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# taz.de -- BDS und der Nelly-Sachs-Preis: Nicht die Hater salonfähig machen
> BDS als vielstimmige Initiative für Freiheit zu verharmlosen, verkennt
> ihr Kalkül. Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis nicht zu geben, ist
> richtig.
Bild: Nelly Sachs' Sprache hatte etwas Rettendes – weil sie frei von Hass war
Der Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund ist eine Auszeichnung, die auf
kulturelle Verständigung und Dialog zielt. Mit ihm sollen laut Satzung
„Persönlichkeiten geehrt und gefördert werden, (…) die in ihrem Leben und
Wirken geistige Toleranz, gegenseitigen Respekt und Versöhnung unter den
Völkern und Kulturen verkünden und vorleben.“
Die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs, eine der Ersten, die bleibende
Worte fand für den Holocaust („O die Schornsteine“, 1947), eignet sich für
dieses Anliegen als Namensgeberin wie kaum jemand sonst. Als die Lyrikerin,
die in der NS-Zeit aus Berlin nach Stockholm emigriert war, im Jahr 1965
den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (als erste Frau übrigens)
entgegennahm und ins Land der Täter zurückkehrte, erklärte sie: „Wenn ich
heute, nach langer Krankheit, meine Scheu überwunden habe, um nach
Deutschland zu kommen, so nicht nur, um dem deutschen Buchhandel zu danken,
der mir die Ehre erwiesen hat, mir den Friedenspreis zu verleihen, sondern
auch den neuen deutschen Generationen zu sagen, dass ich an sie glaube.
Über alles Entsetzliche hinweg, was geschah, glaube ich an sie.“ Sie
wünschte sich, dass sich aus dieser neuen Generation „Hoffnung und Frieden
entwickeln können“.
Es ist gut, sich all dies noch mal so in Erinnerung zu rufen, wenn man nun
[1][die Debatte um die diesjährige Vergabe des Nelly-Sachs-Preises]
rekapituliert. Was war passiert? Die pakistanisch-britische
Schriftstellerin Kamila Shamsie sollte ursprünglich mit dem Preis geehrt
werden – die Jury nahm die Auszeichnung aber zurück, weil sich
herausstellte, dass Shamsie eine aktive Unterstützerin der
Israel-Boykott-Kampagne BDS ist. Zu Recht verwies das Gremium darauf, dass
ein Eintreten für BDS „im deutlichen Widerspruch zu den Satzungszielen der
Preisvergabe und zum Geist des Nelly-Sachs-Preises“ stehe. Es folgte – man
unterschätze niemals den Lobbyismus der BDS-Kampagne, insbesondere in
Großbritannien – ein offener Brief von 250 Schriftsteller_innen und
Intellektuellen, darunter viele namhafte, die sich für Shamsie und für das
„Recht auf Boykott“ einsetzten. Und in gleichem Zuge auch eine
Stellungnahme der Autorin selber.
Nun soll also ausgerechnet der Fall um einen nach Nelly Sachs benannten
Preis dazu herhalten, die Ziele und Methoden der BDS-Kampagne zu
legitimieren. In dem Zuge wird immer gern darauf hingewiesen, welch
[2][vielstimmige Initiative BDS] doch sei, die rein zufällig auch ein paar
notorische Antisemiten anziehe. [3][Dabei ist dies doch das Kalkül der
Kampagne]: sich als heterogene Bewegung zu verkaufen, sich hinter
Ambiguitäten zu verschanzen.
Diese Strategie reicht vom bewusst unklaren Postulat im Gründungsmanifest
des BDS (BDS Deutschland bezieht sich auf einen Aufruf von 2005, in dem es
heißt, Israel müsse die „Besetzung und Besiedlung allen arabischen Landes“
beenden) und dem Verwirrspiel um Auslegungen und Versionen des Dokuments.
Und sie endet bei der immer wieder vorgetragenen perfiden Analogie [4][von
Israel als Apartheidstaat], der die Araber unterdrücke wie einst die Weißen
die Schwarzen in Südafrika. Zur Erinnerung: In der Knesset sitzen arabische
Abgeordnete, an Gerichten und Hochschule arbeiten arabische und israelische
Juristen zusammen. Zur bitteren Ironie gehört dazu, dass der BDS-Mitgründer
Omar Barghouti an der Tel Aviv University bestens ausgebildet wurde und
dort promovierte. All das sind keine neuen Argumente oder Widersprüche, die
hier genannt werden – aber man muss sie anscheinend immer neu wiederholen.
Ob die literarischen Qualitäten Kamila Shamsies, die sich in ihrem jüngsten
Roman „Hausbrand“ mit islamistischem Terror und dessen Folgen befasst, es
hergeben, dass sie die Auszeichnung erhält, ist in diesem Falle sekundär.
Als Trägerin eines Preises, der für kulturellen Dialog jedweder Art
einsteht, eignet sich eine BDS-Unterstützerin einfach nicht. Das zeigt auch
Shamsies Reaktion auf die Aberkennung der Auszeichnung. Es sei „empörend,
dass die BDS-Bewegung, die sich gegen die israelische Regierung und ihre
diskriminierenden und brutalen Handlungen gegen Palästinenser richtet, als
schändlich und ungerecht bezeichnet wird“. Sie spricht unter anderem von
ihrer Unterstützung für eine „friedliche Kampagne, die Druck auf die
israelische Regierung ausüben möchte“.
Friedlich? Ernsthaft? Gerade in der Kulturszene konnte man sich zuletzt ein
gutes Bild davon machen, welch irrige Annahme es ist, BDS agiere friedlich.
Vonseiten der Kampagne wurden Künstler, Booker, Agenturen mit Mails und via
Social Media drangsaliert, nicht in Israel aufzutreten oder jede
Kooperation mit Israel zu unterlassen. Selbst Orchestermitglieder des
(heute) BDS-nahen Dirigenten Daniel Barenboim (West-Eastern Divan
Orchestra) wurden von BDS unter Druck gesetzt. Ein Diskussionsforum beim
Berliner Pop-Kultur-Festival, welches BDS aus dem Grund boykottiert, weil
die israelische Botschaft Reisekosten für dort auftretenden Künstler_innen
übernimmt, schrien BDS-Aktivist_innen 2018 nieder.
Eine Party des in Berlin ansässigen israelischen Vereins HaBeit ist vor
drei Jahren von BDS mit Parolen gesprengt worden, die man in Berlin sonst
beim Al-Quds-Marsch vernimmt: „Israel mordet palästinensische Kinder.“ Man
könnte die Reihe fast endlos fortführen. Der Gedanke von Versöhnung und
Dialog ist BDS fremd.
Shamsies prominente Unterstützer, darunter so unterschiedliche
Persönlichkeiten wie J. M. Coetzee, Alexander Kluge und Ocean Vuong, fragen
sich dagegen „welchen Wert ein Literaturpreis (…) habe, der das Prinzip zur
freien Meinungsäußerung und der Freiheit zu kritisieren untergrabe“.
Neben dem merkwürdigen Umstand, dass die Freiheit zu kritisieren [5][immer
dann am vehementesten eingefordert wird, wenn es um Israel geht], ist das
schlicht Nonsens. Bei der Aberkennung geht es weder um Meinungsfreiheit
noch ausschließlich um das literarische Werk einer Künstlerin. Es geht
darum, wie die Preisträgerin mit dem Erbe von Nelly Sachs zu vereinbaren
ist – und mit deren Lebensthema, „das Schicksal Israels mit ergreifender
Stärke [zu] interpretieren“ (so formulierte es die Schwedische Akademie,
als sie ihr 1966 den Literaturnobelpreis verlieh).
Hans Magnus Enzensberger bemerkte 1957 in seinem Essay „Die Steine der
Freiheit“ über Nelly Sachs' großen Gedichtband „In den Wohnungen des
Todes“, sie überwinde Adornos Prämisse, nach Auschwitz sei es nicht mehr
möglich, ein Gedicht zu schreiben. „Ihrer Sprache wohnt etwas Rettendes
inne. Indem sie spricht, gibt sie uns selber zurück, Satz um Satz, was wir
zu verlieren drohten: Sprache. Ihr Werk enthält kein einziges Wort des
Hasses“, schrieb Enzensberger. Ein nach ihr benannter Preis sollte auch 62
Jahre später nicht dazu dienen, die Hater salonfähig zu machen.
2 Oct 2019
## LINKS
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[2] /Gastkommentar-BDS-und-Antisemitismus/!5593381
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[4] /Palaestinenser-im-Nahostkonflikt/!5609741
[5] /Eine-Liebe-in-der-Krise/!5607626
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
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