und dem Westjordanland im Junikrieg von 1967 sah ein Teil der
zionistischen Bewegung die "Rückeroberung" von "Eretz Israel"
abgeschlossen. Jener Flügel der Bewegung aber, aus dem später die rechte
Likud-Partei hervorging, erhob lange Zeit sogar Anspruch auf weite Teile
des heutigen Königreichs Jordanien.
Von Anfang an reklamierte die zionistische Bewegung mehrheitlich einen
exklusiven Anspruch auf das historische Palästina, die Rechte und das
Eigentum der ursprünglichen Bevölkerung dagegen galten ihr als Quantité
negligeable. Die Eroberung Palästinas wurde von Parolen wie "Ein Land ohne
Volk für ein Volk ohne Land" begleitet. Religiöse Zionisten sprachen zudem
von der "Rückkehr der Juden in das Land ihrer Väter" und lasen das Alte
Testament quasi wie ein Grundbuch, aus dem sich territoriale Ansprüche
ableiten lassen.
Mithilfe der britischen Kolonialmacht hatte sich die zionistische Bewegung
1917 den Anspruch auf eine sogenannte jüdische Heimstatt in Palästina
verbriefen lassen. Der UN-Teilungsplan von 1947 hatte Israel zwar ein
Staatsgebiet, aber nicht die Eigentumsrechte für allen Privatbesitz dort
übertragen. Wenn man bedenkt, dass zum Zeitpunkt der Staatsgründung gerade
einmal sechs Prozent der Landfläche im Mandatsgebiet in jüdischem Besitz
waren, wird die Dimension der gewaltsamen Aneignung arabischen Bodens
deutlich.
Die militärische Eroberung von Schlüsselgebieten, die schon vor der
israelischen Staatsgründung geplant und bis Anfang 1948 umgesetzt wurde,
führte zu Flucht und Vertreibung von rund 700.000 Palästinensern. Von
Anfang an machte sich der junge Staat Israel daran, die Erinnerung an die
früheren Einwohner auszumerzen, indem er rund 400 arabische Dörfer
vollständig zerstören ließ. Zugleich wurde jede Forderung nach Rückkehr der
Flüchtlinge, wie sie vom UN-Sicherheitsrat in unzähligen Resolutionen
angemahnt wurde, schlicht ignoriert. In der Sprache unserer Tage müsste
man, in Anlehnung an die Balkankriege, von einer "ethnischen Säuberung"
sprechen.
Jene Palästinenser, die nach dem Krieg von 1948 im Staat verblieben, lebten
bis weit in die sechziger Jahre unter Militärrecht: Wer sein Dorf verlassen
wollte, brauchte eine Sondergenehmigung. Juristisch abgesichert wurde die
Übernahme arabischen Bodens durch ein Gesetz: Wer an einem bestimmten
Stichtag des Jahres 1949 nicht auf seinem Land oder in seinem Haus anwesend
war, verlor seinen Besitz. Da keinem geflohenen oder vertriebenen
Palästinenser die Rückkehr erlaubt war - schon der Versuch wurde mit
Waffengewalt verhindert -, war das Gesetz ein voller Erfolg.
Es greift zu kurz, diesen Landraub als unrühmlichen, aber irgendwie
unvermeidlichen Aspekt jeder Staatsgründung abzutun, wie Klaus Hillenbrand
(taz v. 5. 7.) nahelegt. Denn das Muster setzt sich bis heute fort.
Betrachtet man Israels Siedlungspolitik im Westjordanland und in
Ostjerusalem, stechen die Parallelen ins Auge. Es waren die Anführer der
"linken" Arbeitspartei wie Jitzhak Rabin und Schimon Peres, unter deren
Ägide die ersten jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten entstanden.
Das ist kein Zufall, denn ihrem zionistischen Selbstverständnis nach
betrachteten auch sie das Land als Teil von "Eretz Israel".
Dass Juden das Vorrecht haben sollten, überall in "Eretz Israel" zu
siedeln, diese Forderung wird bis heute von radikalen Siedlern vorgebracht,
die sich lautstark gegen den Friedensprozess - oder auch nur einen
befristeten Baustopp - wenden. Der religiös motivierte Teil der
Siedlerbewegung führt zudem ins Feld, dass Judäa und Samaria ja quasi
jüdisches Stammland seien - als "Beweis" dienen ihm Josephs Grab in Nablus
und Rachels Grab in Bethlehem, wie berechtigt diese Verortungen auch immer
sein mögen.
Die Logik dieses politischen Denkens lautet: So wie es 1948 legitim war,
sich das Land untertan zu machen, so kann es heute nicht illegitim sein,
das biblische Judäa, Samaria und das ganze Jerusalem in Besitz zu nehmen.
Diese Ideologie macht es israelischen Politikern schwer, über ihren
zionistischen Schatten zu springen. So trat Israels Likud-Chef Benjamin
Netanjahu in seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident in den
Neunzigerjahren erklärtermaßen an, den Oslo-Prozess zu stoppen und
territoriale "Zugeständnisse" zu verhindern. Auch sein Nachfolger Ehud
Barak von der "linken" Arbeitspartei forcierte den Siedlungsbau noch, als
er 1999 in Camp David mit Jassir Arafat über ein Friedensabkommen
verhandelte.
Vor 40 Jahren waren es nur ein paar Dutzend Siedler, die in Ostjerusalem
und dem Westjordanland auf enteignetem palästinensischem Boden lebten -
heute sind es rund 500.000. Inzwischen hat die Siedlerbewegung 42 Prozent
des Westjordanlands unter ihre Kontrolle gebracht, wie die
Menschenrechtsorganisation Betselem jüngst berichtete. Solange der Staat
Israel nicht seine Grenzen klar definiert und seine territoriale Expansion
stoppt, ist ein Ende des Konflikts nicht in Sicht. Und wer sich als
Palästinenser die zionistisch-israelische Eroberung seiner Heimat im
Verlauf der vergangenen 100 Jahre vor Augen führt, darf sich wohl zur Recht
ein wenig vor dem Zionismus fürchten.
***
Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": [1][Das Gespenst
des Zionismus] von Klaus Hillenbrand, [2][Eine komplizierte Geschichte] von
Micha Brumlik, [3][Keine innere Angelegenheit] von Tsafrir Chohen,
[4][Deutsche nach Gaza?] von Muriel Asseburg und [5][Feiger Hass] von
Stephan Kramer.
12 Jul 2010
## LINKS
[1] /1/debatte/kommentar/artikel/1/das-gespenst-des-zionismus/
[2] /1/debatte/kommentar/artikel/1/eine-komplizierte-geschichte/
[3] /1/debatte/kommentar/artikel/1/keine-innere-angelegenheit/
[4] /1/debatte/kommentar/artikel/1/deutsche-nach-gaza/
[5] /1/debatte/kommentar/artikel/1/feiger-hass/
## AUTOREN
Georg Baltissen
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