# taz.de -- Club Voltaire und BDS-Unterstützung: Streit um „rote Linie“ | |
> Muss der Club Voltaire in Frankfurt bald dicht machen? Der Kämmerer der | |
> Stadt will dem Kulturzentrum den Geldhahn zudrehen. | |
Bild: Gut besuchte Veranstaltung im Club Voltaire im Februar 1980 mit Club-Mitb… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | An der Kneipentheke im Tiefparterre der Kleinen | |
Hochstraße nahe der Frankfurter „Fressgass“ liegen in diesen Tagen | |
Unterschriftenlisten aus: „Hände weg vom Club Voltaire!“ steht da. Adressat | |
ist Frankfurts Stadtkämmerer Uwe Becker. | |
Der Club Voltaire ist legendär. In dem Kultur- und Veranstaltungszentrum in | |
der Kleinen Hochstraße wurden in den vergangenen fünf Jahrzehnten | |
spektakuläre Debatten geführt, hier fanden nahezu alle sozialen Bewegungen | |
ein Forum. Jetzt droht das Aus. | |
Kämmerer Becker will dem seit 1962 bestehenden Club, der sich als „Ort der | |
Gegenöffentlichkeit“ bundesweit einen Namen gemacht hat, die städtische | |
Unterstützung von jährlich rund 33.000 Euro entziehen. „Ohne die sind wir | |
in unserer Existenz bedroht“, sagt der Vorsitzende des Trägervereins, | |
Lothar Reininger. | |
Becker begründet seinen Plan mit einer vom Club mitveranstalteten | |
Podiumsdiskussion, bei der am 15. Oktober im Saal „Titania“ unter anderen | |
der Palästinenser Khaled Hamad und die antizionistische Deutsch-Israelin | |
Judith Bernstein zu Wort gekommen waren. Der CDU-Politiker ordnet beide dem | |
[1][BDS zu, der wegen der Unterdrückung der Palästinenser einen Boykott und | |
Sanktionen gegen Israel fordert]. „Da wurde massiv Stimmung gegen Israel | |
gemacht“, so Becker zur taz. „Damit wurde der Boden für israelbezogenen | |
Antisemitismus bereitet.“ | |
## Anti-BDS-Beschluss des Frankfurter Stadtrats | |
2017 hatten die Stadtverordneten im Römer mit großer Mehrheit beschlossen, | |
in städtischen Gebäuden dürften VertreterInnen des BDS nicht auftreten. Der | |
Club, der dieses „rote Linie“ bewusst übertreten habe, müsse sanktioniert | |
werden, fordert Becker, der auch Antisemitismusbeauftragter Hessens ist. | |
Die Verantwortlichen des Clubs halten Beckers Argumentation für | |
konstruiert. Als Fürsprecher haben sie Micha Brumlik gewonnen. Der | |
Seniorprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität und Senior | |
Advisor am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg hält zwar die | |
Politik des israelkritischen BDS für falsch. Doch auch wenn einzelne seiner | |
Aktivisten antisemitisch argumentierten, sei der BDS gleichwohl „im Kern | |
nicht antisemitisch“, sagt er. | |
Es müsse jedenfalls möglich sein, auch mit BDS-Anhängern zu diskutieren, | |
findet Brumik. Aus seiner Zeit in Frankfurt wisse er zudem um Bedeutung und | |
Verdienste des Clubs um den demokratischen Diskurs, so der 72-jährige | |
Wissenschaftler, der auch taz-Kolumnist ist. | |
Auch Club Voltaire-Vorstand Gert Reininger kann Beckers Vorwürfe nicht | |
nachvollziehen. „Mich hat in den 70ern ein Besuch im KZ Buchenwald | |
politisch geprägt“, sagt der frühere Betriebsratsvorsitzende der | |
Adler-Werke. Er habe sich für eine Gedenkstätte auf dem Adler-Gelände | |
eingesetzt, das an die dort im ehemaligen KZ begangenen Gräuel erinnert. | |
„Wenn auf einem Podium die [2][jüdische Künstlerin Judith Bernstein] Israel | |
als Apartheidsstaat kritisiert, kann ich da keinen Antisemitismus | |
erkennen“, sagt Reininger. Und er fügt hinzu: „Ich diskutiere auch lieber | |
mit einem Palästinenser, der zu einem Boykott Israels aufruft als zu einer | |
neuen Intifada.“ | |
## Grün-roter Hoffnungsschimmer | |
Laut Reininger hätten CDU-PolitikerInnen immer wieder versucht, dem | |
„linken“ Club das Wasser abzugraben. Beckers Argumente seien „an den Haar… | |
herbeigezogen“ und eher dem beginnenden Kommunalwahlkampf geschuldet, in | |
dem die CDU „klare Kante gegen Links“ demonstrieren wolle. | |
Uwe Becker selbst weist diese Lesart zurück. „Zu keiner Stadt gehört der | |
politische Diskurs mehr, als zu Frankfurt“, betont er und ergänzt: „Ich bin | |
enttäuscht, dass der Club nicht einsieht, dass er einen Fehler gemacht | |
hat.“ | |
Am kommenden Donnerstag sollten Kämmerer Becker und Professor Brumlik | |
eigentlich zu einem Streitgespräch zusammentreffen. Doch um die | |
vielbeschworene Diskursfähigkeit scheint es derzeit nicht allzu gut | |
bestellt zu sein. Der taz sagte Becker eine Woche vor der geplanten | |
Veranstaltung, von ihm gebe es keine Zusage. Wegen der polemischen Angriffe | |
gegen ihn werde er wohl eher nicht kommen. Club-Vorstand Reininger zeigt | |
sich überrascht: „Wir haben uns mit dem Termin nach ihm gerichtet, ich weiß | |
nichts von einer Absage.“ | |
Noch haben die Verantwortlichen des Club Voltaire die Hoffnung, dass | |
Beckers Streichpläne ohnehin am Widerstand seiner Koalitionspartner, also | |
der SPD und der Grünen, scheitern. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. | |
Sebastian Popp, Fraktionschef der Grünen im Frankfurter Römer, geht | |
jedenfalls davon aus, dass der Club mit einer „Verwarnung“ davonkommt. Der | |
Club sei eine viel zu wichtige Institution, um ihn wegen einer | |
möglicherweise verunglückten Veranstaltung abzuwickeln. | |
„Ich sehe in der Stadt große Sympathien für den Club“, sagte Popp zur taz. | |
„Es wäre besser, wenn die dort Verantwortlichen jetzt etwas moderater | |
auftreten würden.“ | |
1 Dec 2019 | |
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[2] https://www.jrbernstein.de/ | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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