# taz.de -- Debatte Unser Israel (3): Keine innere Angelegenheit | |
> Es ist an der Zeit, die deutsche Nahostpolitik neu auszurichten. Denn | |
> Israels Besatzung hat Palästinenser wie Israelis in die Sackgasse | |
> geführt. | |
Bild: Die Arbeits- und Perspektivlosigkeit in abgeriegelten Palästinenser-Enkl… | |
Als FDP-Minister Dirk Niebel die Lage für Israel kürzlich als "fünf vor | |
zwölf" beschrieb, warf man ihm vor, die Solidarität aufgekündigt zu haben. | |
Diese reflexhafte Kritik an dem ausgewiesenen Israelfreund verweist auf | |
einen grundsätzlichen Widerspruch im deutschen Verhältnis zu Israel. Die | |
deutsche Politik folgt dem Prinzip der "Solidarität mit Israel", was nichts | |
anderes als bedingungslose Unterstützung bedeutet. Dem gegenüber steht eine | |
außenpolitische Haltung, die sich die Verteidigung des Völkerrechts sowie | |
die weltweite Förderung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und | |
Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat. | |
Beide Ansätze, der partikulare und der universelle, sind aus der Erfahrung | |
des Naziterrors geboren. In Bezug auf den Nahen Osten geraten sie in | |
Widerspruch, wenn Israel unseren außenpolitischen Grundsätzen zuwider | |
handelt, was in den letzten Jahrzehnten immer häufiger geschehen ist. | |
Bislang versuchten diverse Bundesregierungen diesen Widerspruch dadurch | |
aufzulösen, indem sie den Palästinensern viel Geld gaben und Israel - meist | |
im Rahmen gesamteuropäischer Beschlüsse - für allzu offensichtlichen | |
Verstöße gegen das Völkerrecht kritisierte. Diese Kritik hatte allerdings | |
keinerlei Auswirkungen auf die Tagespolitik. Unserer Bereitschaft, Israel | |
in allen Fragen internationaler Zusammenarbeit entgegenzukommen - von der | |
Visabefreiung bis zur Wirtschaftsintegration, ganz zu Schweigen von | |
Waffengeschenken in dreistelliger Millionenhöhe - tut unserem Bekenntnis zu | |
Menschenwürde und Völkerrecht keinen Abbruch. | |
Diese widersprüchliche Haltung könnte man als interne deutsche | |
Angelegenheit abtun. Nur: Der deutsche Diskurs hat handfeste Auswirkungen | |
auf die Situation vor Ort. Denn ohne Deutschland kann es keine kohärente | |
europäische Nahostpolitik geben. | |
Dass die Situation vor Ort unhaltbar ist, hat nicht erst der israelische | |
Angriff auf den Schiffskonvoi gezeigt. Den Kern des Konflikts bilden die | |
seit über 40 Jahren anhaltende israelische Besatzung, die Siedlungspolitik | |
und die damit einhergehende Entrechtung der Palästinenser. Die derzeitige | |
Entwicklung schließt die Palästinenser in dichtgedrängten Enklaven ein, die | |
ohne Almosen aus Europa gar nicht lebensfähig wären. Die Arbeits- und | |
Perspektivlosigkeit in diesen abgeriegelten Enklaven trägt dazu bei, dass | |
die palästinensische Gesellschaft immer geschlossener, konservativer wird | |
und von reaktionären Elementen beherrscht wird. Aber auch auf Israels | |
demokratische und rechtsstaatliche Strukturen hat die Besatzung fatale | |
Rückwirkungen. So wird in der Knesset gerade geplant, die Arbeit von | |
Menschenrechtsorganisationen im Land per Gesetz einzuschränken. Der | |
mangelnde Protest dagegen zeigt, wie weit Israels demokratische Grundfesten | |
durch die Besatzung bereits aufgeweicht worden sind. | |
Solidarität mit Israel darf kein "Vertrag zu Lasten Dritter" sein. Darum | |
ist es an der Zeit, unsere Nahostpolitik neu auszurichten. Es steht außer | |
Frage, dass Deutschland aufgrund der Schoah gegenüber dem jüdischen Volk | |
eine historische Verantwortung trägt. Dies sollte vor allem bedeuten, dem | |
Antisemitismus in Europa entschieden entgegenzutreten und die Sicherheit | |
jüdischen Lebens dort zu gewährleisten. | |
Es ist jedoch keinesfalls zwingend, diese Verantwortung auf den Staat | |
Israel zu übertragen. Tun wir dies, müssen wir uns der Tatsache bewusst | |
sein, welche Auswirkungen unsere Unterstützung für Israel hat. Denn seine | |
Vormachtstellung im Nahen Osten verdankt das Land nicht zuletzt seinen | |
engen Beziehungen zum Westen. Ohne sie wäre das Besatzung kaum | |
aufrechtzuerhalten. | |
Die blinde Unterstützung durch den Westen erlaubt es den israelischen | |
Eliten in Wirtschaft und Politik, ihrer Friedensrhetorik keine Taten folgen | |
zu lassen: Der Preis des innenpolitischen Konflikts mit der extremen | |
Rechten und der Siedlerlobby erscheint vielen zu hoch. Diese sind derzeit | |
maßgeblich an der Regierung beteiligt und nicht einmal bemüht, auch nur den | |
Anschein zu wahren, an einer Friedenslösung interessiert zu sein. | |
Betrachtet man die Demografie zwischen Mittelmeer und Jordan, kann man | |
jedoch nur zu dem Schluss kommen, dass die Gründung eines lebensfähigen | |
palästinensischen Staates in Israels ureigenem Interesse liegt. Die | |
Alternativen sind rar. Denn entweder gewährt Israel den Palästinensern | |
gleiche Rechte, wodurch es seinen jüdischen Charakter verlieren würde - was | |
derzeit völlig undenkbar ist. Oder aber es setzt die derzeitige Entwicklung | |
fort, die unweigerlich zu einer Art von Apartheidssystem führen muss, wie | |
selbst Israels Expremier Ehud Olmert einräumte. | |
Notwendiger Druck von außen | |
Viele Israelis fühlen sich im Belagerungszustand. Wir tun ihnen aber keinen | |
Gefallen, wenn wir ihnen nicht helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen | |
und einen ernsthaften Ausgleich mit den Palästinensern zu suchen. Das geht | |
nur mit freundlichem, aber bestimmtem Druck. | |
Israel steht in seiner Region derzeit weitgehend isoliert da und kann sich | |
nur auf die Unterstützung seiner Freunde im Westen stützen. Würde diese | |
Unterstützung von der Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen abhängig | |
gemacht, wäre Israel zweifellos bereit, diesen "Preis" zu zahlen. Er würde | |
obendrein eine ordentliche Dividende bringen - einen historischen Ausgleich | |
mit allen Nachbarstaaten, die Israel mit ihrer "Arabischen | |
Friedensinitiative" seit 2002 eine komplette Normalisierung zu angemessenen | |
Konditionen anbieten. Welche Vorteile ein Frieden in der Nachbarschaft mit | |
sich bringt, weiß niemand so gut wie die Europäer. | |
Und was kann die deutsche Linke tun? In unseren Zeiten gilt der globale | |
Kampf einer emanzipatorischen und solidarischen Gesellschaft, die den | |
"Anderen" nicht bloß als Sicherheitsrisiko wahrnimmt. Dieser Kampf tobt | |
auch in Israel und den palästinensischen Gebieten. Gerade jetzt, wo der | |
israelischen Linken, Menschenrechtsgruppen und palästinensischen NGOs immer | |
kleinere Spielräume zur Verfügung stehen, brauchen sie unser Engagement und | |
unsere Unterstützung. | |
*** | |
Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": [1][Deutsche | |
nach Gaza?] von Muriel Asseburg und [2][Feiger Hass] von Stephan Kramer. | |
24 Jun 2010 | |
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